Blues - Soundtrack einer Tragödie "I'm standing at the crossroad, babe. I believe I'm sinkin' down." (Robert Johnson: "Crossroad Blues") Irgendwo auf einer staubigen Landstraße down in Mississippi. Die Sonne fällt sengend auf die Crossroads. Ein junger, dunkelhäutiger Mann, mit einer abgegriffenen Gitarre im Arm wischt sich den Schweiß von der Stirn. Bekleidet mit einem schwarzen Hut, Nadelstreifanzug und Krawatte steht er da, als warte er auf jemanden. Dieser Jemand, der erwartet wurde, so will es die Legende, war der Teufel höchstpersönlich. Das Aufeinandertreffen fand statt, eine Wette abgeschlossen, nämlich jene, wer schneller Gitarre spielen kann. Robert Johnson gewann. Sogar dem deutschen Schlager ist dieses Bild von einem Märchen nicht unbekannt, wenn sie auch dort bis zum Exzess verunstaltet wurde; und Keith Richards wollte von Brian Jones wissen, wer denn der zweite Gitarrist sei ("Das ist nur einer." - "Nur einer?" - "Nur einer!"), als die Rolling Stones zum ersten Mal Aufnahmen vom Bluesmusiker Robert Johnson hörten, der es zeitlebens auf bloß 41 Aufnahmen von insgesamt 29 Kompositionen brachte, bevor er am 16. August 1938 vergiftet wurde. Ja, ja, die Eifersucht... Me and the Devil "Es war einmal ein junger Mann/der trieb es leider ziemlich bunt/Der Teufel kam um ihn zu holen/dafür gab es manchen Grund..." (Paola: "Die Geschichte vom Teufel und dem jungen Mann") Der Teufel ist eine wesentliche Figur im Blues. Vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil mit den Erfindern des Blues ein Teufelsspiel getrieben wurde. Versklavung. Ku Klux Klan. Was heißt wurde. In den 1960er Jahren war das Tagesbild Amerikas von groben Verstößen gegen die Menschenwürde geprägt, als es getrennte Straßenbahnwagen und Busse gab. In Wohngegenden der weißen Bevölkerung wurde es Schwarzen nicht gestattet, ihrerseits Wohnungen zu beziehen. Joachim Ernst Berendt, 1960: "In Savannah wurden vor unseren Augen 32 Neger verhaftet und ins Gefängnis gebracht, weil sie sich in einer Schnellgaststätte hingesetzt und nicht, wie die Vorschrift ist, ihr Essen im Stehen eingenommen hatten. Am nächsten Tag saßen dann 30 andere Neger in dem betreffenden Lokal. Auch sie wurden verhaftet, so ging es eine Woche lang. Dann waren die Gefängnisse überfüllt, und die Stadt Savannah musste nachgeben, weil sie keinen Platz mehr hatte. Seitdem dürfen Neger beim Essen sitzen..." Um wie viel größer müssen die Repressalien gewesen sein, als im 19. Jahrhundert Negro-Spirituals gesungen wurden, jene Liedform, die lange Zeit als Geburtsstunde des Blues, dem Fundament des Jazz, galt, im besonderen wurde das Jahr 1890 häufig angegeben, weil in diesem Jahr die ersten Aufnahmen - die sogenannten "Race Recordings" - veröffentlicht wurden. Allgemein wird mittlerweile jedoch längst das Jahr 1903 als Geburtsjahr des Blues ausgewiesen. (Zeit für die große Klammer, denn im selben Jahr fanden in den USA neben der offiziellen Geburtsstunde des Blues noch zwei weitere Epochemachende Premieren statt. Zum einen gelang den Brüdern Wright in Kitty Hawk, North Carolina, der erste Motorflug, zum anderen wurde 1903 der amerikanische Film von der Praxis her gesehen in der Werkstatt Thomas A. Edisons in New Jersey geboren, wo ein Kameramann namens Edwin Porter den achtminütigen Streifen "The Great Train Robbery" schuf. Klammer zu.) Grund: W. C. Handy schrieb das Instrumental "Memphis Blues" und somit das erste Lied, in dem das Wort Blues im Titel vorkam. Dem "Memphis Blues" war W. C. Handys dritte Komposition und ist auch unter dem Titel "Mister Crump" [der Name steht für zu jener Zeit aktiven Politiker Ed Crump; Anm.] geläufig. Der Text von George A. Norton entstand 1913, ein Jahr vorher wurde "Memphis Blues" erstmals veröffentlicht. Die wohl gültige Version findet sich übrigens auf dem Album "Louis Armstrong plays