Das Festivalpublikum, gewohnt international, jung und in den seltsamsten Klamotten gutaussehend, wird inzwischen fast ausschließlich aus den Workshopteilnehmern rekrutiert. Man zeigte sich aufmerksam interessiert an den aufstrebenden Performance-/Tanz-Konzeptkünstlern der von Christa Spatt kuratierten [8:tension]-Reihe. Die gezeigten Arbeiten schwanken zwischen kopflastig und spielerisch. Herausstechend wie schon 2009 Pieter Ampe und Guilherme Garrido.
Maija Hirvanen: On Ice
Das Solo der finnischen Choreografin Maija Hirvanen entsteht aus der Demontage einer Eishockey-Cheerleader-Performance. Das Ritual wird von Anna Maija Teräva mit feministischer Widerspenstigkeit ausgeführt. Während sie Aufwärmrunden läuft, 49 insgesamt, erläutert die Stimme der Choreografin das Konzept des Stücks. Anna Maijas Vorbereitung führt über einen Weg aus Büchern. Sie tauscht ihr Outfit gegen Jeans-Mini, enges Shirt und Gymnastik-Patscherl. Glitzerwimpern dazu, die halblangen Haare werden ins Gesicht frisiert und ausgiebigst mit Haarspray fixiert. Künstliche Bräune wird mit Erde an die Extremitäten geklopft. Sehr weiblich, aber gar nicht (auf)reizend. Nacheinander werden die einzelnen Elemente in ihrer Banalität abgearbeitet. Die Trocken-Choreografie ohne Pompons wirkt albern, der Text - natürlich herausgebrüllt - nicht komplexer als die Bewegungen und die Musik Stadionsicher. Die Episoden der Leistungsschau schwanken zwischen Ernst und Komik, doch die große Anstrengung bleibt, durchaus gewollt, sichtbar. Dreht man beim "O" die Lichter aus, wird daraus "nice".
Pieter Ampe & Guilherme Garrido: Still Standing You
Pieter Ampe und Guilherme Garrido sind zwei echte Kerle, in deren Begegnung sich ständiges Kräftemessen, spielerisches Austesten und dann wieder freundschaftliche Zärtlichkeit die Waage halten. In "Still Standing you" gibt es kein Herumgehüpfe mehr. Die zwei Herren stemmen das auch ohne Aufwärmen. Zu Beginn thront Gui auf den im 90 Grad Winkel vom Boden gestreckten Füßen von Pieter und präsentiert seinen zunehmend unentspannten Partner mit einem umwerfenden Lächeln dem Publikum. Sie trommeln sich mit den Fäusten auf die Brust, grunzen und springen aufeinander zu. Das gegenseitige Besteigen lässt nicht lange auf sich Warten. Keiner kann ohne den anderen einen Schritt tun, Gui wird zum Schatten von Pieter. Sie helfen einander gegenseitig und auch nicht, wofür Mitleidsschreie aus dem Publikum zu hören sind. Höchste Zeit für den nächsten Gewaltausbruch. Sie reißen sich die T-Shirts vom Leib, prügeln sich mit dem Gürtel die Königin der Nacht aus dem Leib, trumpfen mit Supermanunterhose (Pieter) und superheldenblauen Kniestrümpfen (Gui) und packen einander unter der Gürtellinie. Was nun folgt ist eine Serie unglaublicher Verrenkungen bei gegenseitiger Umklammerung zwischen den Beinen. Schließlich zieht der Eine eine Grenze aus Schweiß, die der Andere gleich einmal überspringen muss. Und doch malt er ihm Herz in den Rücken. Die beiden Herren waren mit ihrem ersten Duo Still difficult duet seit dem Sommer 2009 viel unterwegs und machen immer noch dein Eindruck, als würden sie gerne gemeinsam zur Arbeit gehen. Wir sehen ihnen jedenfalls gerne dabei zu.
Eleanor Bauer: Big girls do big things
Es gibt viele Arten Eisbär zu tragen. Die P.A.R.T.S. Absolventin Eleanor Bauer schlüpft in das vorbereitete Fell und erweckt den Bären zum Leben. Zunächst kindlich naiv, verschreckt von den Geräuschen der Tschinelle, entwickelt sich der Bär rasch zum coolen Zweibeiner mit Hip-Hop-Attitude. Atemgeräusche, Kunstpelzgeknister und Stöhnen. Mit allerbösester, tiefer Stimme versichert sie uns: "I am gonna do what I do I wanna do and you better hope I don't do it to you." Und schon wickelt sie sich den weißen Pelz locker um die Hüfte als Schwanenseetutu. Doch große Mädchen träumen von Cocktailkleidern und einer Showtreppe, auch wenn sie nur als Übungsleiter im Raum steht. Egal, wie "crazy" das sein mag. Mit jedem Refrain klettert Eleonor Bauer eine Sprosse und einen Ton höher. Einmal oben angekommen folgt die Erkenntnis, dass es an der Spitze einsam ist, auch wenn es schwer war dorthin zu gelangen. Darüber weiter sinnierend erbricht sie einen absurden, komischen Monolog über ihr orientierungsloses Leben. Wie der Schwan hat auch der Eisbär, der seine Unschuld verloren hat, eine dunkle Seite. Man muss das Fell nur umdrehen.
Sara Manente: Lawaai means Hawaai
Inzwischen ist es recht spät geworden. Nach 45 statt der angekündigten 10 Minuten Umbaupause geht der Abend weiter. Drei Mikroständer, Monitore, eine gänzlich offene Bühne. Die einfache Ausgangssituation wird rasch so unsexy wie es nur sein kann. Körper, Kleidung, Haltung, Haarschnitt, Wandergitarre, Intonation und Inhalt geben das Bild dreier farbloser Ökostudenten. Diese Leute würden nicht einmal Kunstpelz tragen. Über der Performance hängt ein Hauch von Tierschützeraktivismus. Der ist durchaus gewollt, geht es bei dem im Tänzerkollektiv erarbeiteten Stück um Lärmverschmutzung ("Lawaai" steht auf flämisch für "Lärm"), Abgrenzung und Konflikt verschiedener Räume und den dadurch entstehenden Stress. Insofern gelingt Sara Manente Umsetzung ihres Konzepts. Die adäquate Reaktion des Publikums: reihenweise Flucht. Die der Rezensentin ebenfalls. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Christophe Engels, Reinout Hiel, Hirvanen and Zodiak2010, Anna Van Kooij)
Kurz-Infos:
ImPulsTanz 2010
Maija Hirvanen (FI): On Ice
Bewertung: @@@@
Choreografie und Regie: Maija Hirvanen
Perfomer: Anna-Maija Terävä
18. Juli, 21:00
Pieter Ampe & Guilherme Garrido (BE/PT): Still Standing You
Bewertung: @@@@@@
Choreografie und Tanz: Pieter Ampe & Guilherme Garrido
gesehen am 18.7.2010
Eleanor Bauer (USA/BE): Big girls do big things
Bewertung: @@@@
von und mit Eleanor Bauer
gesehen am 11.8.2010
Sara Manente (IT/BE): Lawaai means Hawaai
Bewertung: @
Konzept: Sara Manente
Choreografie und Performance: Ondine Cloez, Michiel Reynaert und Sara Manente
gesehen am 11.8.2010