Ein bedeutendes Stück Theater feierte am 16.10.2024 mit "Alte Meisterin" unter der Regie von Sara Ostertag Premiere im Kosmos Theater Wien.
Alte Meisterin
"Iii", hatte ein Dozent ausgerufen, "das sieht wie der Schoß einer Frau aus", nachdem Judy Chicago in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Zeichnungen und Skizzen mit schematisierten weiblichen Körperformen zwei männlichen Dozenten einer Prüfungskommission vorlegte. Also malte sie dann Penisse, als ob sie ein Ausrufezeichen wären, und das gefiel ihren männlichen Dozenten deutlich besser. Ob dieser Anerkennung riet ihr ein männlicher Freund vorwurfsvoll, dass sie sich entscheiden müsse, ob sie eine Frau sein möchte oder ein Künstler. So wurde aus Judy Chicago eine feministische Künstlerin. Sie schuf die Installation "The Dinner Party", eine dreieckige Anordnung von 3x13 Gedecke für 39 Frauen aus Mythologie und Geschichte, als Gegenpol zum "Letzten Abendmahl" von Leonardo da Vinci mit Jesus und seinen 12 Aposteln. Es ist die Geschichte der Frauen anhand einzelner bedeutender Frauen, da die Leistungen von Frauen in der Geschichte zumeist verschwiegen würden. Der Erfolg der "Dinner Party" von Judy Chicago war dermaßen erfolgreich, dass ihr von männlichen Kritikern weiblicher Essenzialismus vorgeworfen wurde. Diese Anekdote kommt im Theaterstück "Alte Meisterin" nicht vor, aber das ist auch gar nicht notwendig, denn es gibt nur allzu viele Unverhältnismäßigkeiten in Bezug auf weibliche Künstlerinnen, und auch wenn Maria Lassnig heute, nach ihrem Ableben, verehrt und gewürdigt wird, so haderte sie zeitlebens mit kaum vorhandener Anerkennung, oder, wie sie einmal sagte: "Frauen werden von Anfang bis Ende ihres Lebens exploitiert."
Kanonfrage
"Alte Meisterin" beginnt damit, dass die verehrungswürdige Clara Luzia, ihres Zeichens Musikerin, das Leben von Maria Lassnig in einem Lied skizziert. Bausteine ihres Lebens mit all ihren Hindernissen und Umwegen, ein Lebenslauf in Poesieform. "Das Theaterstück bezieht sich", so Sara Ostertag im Interview, "eher allgemein auf den männlich dominierten kunstgeschichtlichen Begriff Alte Meister. Es gibt eine Publikation, die vor ein paar Jahren erschienen ist, The Story of Art without Men von der Kunsthistorikerin Katy Hessel, die auf Instagram angefangen hat nur weibliche Kunstschaffende zu portraitieren, beginnend von Alten Meisterinnen bis in die Gegenwart. Im Buch beginnt sie den Diskurs damit, dass sie sich die Frage stellte, ob ihr Blick ein quasi männlich lesender Blick ist und sie davon geprägt auch die Auswahl der kunstgeschichtlichen Entscheidungen daraus trifft. Ihre Antwort lautete Ja und beginnt ein simples Beispiel: Wenn ich zehn Künstler aufzähle, dann werden zehn Männer genannt – Botticelli, Tizian, da Vinci, usw. – und wenn ich zehn prägende Künstlerinnen aufzähle, dann kennt man diese Namen nicht, bzw. wie man sozialisiert ist, kennt man aus seiner Zeit einzelne Künstlerinnen, aber man kennt den Kanon nicht. Und von dieser Kanonfrage her sind wir gekommen, weil Maria Lassnig ja selber sehr stark immer gesagt hat, sie ist Künstler und nicht Künstlerin, weil sie gelesen sein wollte in einem klassischen Kunstgeschichtskanon – sie wollte gemessen sein mit Francis Bacon, und sie wollte nicht ihre Kunst als eine weiblich gelesene Kunst haben."
Collagenhafte Texte
Die Bühne ist ein Atelier, zu sehen sind einige großflächige Bilder von der bedeutenden österreichischen Malerin Eva Beresin, und während Clara Luzia eingangs das erwähnte erste Lied singt und spielt, kann das Publikum Eva Beresin bei der Arbeit zusehen. Die junge Fotografin Apollonia T. Bitzan, sowie die Schauspielerinnen Veronika Glatzner und Clara Liepsch komplettieren das Ensemble und rücken im Laufe des denkwürdigen Theaterabends nach und nach in den Mittelpunkt des Geschehens. Die collagenhaften Texte wiederum, zusammengestellt aus Texten von Maria Lassnig, aus Kunstgeschichtstexten und aus Sekundärliteratur, ergeben einen Protestschrei aus der Unsichtbarkeit heraus, einen Gegenentwurf zum mehrheitlich männlich dominierten Kunstkanon, eine Gesamtsituation. "Auch ich bin mit einem ähnlichen mehrheitlich männlich dominierten Kunstkanon aufgewachsen", erzählt Sara Ostertag, "egal in welcher Kunstsparte. Meine Generation reklamiert für sich eine eigene Sprache, eine eigene Begrifflichkeit. Die Generation hinter uns hat daher eine ganz andere Selbstverständlichkeit auf was man sich bezieht." Und so sehen wir, wie Eva Beresin die zwei großartig agierenden Schauspielerinnen bemalt und später die "Körperbewusstseinsbilder" – eine Erfindung von Maria Lassnig – übernimmt. Bei den ersten Versuchen hat Lassnig den Pinsel um sich selbst herumgeführt und als physische Erfahrung direkt auf das Blatt oder die Leinwand gebracht. Gegen Ende ihres Schaffens hat sie einen thematischen und stilistischen Schwenk unternommen und begonnen, mit Modellen zu arbeiten. "Das Schaffen von Maria Lassnig", meint Sara Ostertag, "war auch davon geprägt, dass sie sich von ihren erfolgreichen männlichen Künstlerpartnern getrennt hat, um auch diese Abgrenzung zu schaffen, nicht als Anhängsel gesehen zu werden." Das Stück bietet große Unterhaltung auf hohem Niveau, eine grandiose Mischung aus Schauspielkunst, Malkunst, Liedkunst und einer klugen Montage von diversen Textzutaten, das gänzlich ohne Belanglosigkeiten auskommt. Es ist ein berührendes, ein geradezu trauriges Stück, auch wenn etliche Textpassagen das Publikum zum Lachen bringt. Am Ende tosender Applaus und die Erkenntnis, eines der wirkungsvollsten Theaterstücke von 2024 erlebt zu haben. //
Text und Fotos: Manfred Horak
Foto Veronika Glatzner und Clara Liepsch: Hanna Fasching
Weitere Termine:
Alte Meisterin im Kosmos Theater Wien
18./19./23.*/24.**/25./29./30. Okt. | 20:00
20. Okt. | 18:00
* Einführungsgespräch um 19:00
** Publikumsgespräch im Anschluss
Hinweis: Während der Vorstellung wird fotografiert.
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