W. C. Handy" (Columbia, 1954). Der Komponist über diese Aufnahme: "I never thought I'd hear my Blues like this! Truly wonderful! Nobody could have done it but my boy Louis!" Nobody knows you when you're down and out Die amerikanische Tragödie erlebte viele Tiefpunkte. Eine nicht unwesentliche davon war die große Depression. Stichwort Weltwirtschaftskrise. Am besten ging es damals dem Blues. In dieser Zeit entstanden nämlich die wichtigsten Aufnahmen, was ja bereits symptomatisch für diesen Musikstil ist. Aufnahmen, die verantwortlich für das Geschick der gesamten Populärmusik sind. Die gegenwärtige Musiklandschaft wäre kaum vorstellbar und würde genetisch völlig anders klingen, gäbe es keine Aufnahmen von Son House, Skip James, Blind Willie Johnson, Blind Willie McTell, Robert Johnson, Reverend Gary Davis, Bumble Bee Slim (aka Amos Easton), Blind Lemon Jefferson, Blind Willie Walker, Big Bill Broonzy, Memphis Minnie, Lonnie Johnson, Huddie "Leadbelly" Ledbetter, Blind Blake und wie sie alle hießen. Deren Gitarrenspiel ist und bleibt einfach unübertroffen, der Gesang ist mal Apokalypse, mal Paradies und die Texte, mit all ihrer strengen Reduktion und Wiederholungstechnik, bringen den Inhalt auf den Punkt, ohne jemals gekünstelt zu wirken. Die Texte nahmen sich dabei politischer wie gesellschaftlicher Ereignisse an - das Sinken der Titanic war genauso Thema, wie eine Aussage von einem Politiker, Überschwemmungen und anderen Unglücken. You can squeeze my lemon 'til the juice run down Erotik, Liebe, Leidenschaft und das daraus erwachsene Unglücklichsein war von Beginn an ebenfalls ein übermächtiges Thema im Blues. Schwülstige Liebesschwure und, um der Zensur zu entgehen, unterschwellige Aufforderungen zum Sex stehen in einer Vielzahl im Zentrum künstlerischer Ausdruckskraft. James Cone schrieb dazu in "The Spirituals and the Blues": "Weil uns bewusst ist, dass wir überlebt haben, dass man uns nicht vernichtet hat und das wir mehr sind als die Summe der Peitschenhiebe auf unseren Rücken, singen wir, um das Leben zu zelebrieren. Für schwarze Menschen ist die blanke Existenz schon eine Zelebration. Sie bedeutet Freude, Liebe und Sex. Sie besteht aus Umarmungen, Küssen und Gefühlen." Und, freilich, was heute gilt, war auch in den 1920er Jahren gültig: Sex verkauft sich gut. Die Bluessängerinnen und -sänger brachen damals etliche Tabus als sie über "the real thing" sangen. Eine Aufnahme von Georgia Tom und Tampa Red aus dem Jahr 1928 - "It's tight like that" - löste ob seiner mehrdeutigen sexuellen Anspielungen einen wahren Boom von Bluesstücken mit mehrdeutigen sexbezogenen Titel aus. Das Duo nannte sich in späterer Folge "Famous Hokum Boys", ihre Songs trugen Titel wie "Somebody's been using that thing" oder "Caught us doing it (Makin' Love)". Da ja den Blues zu singen immer schon auch bedeutet hat, mit dem Herzen und über die eigenen Gefühle zu singen, kann man sich leicht vorstellen, dass sexbetonte Texte nicht unbedingt der Phantasie entsprangen, auch wenn die Erfahrungen mitunter zuhöchst unschöne waren. Sängerin Ethel Waters: "Meine Sex-Ausbildung begann, als ich drei Jahre alt war. Ich schlief in dem selben Raum, ja oft in dem selben Bett wie meine Mutter und die wechselnden "Onkels". Nicht, dass ich damals voll verstanden hätte, was da vorging. Aber mit sieben war meine Sex-Ausbildung eigentlich komplett abgeschlossen." Lord, Stand By Me Und Gott? Mein Gott, der ist vielleicht wichtig und genauso dominant wie Sex. Oben erwähnter Georgia Tom z.B. war nicht nur ein Hokum Boy, sondern auch eine herausragende Figur der Gospelmusik. Wenn er gospelte nannte er sich Thomas A. Dorsey, mit seinem Gospel-Song "If you see my Saviour, tell him that you save me" feierte er 1930 einen ersten großen Erfolg. Mein persönlicher Liebling unter den Blues-Pilgern ist Reverend