simon-mayer1Der Themenschwerpunkt "Village People" im brut Wien liefert jenseits der Stille ländliche Kulturpraktiken unters künstlerische Messer gewiefter PerformerInnen, die diese abstrahieren, persiflieren, zitieren, assoziieren und demontieren. Von Veronika Krenn.

Warum in die Ferne schweifen, auch vom Ländle gibt's was zu begreifen: Volkskultur oder was auch immer sich (groß-)städtisch sozialisierte Freunde der Künste darunter vorstellen mögen, hält Einzug in einen Tempel der Performance- und Popkultur. Weder vorm Jodeln, noch vorm Schuachplattln schrecken die vom Landleben mit allen kalten Wassern gewaschenen Rabtaldirndln ("Einkochen") und das All-in-One-Gesamtkunstwerk Simon Mayer ("SunBengSitting") zurück.

Veredelungspraxis

rabtaldirndln1"Die eigene Arbeit darf man nie rechnen" ist ein Satz, der meist in Bezug zu weiblichen Arbeitswelten gebraucht wird, aber auch im künstlerischen Arbeitskosmos oft Realität ist. Das steirische Theaterkollektiv Die Rabtaldirndln zitiert in "Einkochen" eine (vermutlich erfundene) Kollegin Elfi Umerwasser, die den obigen Satz in "Wer rechnet die eigene Arbeit, wenn nicht Du selbst" umwandelt. Die Rabtaldirndln jedenfalls haben das selber einkochen satt, weil es sich nicht lohnt. Sie werden zu Unternehmerinnen, die vorhandene Ressourcen sammeln (Eingekochtes, Eingelegtes, Eingemachtes, Eingerextes...), mittels Veredelung wertsteigern, teuer verkaufen und mit kleinem Abschlag an die Produzentinnen rückführen.

Literarische Stimmungsbilder

rabtaldirndln2Die Bühne im brut Wien ist nun Schauplatz einer Generalversammlung des jungen Unternehmens. Diese findet unter dem Vorsitz von vier Dirndln (Barbara Carli, Bea Dermond, Gudrun Maier, Gerda Strobl) statt. Ein Knecht (Bodo Hell) liefert literarische Stimmungsbilder dazu, aus dem Schriftführer wird so ein Schriftsteller, der mit würzigen Sprachbildern die trockene Materie verfeinert. Mit von der Partie ist auch Georg Klüver-Pfandtner, der sowohl zuständig für die Powerpoint-Präsentation ist, als auch beim Stangentanz eine gute Figur macht und die allzu trockene Finanzlage des Unternehmens anschaulicher erscheinen lässt.

Ans Eingemachte

Das Publikum hat am Eingang Stimmzettel erhalten und wird damit zu Gesellschaftern und Stimmberechtigten umfunktioniert. Die Devise: Mitsprache statt Absprache. Der Höhepunkt der Generalversammlung: Die Gesellschafter stimmen dem Geschäftsmodell der Veredelung zu und dürfen der Ausführung beiwohnen. Jetzt geht's ans Eingemachte: Unter leidenschaftlichen Klängen der Maultrommel (Bodo Hell) steigt jedes Dirndl entblättert in einen Bottich mit den verrührten Rohstoffen (durcheinander gemischtes Eingelegtes oder Marmeladen) und badet darin! Das solchermaßen aufgewertete Gut steht danach zum Verkauf an. Es soll nun mehr Wertanlage als Lebensmittel sein.

Bewusstseinserweiterung

simon-mayer3Nach dieser Generalversammlung der besonderen Art geht es weiter in der Probebühne von brut Wien mit Simon Mayers "SunBengSitting". Nein, das bezeichnet keine asiatische Bewusstseinserweiterungstechnik, sondern eine traditionelle oberösterreichische Praxis des Sich-einen-Platz-an-der-Sonne-Sicherns. Wobei, Bewusstseinserweiterung á la Simon Mayer ist das freilich auch, denn das Ganze wird zu einem visuellen und akustischen Spiel mit Möglichkeiten. Es beginnt mit Tänzen und gestampften Rhythmen, bei denen die vielfältigsten Einflüsse sichtbar sind, die bis dato wohl eher selten so genial ineinandergeflossen sind: klassisches Ballett, zeitgenössischer Tanz ebenso wie Schuhplatteln. Dazu kommen Aper- oder Goaßlschnalzen, Geigenspiel, Jodeln, Kuhglocken, Holzhacken, Kettensägen und vieles mehr, das Simon Mayer mittels Live-Loop (Sebastian Slupek) zu kongenialen Sounds verschmilzt.

Vergabepraxis

Eigentlich betrachte ich Themenvorgaben - wie hier Volkskultur und Folkloristik - die brut Wien seinen KünstlerInnen auf den Weg gegeben hat, mit Skepsis. Fast scheint es, als ob man den KünstlerInnen einen Happen Fleisch hinwerfen würde, an dem sie sich laben können, ehe sie ihre Kunststückchen - nach Vorgabe der Geldgeber oder Veranstalter - vorzuführen haben. Aber in Zeiten, in denen Förderungen für Künstler hochoffiziell an inhaltliche Bezüge zu Stadt, Land und Bund geknüpft werden, verwundert kaum etwas mehr. Freiheit der Kunst ist so wohl durch die ökonomischen Bedingungen eng begrenzt.

Village People

In diesen Fällen freilich, bei Simon Mayer und den Rabtaldirndln, wo ein reicher Schatz an Kreativität vorhanden ist, werden Vorgaben geschickt in der ganz eigenen, starken künstlerischen Handschrift umgesetzt. So gelingt die Quadratur des Kreises: Gelebte Freiheit der Kunst trotz begrenzender Produktionsrealität. Im Rahmen von Village People (bis 8.5.2014) stehen im brut Wien noch Doris Uhlich mit "Verfassung" - hier geht es um das Gemeinschaftsgefühl beim Volkstanz - und myvillages.org mit "International Village Shop" auf dem Programm. Unter dem Titel "Filmarchiv meets Village People" ist auch ein Programm mit themenbezogenen Filmen zu Volkstum, Choreographie und Formation zu sehen. (Text: Veronika Krenn; Fotos: brut Wien, Florian Rainer)

simon-mayer2Kurz-Infos:
Die Rabtaldirndln "Einkochen"
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung am 29.4.2014
brut im Künstlerhaus

Dramaturgie: Georg Klüver-Pfandtner
Mit: Barbara Carli, Rosi Degen, Bea Dermond, Gudrun Maier, Bodo Hell

Eine Koproduktion von Die Rabtaldirndln und Festival der Regionen 2013

Simon Mayer "SunBengSitting"
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung am 29.4.2014

Performance, Choreografie, Musik: Simon Mayer
Kostüm, Bühne: Andrea Simeon
Ton: Rene 'Ringo' Grömer

Produktion: Sophie Schmeiser
Technische Recherche: Galo Moncayo

Eine Koproduktion von Kopf hoch/Simon Mayer, brut Wien und im_flieger.
Mit Unterstützung des Landes Oberösterreich und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.