rampe_nordost"Und mein Ziel kann nur sein, dass man am Ende etwas begreift, sich identifiziert" - soweit der O-Ton von Autor Torsten Buchsteiner, der mit "Nordost" - einem Gastspiel von Theater Rampe im Kosmostheater - die Geiselnahme durch tschetschenische Terrorist/innen während des in Moskau gezeigten Musicals "Nord-Ost" in Erinnerung ruft. Ein Stück ohne Pathos und falsche Zwischentöne. Grandios, berührend, verdichtend.

In dieser Aufführung stimmt einfach alles: Eine Textvorlage, in der Recherche und lyrische Passagen mühelos vereinigt werden. Darauf aufbauend die sensible Regie von Eva Hosemann, welche die drei Schauspielerinnen vom Ensemble Cantadoras in einem bestechenden Bühnenraum punktgenau agieren lässt. Torsten Buchsteiner hat mit "Nordost" ein Stück geschrieben, das ein Ereignis der jüngsten Vergangenheit unter die Lupe nimmt und den Versuch anstellt, es der allgemeinen Verdrängung zu entziehen.

Moskau, 2002

rampe_nordost3Am 23. Oktober 2002 besetzten tschetschenische Terrorist/innen während der Aufführung des Musicals "Nord-Ost" das Theater an der Dubrowka in Moskau und nehmen insgesamt mehr als 850 Personen als Geiseln. Unter den Geiselnehmer/innen befinden sich auch so genannte "Schwarze Witwen" - tschetschenische Frauen, die Angehörige im Krieg verloren haben und zu Kämpferinnen wurden. "Nordost" wird aus der Perspektive dreier Frauen erzählt. Zura ist eine der schwarzen Witwen, Tamara, eine lettische Ärztin, verbringt ihre Nachtschicht im Krankenwagen vor dem Theater, und Olga, die russische Buchhalterin, freut sich gemeinsam mit ihrer Familie auf einen unvergesslichen Abend im Theater. Die Freude weicht dem Albtraum, und unvergesslich wird der Abend - oder besser gesagt die darauf folgenden Tage - für alle Beteiligten.

Gedankenprotokolle

Das Stück umkreist in Form von Gedankenprotokollen der drei Frauen die immense Tragik des Geschehens und ruft die zweifelhafte Vorgehensweise der russischen Einsatzkräfte in Erinnerung. Durch das intensive Spiel der Protagonistinnen wird man in den quälenden Verlauf der Geiselnahme hinein gezogen und lässt Medienberichte Revue passieren, die man aus dieser Zeit noch in Erinnerung hat. Auch die Details zum Gaseinsatz werden so wieder lebendig. Das Betäubungsgas, das bei der Befreiung eingesetzt wurde, kostete insgesamt 130 Geiseln das Leben. 40 Terrorist/innen wurden von der Spezialeinheit "Alfa" erschossen.

Keine explizite Botschaft

rampe_nordost5rampe_nordost4"Dass wir alle Frieden wollen, versteht sich von selbst", sagt Torsten Buchsteiner, aber auch: "Es gibt keine explizite Botschaft". Das gesamte Team, das an dieser ausgezeichneten Aufführung Ende Jänner 2009 beteiligt war, hat das Kunststück einer nachhaltigen theatralen, intellektuellen Auseinandersetzung zustande gebracht anstelle sich mit einem platten Betroffenheitsszenario zufrieden zu geben. Die hervorragende Performance der Schauspielerinnen, allen voran Petra Weimer in der Rolle der lettischen Ärztin, bleibt lange im Gedächtnis. Terrorismus ist ein komplexes Gebilde. Auch wenn die Russin Olga (Janin Roeder) der Meinung ist, dass Tschetschenien doch 2000 Kilometer von Moskau entfernt sei und mit ihr nichts zu tun hätte. Dazu liefert das Programmheft von "Nordost" im Übrigen ausgezeichnete Gedankenanstöße und setzt dort an, wo Sensationsheischende Medienberichte versagen, da es informativ ist und Hintergrundberichte beinhaltet. Ja, ich denke, man hat am Ende dieses Stückes wirklich etwas begriffen. (Text: Evelyn Blumenau; Fotos: Heike Schiller)

rampe_nordost6Theater-Tipp:
Nordost
im Kosmostheater
Bewertung: @@@@@

 Von Torsten Buchsteiner
Gastspiel des Theaters Rampe, Stuttgart,
in Koproduktion mit dem Ensemble Cantadoras

Mit: Adriana Kocijan, Janin Roeder, Petra Weimer
Inszenierung: Eva Hosemann
Bühne: Stephan Bruckmeier
Kostüme: Horst Wanschura
Lichtdesign: Ingo Jooß