Zwischen 26. Februar und 7. März 2010 findet unter dem Motto "Spuren" das 13. Tanzfestival für junges Publikum statt.
Spuren also das Motto, Spuren, die durch gewisse Erfahrungen, Erlebnisse oder andere Menschen hinterlassen werden. Spuren hinterlässt aber auch das Tanzfestival Szene Bunte Wähne seit zig Jahren, in dem es alljährlich neue, internationale Produktionen aufspürt und großteils erstmals in Österreich zeigt. Und auch für 2010 haben die Festivalmacher internationale Produktionen aufgespürt: Rund zwölf herausragende Tanzstücke aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und natürlich auch aus Österreich sind für kleine, mittlere und große Kinder, Jugendliche und erwachsene Tanzfans zu sehen. Bleiben wir daher gleich bei den Spuren. Wichtige Spuren in der Tanzszene hat zweifellos Choreografin Pina Bausch hinterlassen. In Kooperation mit dem Tanzquartier Wien wird mit "Kontakthof mit Teenagern" (14+) beim diesjährigen Tanzfestival eine ihrer letzten Arbeiten aufgeführt. Kontakthof ist ein Ort der Begegnung, an dem man sich trifft, sich zeigt, sich verwehrt. Mit seinen Ängsten, Sehnsüchten, Enttäuschungen, Verzweiflungen. Es geht um erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, um erste Versuche und Zärtlichkeiten und was daraus entstehen kann. Jungen stehen oder hocken verloren im Raum, nehmen eine umarmende Pose ein, in die Mädchen hinein gleiten, sich jedoch augenblicklich wieder entziehen. Die Suche nach Zärtlichkeit und Annäherung missglückt auf ganzer Linie. "'Hdl' in einer SMS finde ich doof", schreit ein Junge, "da schreibe ich doch lieber 'Hab dich lieb'."
Als der Tag verschwunden war
Von Regisseurin Eva Bal und Choreograf Ives Thuwis wird mit Als der Tag verschwunden war (9+) ein kraftvoller, energetischer Mix aus Tanz, Poesie, Jazz und Big Band über das aufregende Gefühl jung zu sein beim Festival gezeigt. Im Moment zu leben. Ohne Zugeständnisse. Über das Alleinsein, über Wehmut und Angst. Über das Hoffen, Vermissen, Sehnen und Verliebtsein. Gemeinsam mit 13 jungen Menschen zwischen 8 und 15 Jahren, ließen sich Bal und Thuwis von der herzergreifenden Poesie des niederländischen Dichters Hans Lodeizen (1924 - 1950) inspirieren und suchten mit ihnen in den Gedichten nach Verbindungen zu deren eigenen Leben. "Pitsers" (14+) wiederum behandelt das allgegenwärtige Thema Mobbing und Gewalt unter Teenagern auf abstrakte, berührende Art und Weise. Stell dir vor: eine Kantine. Und den Moment, in dem Verspottungen und Beschimpfungen eskalieren und die Schlachtopfer zu Tätern werden. Ein explosiver Cocktail von tötlichen Worten, ein Sesseltanz, Entschuldigungs-Serenaden und ein Ketchup-Mord. Pitsers, was soviel wie "Zwicker" bedeutet, ist eine Bewegungsvorstellung, in der 11 Jugendliche Bilder großer Gewalt und kleiner Bösartigkeiten auf die Bühne bringen. Regie und Choreografie haben die jungen Theatermacher Jef Van gestel und Karolien Verlinden übernommen.
