purgatorioDer italienische Regisseur Romeo Castellucci hat für das Festival d'Avignon "Die göttliche Komödie" von Dante Alighieri in den drei Teilen "Hölle", "Fegefeuer" und "Paradies" inszeniert. Ein "unmögliches Projekt" wie er sagt. Der Reiz des Unmöglichen schlägt sich in einem Dutzend Festivaleinladungen auf der ganzen Welt nieder. Teil Zwei der "Divina Commedia", Purgatorio, der Läuterungsberg, war im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater an der Wien zu sehen.

Dante und das Fegefeuer als Ort der Läuterung, waren nur der Ausgangspunkt für Castellucci. Entsprechend assoziativ sind die den reaktionären Bildungsbürger berechnenden Bilderwelten. Wer soll hier geläutert werden? Der Zuschauer? Die Figuren auf der Bühne? Der Regisseur spielt mit den verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung.

Alle wissen es. Fürchten sich davor. Und schweigen.

purgatorio_7183apurgatorio_7193aDie Geschichte ist schnell erzählt. Mutter (Irena Radmanovic) und Sohn (Pier Paolo Zimmermann) machen jeder für sich ihre abendliche Routine. Der Vater (Sergio Scarlatella) kommt von der Arbeit zurück. Seine Routine ist das Cowboyspiel mit dem Sohn. Dabei missbraucht er ihn. Alle wissen es. Fürchten sich davor. Und schweigen. Das Drama braucht nicht viele Worte. Die Beschreibung des Geschehens wird auf einen hauchdünnen vor die Bühne gespannten Vorhang projiziert. Der Text ist an Harmlosigkeit kaum zu überbieten. "..." kann viel bedeuten. Wenn da nicht die Szene dahinter wäre. Langsamkeit und emotionsloses Flüstern machen aus der adretten 70er Jahre Villa mit dunkler Holzvertäfelung ein bedrückendes Gefängnis. Doch wieviel will man überhaupt sehen? Und wo schaut man lieber weg? Wenn der Vater den Sohn ruft und ihm den Cowboyhut zuschiebt, passt das schon nicht mehr zum Text: "Musik". Und was nicht zu sehen ist, bleibt immer noch zu hören. Vater und Sohn, gemeinsam im Kinderzimmer, aus dem neben allerlei anderen Geräuschen die Hilfeschreie des Sohnes dringen.

Einblick in die Alpträume des Sohnes

purgatorio_7246apurgatorio_2579aKein Wunder, dass der Kleine Kopfweh hat. Der faszinierendste Teil dieser 90-minütigen Aufführung ist der Einblick in die Alpträume des Sohnes. Riesige Blumen in verschiedenen Farbspektren und düstere Wolken ziehen vorbei. Der Cowboyvater bahnt sich durch das Dickicht, und das ohnedies schon bedrohliche Lärmrauschen (Musik von Scott Gibbons) steigert sich zum Sirenengeheul auf höchster Alarmstufe. Alles verschwimmt. Es ist vorbei. Der Herzschlag wird wieder ruhiger. Im letzten Bild liegt der alte Vater (Juri Roverato) spastisch zuckend auf dem Boden in dem nun leeren Salon. Den Cowboyhut braucht er immer noch. Der Sohn (Davide Savorani) ist ihm über den Kopf gewachsen. Wortlos legt er sich auf den hilflosen Vater. Auf dem Kreis davor drehen sich zwei Sterne gegeneinander. Die Sterne werden zu Kreisen, die Kreise zu Scheiben, die sich angleichen, aneinander reiben. Und dann ist Schluss. Wer lieber verdrängt und Raum für Spekulation lässt ist jetzt schockiert. Der Rest applaudiert, wenn auch etwas ratlos. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Luca del Pia)

purgatorio_7426aInfos zum Stück:
Purgatorio
Bewertung: @@@
Spielort: Theater an der Wien im Rahmen der Wiener Festwochen

INSZENIERUNG, BÜHNE, LICHT UND KOSTÜME / Romeo Castellucci
MUSIK / Scott Gibbons
SKULPTUREN, MASCHINEN UND PROTHESEN / Istvan Zimmermann, Giovanna Amoroso
BILDER / Zapruder filmmakersgroup
MIT Irena Radmanovic, Juri Roverato, Davide Savorani, Sergio Scarlatella, Pier Paolo Zimmermann