Der Ballettdirektor der Grazer Oper, Jörg Weinöhl, lädt mit "Meine Seele hört im Sehen" die Zuschauer auf einen lyrischen Tanzabend und eine barocke Reise in die menschliche Seele ein.
Meine Seele
hört im Sehen,
Wie, den Schöpfer
zu erhöhen,
Alles jauchzet,
alles lacht.
Höret nur,
des erblühenden
Frühlings Pracht
Ist die Sprache der Natur,
Die uns deutlich
durchs Gesicht,
Allenthalben
mit uns spricht.
Dieses Gedicht des deutschen Aufklärers Barthold Heinrich Brockes hat Georg Friedrich Händel vertont und ist der Titel des Tanzabends, den Jörg Weinöhl an der Grazer Oper lebensfroh, berührend und humorvoll realisiert hat. Die Zuschauerplätze auf der Opernbühne schaffen unmittelbare Nähe zu den 12 jungen, wunderbaren TänzerInnen, ebenso wie zum Grazer Philharmonischen Orchester, den Gesangssolisten Martin Fournier, Ivan Oreščanin, Lalit Worathepnitinan und Yuan Zhang unter der begeistert-ausdrucksvollen Leitung von Robin Engelen, der teilweise vom Cembalo aus dirigiert.
Seelen-Erkundungs-Spaziergang
Um im "Ein-und Ausatmen" barocker Musik das Mysterium der menschlichen Seele "tanzend zu umkreisen" und kaleidoskopartig unterschiedliche Seelenzustände zum Ausdruck zu bringen, hat Jörg Weinöhl 22 Werke u.a. von Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Philipp Heinrich Erlebach und Georg Friedrich Händel ausgewählt. Das Gleichgewicht dieser barocken Musikstücke trägt sein Ensemble durch Raum und Zeit. Die Kostüme von Saskia Rettig werden, dem besungenen Frühling gleich, von anfänglichem Weiß immer farbenprächtiger, tragen und spiegeln Tier- und Pflanzenmotive, integrieren den Menschen in den Kreislauf der Natur, in dem Frauen wie Männer Hosen und Röcke tragen, denn die Seele hat kein Geschlecht und äußert sich manchmal nicht eindeutig. In der Bühne, ebenfalls von Saskia Rettig, eröffnet sich vor dem Hintergrund des Schlosses Nymphenburg, in der Ansicht eines Stiches von 1722, ein barocker Garten, der Tänzer wie Zuschauer zu einem Seelen-Erkundungs-Spaziergang einlädt. Geometrische Versatzstücke an den Seiten, Hecken andeutend, bieten Platz zum Verweilen oder stillen Beobachten der anderen. Rechts, ein Labyrinth, in das einzelne Tänzer verlangsamt gehen, verschwinden und wieder erscheinen, als wäre es ein Eintauchen, ein sich Verlieren im Inneren ihrer Seele, um nach stiller Selbstreflexion nur noch fröhlicher und bunter wieder aufzutauchen, im Feiern des Lebens in vielfältigem Kontakt, Austausch und Empfinden. So trippelt man in der Gruppe, den suchenden Blick auf den Boden gerichtet, durch den Garten, hüpft leichtfüßig und beschwingt in den vogelzwitschernden Frühling, um gar selbst zum Vogel zu werden. Simon Van Heddegem erweist sich dabei als durchaus komisches Talent. Paare flirten, finden sich, streiten, oder sind einsam und voll Sehnsucht, wie auf Glatteis, wenig Halt findend. Jörg Weinöhl lotet die Seele des Einzelnen im Eingebundensein in "höfische Gesellschaft" mit ritualisierten Gesten und kollektivem Verhalten im Wechsel mit solistischen Momenten (wunderbar Kana Imagawa), aber stets mit wissendem, sensiblen oder zart-humorvollem Blick auf das Menschsein aus.
Getragen vom Klang einer Zeit
In einem Raum, in dem das helle Licht und die ferne Musik nur durch einen Spalt dringen, versucht Daniel Myers zerbrechlich und vergeblich seiner Seele schreibend Ausdruck zu verleihen. Und gleich darauf folgt barocke Festlichkeit in bunten Reifröcken (wunderbar kokett und berührend João Pedro de Paula). Das Einander-Abwerten, der Klatsch und Tratsch, das falsche Lächeln, die Neugier der anderen, wenn ein Paar sich findet oder wieder verliert, das verzweifelt-eilige Suchen nach der Toilette oder das Tasten nach der verlorenen Kontaktlinse... - Man erkennt in Weinöhls Formensprache und blitzartigen Standbildern Damaliges, wie Heutiges - nebeneinander und schmunzelnd - wieder. Die Seele, sie scheint in seinem Kosmos gelassen zu kommen und zu gehen, sich immer neu, mit Freude, liebend oder leidend, aber stets mit einer gewissen Leichtigkeit und Klarheit auszudrücken. Nach einer 90minütigen Seelen-Klang- und Licht-Reise (Lichtdesign: Bernd Pukrabek) reduzieren sich die Farben der Kostüme langsam wieder und die 12 TänzerInnen kommen schließlich in neutralem, unbeschriebenen, Weiß und barfuß zur Ruhe. In einer Reihe wenden sie sich nun mit offenem, stillem Blick an die Zuschauer und machen diese zu einem Teil des "Wir" des gesamt-sinnlichen Abends. Und wenn man am Ende auf der Grazer Opernbühne begeistert klatscht und mit den Beinen trampelt, hat sich die barocke Lebensfreude aller Mitwirkenden dieses wunderbaren Seelen-Tanzes hörbar übertragen. //
Text: Andrea Schramek
Fotos: Laurent Ziegler
Meine Seele hört im Sehen
Ein Tanzabend von Jörg Weinöhl
Vokal- und Instrumentalmusik des Barock
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Aufführung am 4.2.2018 in der Oper Graz
Musikalische Leitung Robin Engelen
Choreographie Jörg Weinöhl
Dramaturgie Jörg Rieker
Ausstattung Saskia Rettig
Licht Bernd Purkrabek
Es tanzen Marina Schmied, Fabio Toraldo, Simon Van Heddegem, Chris Wang, Sophie Vergères, Clara Pascual Martí, Daniel Myers, Bárbara Flora, João Pedro de Paula, Kana Imagawa, Astrid Julen, Martina Consoli
Sopran Lalit Worathepnitinan
Alt Yuan Zhang
Tenor Martin Fournier
Bass Ivan Oreščanin