Wie geht es weiter - die gelähmte Zivilgesellschaft, akttionstheater ensemble

Die gelähmte Zivilgesellschaft und die Mitleidsmasche: Wenn es der Gesellschaft schlecht geht, geht es mir sicher noch schlechter!

Wie geht es weiter - die gelähmte Zivilgesellschaft

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums feierte das Stück "Wie geht es weiter - die gelähmte Zivilgesellschaft" im Werk X die Wien-Premiere. Auf der Bühne zu sehen waren bekannte Gesichter des aktionstheaters wie Michaela Bilgeri, die sich mit einem Monolog über die befriedigende Wirkung von Geräteturnen über die Probleme der Welt hinweg stimuliert. Wenn die anderen Figuren auf der Bühne daraufhin auf ihren persönlichen Problemen, wie Schokoladensucht und fehlende weiße Sockelleisten herumreiten, vergisst man fast, dass kurz von Klimakrise und Weltfrieden die Rede war.

Die gelähmte Zivilgesellschaft, Foto: Gerhard BreitwieserEine Sache, in der Menschen besonders gut sind, ist die, sich selbst viel zu ernst zu nehmen. Die Problemchen und Wehwehchen über die wir uns täglich und stundenlang aufregen können und für die wir unsere ganze Energie für Kopfschütteln und zum Fluchen verbrauchen. Das Ensemble vom aktionstheater hat sich unter der Leitung von Martin Gruber entschieden einen Abend sich selbst und der Suche nach Problemen zu widmen. Ganz nach der menschlichen Mitleidsmasche: Wenn es der Gesellschaft schlecht geht, geht es mir sicher noch schlechter!

Martin Gruber beweist in Wie geht es weiter - die gelähmte Zivilgesellschaft einmal mehr sein Talent, scheinbare Banalität so lange auf kleiner Flamme köcheln zu lassen, bis die Essenz des Gesagten ganz von allein zum Vorschein kommt. Mit hitzigen Argumentationsketten auf die Probleme unserer Zeit aufmerksam zu machen, ist eine Inszenierungsweise, die schon oft ihr Ziel verfehlte und von der das aktionstheater Abstand nimmt. "Wir müssen im Gegensatz zur Politik, nicht das sagen, was wir glauben, was die Leute hören wollen", so Gruber über die Vorteile des politischen Theaters. Trotzdem spricht sich das aktuelle Stück klar gegen eine Kultur der Selbstzentriertheit aus. "Wie geht es weiter - die gelähmte Zivilgesellschaft ist der Versuch, eine Gesellschaft zwischen Saturiertheit und Prekariat zu skizzieren, deren Leidensdruck noch zu gering ist, um gegen einen gefährlich infantilen Rechtspopulismus und Nationalismus aufzubegehren."

Die größte Herausforderung an diesem Abend: Die Inszenierung muss von den Zuschauern und Zuschauerinnen auf allen Ebenen wahrgenommen werden, um ihre volle Wirkung zu erzielen. Die lustigen und traurigen Anekdoten allein, die auf der Bühne erzählt werden, kratzen lediglich an unserer Oberfläche. Die alltäglichen Absurditäten erinnern uns für einen Moment an das eigene Ich, machen uns aufnahmefähig für die eigentliche Botschaft, die durch harte elektronische Beats und die Stimme von Sänger Pete Simpson in unser Gedächtnis eingeschrieben wird. Passend zur Musik und im Takt der Worte bewegt sich das Ensemble durch den Raum - folgt einer Choreografie aus Schrittfolgen. Folgenschwer scheint das Ausbrechen aus dieser aber nicht zu sein. Nur der Stillstand wird bestraft. Das Fazit dieses aktionstheaterabends könnte demnach lauten: Wenn alle um einen herum still stehen, liegt es an uns selbst einen Schritt zu wagen. Einen Schritt in die richtige Richtung. //

Text: Kim Höbel
Fotos: Gerhard Breitwieser

Die gelähmte Zivilgesellschaft - aktionstheater ensembleWie geht es weiter - Die gelähmte Zivilgesellschaft

Bewertung: @@@@

Kritik zur Aufführung im Werk X am 12.06.2019
Spiellänge: 70 Minuten

Regie, Script, Choreografie: Martin Gruber
Musik, Komposition: Kristian Musser
Gesang: Pete Simpson
Dramaturgie: Martin Ojster
Video: Bildwerk X Valence
Sounddesign: Thomas Bechter
Regieassistenz: Laura Loacker
Körpertraining: Lukas Orphéo Schneider
Assistenz: Hacer Göcen
Technik: Andi Fitz/Florentina Kubizek
DarstellerInnen: Michaela Bilgeri, Maria Fliri, Andreas Jähnert, Thomas Kolle, Fabian Schiffkorn, Benjamin Vanyek