Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred Horak

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Was ist ein Film schon wert? Jeder ist, so gut er werden konnte, fertig geworden. (Nikolaus Geyrhalter)

Wie bereitest du dich eigentlich auf Interviews vor?

Nikolaus Geyrhalter: Gar nicht. (Alle lachen)

Also entstehen die Fragen spontan vor Ort, wenn du die Menschen siehst?

Nikolaus Geyrhalter: Ja, total. Ich weiß natürlich schon ungefähr, wo ich mit dem Film hinwill. Alles andere ergibt sich. Die Neugierde kommt ja auch von den speziellen Arbeitsplätzen, von der Arbeit, von der Person. Ich mag vorher auch gar nicht viel mit Leuten reden, weil dann erzählen sie einem eh schon alles und das zweite Mal ist nie so schön. Gerade bei diesen Antworten, wo es mehr ums Situative geht, da ist einfach der spontane Moment einer Antwort extrem wichtig.

Das heißt, es wird auch keine Antwort zweimal gedreht?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ganz selten. Wenn ich das Gefühl habe, dass irgendwo etwas super war, aber trotzdem nicht funktioniert, dann komme ich vielleicht eine halbe Stunde später darauf zurück und versuche die Frage noch einmal anders zu formulieren. Aber das Antworten Wiederholen geht meistens ins Leere. Das Wichtigste ist, den Leuten die Angst zu nehmen. Wir schneiden es ja sowieso auch in ihrem Sinne. Wir können Sachen wiederholen und sie sollen nicht glauben, dass sie jetzt irgendwie gescheit reden müssen, wegen dem Fernsehen. Es geht ja darum, dass sie sie selbst sind. Ich erkläre ihnen immer, dass ich das wie eine Art Bühne sehe, Von da bis da geht das Bild, da sitzt ihr jetzt. Schaut bitte gerade in die Kamera, realistischerweise knapp unter der Kamera durch, da verstecke ich mich, damit sich die Augen treffen. Es ist eine Selbstdarstellung und das soll es auch sein, das darf es auch sein. Dieser Prozess des gefilmt Werdens, den sollte man immer auch spüren. Da braucht man nicht so tun, als ob die Kamera nicht da wäre. Natürlich ist die Kamera da, die steht ja ganz präsent da und jeder weiß das, das Publikum weiß das, die Leute tun das und natürlich wissen sie, dass sie mit einem Publikum sprechen. Es ist sowieso eine Situation, die nicht der Realität entspricht. Aber wir versuchen nah an die Realität zu kommen.

Wie habt ihr die Personen ausgewählt?

Nikolaus Geyrhalter: Im Grunde ist es relativ trivial. Man hat eine gewisse Zeit, um an einem Ort zu drehen, eine Woche oder drei Tage oder wie auch immer und muss einfach das Beste daraus machen. Während man dreht schaut man sich um und hört sich um und versucht auszuloten, mit wem ein Interview Sinn machen könnte. Das ist immer auch ein Try-and-Error-Prozess und oft funktioniert es nicht. Die sieht man im Film dann halt nicht. Es ist nicht so, dass wir vorher hinfliegen und Leute casten, gar nicht. Aber speziell dort, wo nicht Deutsch gesprochen wird, hatten wir immer auch Aufnahmeleiter und Dolmetscherinnen, die natürlich auch im Hintergrund geschaut haben, wer interessant sein könnte und Leute in Gespräche verwickelt. Oft kommen auch Vorschläge von den Firmen. Den Baggerfahrer in Spanien haben wir einfach deswegen gedreht, weil er auf diesem großen Bagger sitzt und er auch gut war. Wäre er schlecht gewesen, dann wäre er nicht im Film. Oft ist es auch durch äußere Umstände vorgegeben, dass die Geschichte es erfordert, dass die Person, die dort oben sitzt, einfach auch einmal etwas sagt. Und alles andere ist dann Glück oder Pech. Je öfter man es versucht, desto öfter hat man auch einmal Glück.

Hast du mehrere Leute pro Abschnitt interviewt und dann die passendste Person herausgesucht?

Nikolaus Geyrhalter: Manchmal. Das ist immer auch eine Frage von Zeit und Ressourcen. Soweit es möglich war, haben wir uns natürlich eine Auswahl geschaffen. Das hängt dann ja nicht nur damit zusammen, ob jetzt eine Person im Interview besser oder schlechter ist, sondern auch davon, was die Personen in anderen Episoden sagen, damit es sich nicht wiederholt. Im Schnitt muss man dann schauen, dass jede Episode mit den anderen zusammenspielt und das ist dann eher oft ein Grund, warum Personen rein oder raus kommen. In Ungarn zum Beispiel haben wir fast alle Interviews verwendet, die wir mehr gedreht hätten, auch mit den Personen haben wir gar nicht so viel mehr gedreht als in Erde zu sehen ist. Kurz und auf den Punkt gebracht.

Jetzt würde mich noch interessieren: Wie empfindest du das, wenn du die Interviews liest, die du gegeben hast?