Die beiden Choreografen Joke Laureyns und Kwint Manshoven alias Kabinet K. werfen in "Unfold" (9+) hingegen einen sehr poetischen Blick auf die Welt. Über den Wunsch für jemanden zu sorgen und zu beschützen auf der einen Seite und dem, zu lernen, zu wachsen und jemand zu werden auf der anderen. Über nicht begreifen, aber einfach glücklich sein. In ihrer Werkstatt mit Nähmaschine machen drei Kinder zwischen 8 und 11 Jahren, ein Tänzer und ein Musiker, aus ihren Beobachtungen etwas Neues. Und wachsen daran. Und mit ihnen wächst auch die poetisch-wilde Musik Niko Hafkenscheids (bekannt u.a. aus Meg Stuarts & Philipp Gehmachers "Maybe Forever"), vom einfachen Gitarrenriff zur reichhaltigen Komposition. "Unfold" zu erleben ist wie ein Gemälde zu guter Musik zu betrachten. Die Atmosphäre spiegelt auf einer feinen, mysteriösen Ebene eine große Lebenslust. Glück und Fröhlichkeit werden in diesem Stück auf ganz unerwartete Art und Weise gezeigt. Ein Höhepunkt des Tanzfestivals verspricht Girls! Girls! Girls! (13+) vom Staatsschauspiel Hannover zu werden. Mit viel Witz und Ironie probieren elf junge Frauen im Alter von 13 bis 21 Jahren die verschiedensten Frauenrollen an und aus. Sie erzählen von Träumen, Stars und Fitnesswahn, und davon, wie schwer es ist, in einer Welt voller vermeintlicher Vorbilder den eigenen Weg zu finden. Zwischen erster Liebe, Karriereplänen und dem Wunsch, einmal Kinder zu haben, sieht sich die jüngste Frauengeneration mit Anforderungen und Zuschreibungen konfrontiert, die nicht selten die Grenzen zum Klischee überschreiten. "Girls! Girls! Girls!" will dem Phänomen Weiblichkeit auf die Spur kommen und das Frau-Sein feiern.
Eine Jacke ist eine Jacke ist eine Jacke ist eine Jacke ist eine Jacke
Der niederländische Theaterregisseur Jef Van gestel ist übrigens nicht nur mit "Pitsers" beim Festival vertreten, sondern auch mit einem zweiten Tanzstück, nämlich mit dem gruselig-schönen "Belle" (5+). Es erzählt das bekannte Märchen "Die Schöne und das Biest", aber auf ganz ungewöhnliche Art und Weise. So beginnt das Stück mit einem gruseligen Alptraum und entwickelt sich langsam zu einem lustigen Liebesduett. In spannenden Tanzsequenzen fordern sich Belle und das rührende Monster gegenseitig heraus, umkreisen sich und werden immer mutiger, denn wenn man sich einem unheimlichen Monster in die Augen zu schauen traut, kann man ein wundervolles Abenteuer erleben. Spursensuche als Entdeckungstour steht bei "Halbe Halbe" für junge Menschen ab 3 Jahren im Fokus. "Ich betrachte mich im Spiegel und mir fällt auf: Man hat zwei Hände, zwei Beine, zwei Ohren und zwei Augen, immer eins für jede Seite. Aber wenn ich genau hinschaue, dann sehe ich: wenn ich lächle, geht die Oberlippe ein wenig mehr nach rechts, ein Ohr ist höher als das andere und ein rebellischer Wirbel macht es unmöglich, die Haare in zwei gleiche Hälften zu scheiteln." "Halbe Halbe" (3+) von Association Skappa! aus Frankreich ist eine liebevolle Inszenierung über das scheinbar Gleiche und Ungleiche das einen umgibt. Im Zusammenspiel mit der poetischen Atmosphäre der projizierten Bilder und der Klänge der Musik, schenkt uns der Forscher einen neuen Blick auf die Welt um uns herum.