Nikolaus Geyrhalter: Es gibt schon gute und schlechte Interviews. Manchmal lasse ich es mir auch vorher geben, zum Durchlesen, wenn mir das schon ein bisschen suspekt vorkommt. Man sieht wirklich Interviews, die sind einfach super und die haben den Film getroffen und dann gibt es andere, wo ich mir denke: Hey, ein bisschen mehr anstrengen, bitte! Am Anfang ist man natürlich gespannt. Jeder Film, der fertig ist, ist wie so ein großes Kind, das seine Wege geht. Ich lerne schon immer auch viel über den Film in Gesprächen und Interviews mit anderen Leuten. Diese ersten Gespräche sind die schwierigsten und die sind auch für mich immer wichtig, auch die ersten Publikumsgespräche. Da merke ich auch selber erst, wo der Film wirklich steht. Und dann so nach dem fünften oder sechsten Gespräch wird es ein bisschen zur Routine und dann macht man das noch zehn Mal und dann ist es langweilig, so ungefähr.

War Erde ein Herzensprojekt?

Nikolaus Geyrhalter: Jeder Film ist, solange man ihn dreht, ein Herzensprojekt.

Welcher war bis jetzt am befriedigendsten?

Nikolaus Geyrhalter: Das ist so, wie wenn ich dich frage: Welches ist dein Lieblingskind? Das geht nicht.

Ich habe nur eines. [Alle lachen] Und der ist mein Lieblingskind.

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ja, sobald es mehr als eines sind, funktioniert das nicht mehr.

Gibt es einen Film, der ganz besonders ist?

Nikolaus Geyrhalter: Das kann ich nicht sagen.

Das heißt, jeder ist gleich viel wert und hat gleich viel Priorität?

Nikolaus Geyrhalter: Wert? Was ist ein Film schon wert? Jeder ist, so gut er werden konnte, fertig geworden. Und von jedem habe ich zu einem gewissen Zeitpunkt gedacht, es ist gut, dass es diesen Film jetzt gibt. Er hat jetzt eine Funktion und gleichzeitig hat er seine Funktion in Archiven, sodass man ihn in hundert Jahren ausheben kann und schauen kann, was die Menschen damals gemacht haben. Ich mag Erde gern, aber Lieblingsfilm? Erde war sehr angenehm zu drehen, ich habe mich auch wohl gefühlt an diesen Orten, aber das macht ihn noch nicht zu meinem Lieblingsfilm.

Vielleicht umgekehrt: Gibt es irgendeinen Film, den du besser nicht gedreht hättest oder gemacht hättest? So wie Bob Dylan auch einmal gesagt hat, Es gibt Lieder, die ich besser nicht hätte schreiben sollen.

Nikolaus Geyrhalter: Nein, so ist es nicht. Wir haben einmal für den ORF und für ARTE einen Film über CERN gedreht. Da habe ich das Gefühl, dass wir nicht wirklich dorthin gekommen sind, wo ich hinkommen wollte, einfach weil es extrem kompliziert zum Arbeiten war und wir sehr limitierte Drehtage hatten. Das hätte noch ein bisschen schärfer werden können, aber ich schaue mir das auch nicht so an. Ich arbeite gerne, ich mache gerne Filme fertig und dann kommt der nächste. Und dann kommen Journalisten daher und beginnen das in Relation zu setzen, Warum hat er diesen Film gemacht? Ich arbeite jetzt nicht an einem WERK, sondern ich mache einfach Stück für Stück das, was ich glaube, das ich machen soll.

Man muss immer wieder einer Brotarbeit nachgehen, um diverse Medienprojekte aufzubauen, und da bleibt oft nur wenig Zeit neben dem Brotjob. Wie löst du das?

Nikolaus Geyrhalter: Dadurch, dass wir auch produzieren, gibt es auf eine gewisse Art und Weise ein Doppeleinkommen. Ich kann schon wirklich vom Filme Machen leben, aber ich weiß, dass es sehr wenige Kollegen und Kolleginnen in Österreich gibt, die das ebenfalls behaupten könnten. Nur von der Regie würde ich auch nicht leben können oder zumindest nicht so, dass man eine Familie adäquat erhalten könnte. Wir sind vier Produzenten in der NGF Nikolaus Geyrhalter Produktion. Wir teilen uns das, aber de facto bin ich einer von denen, also ich produziere nicht, sondern ich mache meine eigenen Baustellen. Die anderen drei, Wolfgang Widerhofer macht eigentlich mehr so die dramaturgische Beratung und Markus Glaser und Michael Kitzberger sind wirklich die, die sozusagen die Produktion machen bei uns. Generell, wenn man im Filmbereich oder im Kulturbereich arbeitet, dann ist das Geld, wenn man jung ist, eh okay und dann wird man älter und die Ansprüche steigen. Da, wo in der Bank oder im Krankenhaus Gehaltsklassen explodieren, tut sich im Filmbereich einfach nichts, weil die Kollektivverträge immer gleich bleiben und die prozentuellen Anteile einer Regiegage immer die gleichen sind… Eigentlich wird man als Filmemacher immer ärmer, je älter man wird. Und das hat gar nichts damit zu tun, ob man berühmt ist oder nicht. Das ist auch in Ordnung soweit, ich beklage mich gar nicht. Ich bin froh, dass ich arbeiten kann und eigentlich habe ich auch noch jeden Film, den ich machen wollte, finanziert bekommen. Aber es ist ein hartes Geschäft und wenn man dann mit einem Film wirklich auf keinem Festival eingeladen wird oder zweimal, dann wars das auch. Die Förderung legitimiert die Ausgaben oder die Investitionen in den nächsten Geyrhalter-Film immer damit, dass die Filme auf Filmfestivals laufen und quasi ein Kulturexport sind und das muss man auch einlösen.