Das mezzanintheater, das sonst nur mit Theaterstücken bei Szene Bunte Wähne vertreten ist, präsentiert mit "Schwapp" (3+) unter Regisseurin Hanni Westphal erstmals ein Tanzstück, das von einer wundersamen Badewanne handelt, in der der Schaum immer mehr wird, in der das Wasser endlos rinnt, in der sich seltsame Dinge ereignen. Es handelt aber auch um ein ganz braves Mädchen, das mit Taucherbrille und Schnorchel auf eine abenteuerliche Forschungsreise geht, sowie um eine fürsorgliche Mutter, bei der das Kinderpflegeprogramm Haare waschen, Füße schrubben, Ohren putzen, Nägel schneiden auf der Tagesordnung steht. Die kritische Hinterfragung von Mode und vom Umgang mit Konsum und dem eigenen Selbstwert steht beim Stück Eine Jacke ist eine Jacke ist eine Jacke… (14+) von Waltraud Brauner, Christina Huber, Eva Kreuzer, Stefanie Sternig und Ning Teng, die allesamt von Milli Bitterli gecoacht werden, am Programm. Fragen und Überlegungen, die dabei gestellt werden: Was mache ich mit Kleidung? Und was macht die Kleidung eigentlich mit mir? Von der Stange auf den Körper und vom Körper in die Kleidersammlung. So "wertlos" Kleidung auch sein mag, so hat sie doch zum Ziel, den Wert der Körper zu steigern.
Ich will noch nicht schlafen gehen!
Zu sehen gibt es im Rahmen des Festivals auch Stücke von drei der wichtigsten flämischen Theaterinstitutionen, Laika, cultuurcentrum Hasselt und die Kompanie Inti. Im Tanzstück "NU" (8+) wird von Familien, Beziehungen, Generationen und den unterschiedlichen Sichtweisen in verschiedenen Lebensphasen erzählt. Die Besucher sitzen dabei mitten im Geschehen auf eigens gebauten Podesten, von wo aus sie die kribbelnde Tanzenergie richtig spüren können. Versprochen wird vom Festivalteam ein unwiderstehlich bezauberndes Erlebnis. "Sophie" (10+) wiederum wurde ursprünglich von Hans Hof Ensemble für Erwachsene konzipiert, der Choreograf und Tänzer Andreas Denk hat die Produktion dann in seine eigene Kompanie plan-d übernommen, das beim Festival erstmals gezeigt wird. Andreas Denk zeigt auf sensible Art und Weise, wie ein schweres Herz das Leben eines Mannes verändern kann. Wie er Trost im Alkohol sucht, aber dadurch nur noch mehr strauchelt. Wie er die Gewalt über die Realität verliert und seine Welt, sein Zimmer, seine Werkstatt ins Wanken gerät.
Eine weitere Uraufführung steht auch mit dem Stück "Noch nicht!..." (5+) am Festivalprogramm. Noch nicht, heißt es allzu oft, wenn es für Kinder Schlafenszeit heißt. Was sich die Kleinen dann so alles ausdenken, um erst später ins Bett zu müssen, verarbeitet die Gruppe konnex im gleichnamigen Stück für alle ab 5 Jahren. Mit einem energetisch, emotionalen Umgang möchte das Duo Karla Zimmermann & Tobias Draeger mit dem Stück "Raumfrei" (15+) das Publikum in die Welt der Gegensätze von realer und virtueller Welt entführen und individuelle Bilder in den Köpfen der Zuschauer entstehen lassen. Raumfrei bietet einen frischen Blick auf zwei Welten, die das Leben in einem Moment so schwer und doch gleichzeitig so leicht erscheinen lassen als künstlerischer Pendel von verkopfter Philosophie und einfach jugendlichem, losgelöstem körperlichem Probieren. Und schließlich gibt es die letzte, die allerletzte Aufführung von Überraschung (2+) - über dieses Stück haben wir auf Kulturwoche.at ja auch bereits begeistert schrieben . Das alles und noch viel mehr (wie z.B. Workshops) findet sich also im Tanzspaß für junge Menschen beim 13. Tanzfestival Szene Bunte Wähne. (Text: pt/Manfred Horak; Fotos: A. Denk, Phile Deprez, Christophe Dumalin, Kurt Van der Elst, Martin Johann Krennbauer, Joep Lennarts, Christophe Loiseau, Oliver Look, Ruben Silke Lowie, Mezzanintheater, Mark Mühlhaus, Offspring)