Gary Davis, nicht zuletzt weil sein Gitarrenspiel für mich zum Besten zählt, das ich bisher hörte. Von Dämonen und Engeln gibt es in seinen Texten genug zu lesen, aber auch einiges über die USA: "Oh Death, he keeps on riding/And he's knocking at every door/He's calling for the rich/Just as well as for the poor/There's a destruction in this land/Can't you see". Reverend Gary Davis' Karriere dauerte ziemlich lange an. Bereits 1911 spielte er in einer String Band, essentielle Aufnahmen stammen aus den Jahren 1935 und 1949, die jüngsten Einspielungen seines "Holy Blues" sind aus dem Jahr 1966. Blues-Lieder religiösen Charakters gibt's von so ziemlich jedem Blues-Man, so auch vom Begründer des Delta Blues, Charlie Patton. Wenige Monate vor seinem Tod am 28. April 1934 spielte er - neben Songs mit gehöriger Portion Schlüpfrigkeiten - einige Gott zugewandte Songs ein, u.a. "Oh Lord I'm in your hands". Er spürte eben, dass seine Zeit um ist, oder, wie Big Bill Broonzy einmal so treffend sagte: "Blues ist etwas ganz Natürliches, etwas wie man lebt. Wenn du es nicht lebst, hast du ihn auch nicht." Martin Scorsese präsentiert die Bibel des Blues Aber eigentlich sollte ja über die 7 DVDs von den Meisterregisseuren Martin Scorsese, Wim Wenders, Clint Eastwood, Marc Levin, Mike Figgis, Richard Pearce und Charles Burnett berichtet werden. Bitte schön. Gerne. Das Buch der sieben Siegeln, die sieben Todsünden, sieben Jahre Glück/Pech, die sieben Zwerge, die sieben Samurai, Herr der sieben Meere, über sieben Brücken musst du gehen, diese sieben Blues-Spielfilm-DVDs über sieben Reisen zu den Wurzeln des Blues muss man einfach sehen. Grandiose Filmsequenzen wechseln sich mit echten Raritäten ab, Humor kommt genauso wenig zu kurz wie fundierte Informationen und Unmengen an Interviews und Studioaufnahmen wie jene, in der man, locker wie schon lange nicht mehr, dazu mit derart viel Esprit, den Herrn Morrison, seines Zeichens Van the Man, schon lange nicht mehr gesehen und mit so viel Spirit und Herz schon lange nicht mehr live singen hören als er gemeinsam mit Jeff Beck und Jon Cleary in diesem kleinen Aufnahmestudio den "Rambler's Blues" spielte. Tom Jones stand zunächst noch etwas abseits und lauschte dem Belfast Cowboy gebannt zu, später stellte er sich selbst zum Gesangsmikro und zeigte, dass auch er einmal Bluessänger war und es weiterhin ist wenn er nur möchte.
Wie Briten den Blues neu erfanden
Zu sehen ist dieses Ereignis im Film "Red, White & Blues: Wie Briten den Blues neu erfanden", einem Film von Mike Figgis. Der Dokumentarfilm begibt sich, wie der Titel bereits leicht vermuten lässt, auf Spurensuche nach GB mit der Kernfrage wie die Briten auf den Blues kamen und welche Erfahrungen sie mit alten Bluesmusikern machten. Eric Burdon schreibt darüber in seiner Autobiographie "My Secret Life" (Palmyra, 2004) z.B. folgendes: "1963 landeten die Animals einen wahren Glückstreffer. Unser stetig wachsender Ruf als Rhythm & Blues-Band bescherte uns die Riesengelegenheit, mit Sonny Boy Williamson aufzutreten. Das Ergebnis [...] The Animals With Sonny Boy Williamson. Vermutlich unsere beste Live-Aufnahme. [...] Er war auch ein sehr misstrauischer Knabe. Er kochte sich immer sein eigenes Essen. Er hatte eine derartige Panik, wie Robert Johnson den Gifttod zu sterben, dass er niemals eine Mahlzeit zu sich nahm, die er sich nicht selbst zubereitet hatte." Die Spurensuche, egal aus welchem Blickwinkel betrachtet, ist im allgemeinen die Essenz der siebenteiligen Filmserie, die eigentlich ins österreichische Kino hätte kommen sollen, nun aber in einem schmucken Schuber als DVD-Serie veröffentlicht wurde. Jeder Film erzählt also seine ureigene Geschichte zum Thema Blues und bietet darüber hinaus eine Unmenge an klasser, zum Großteil sensationeller, Musik. Es ist zugleich Geschichtsunterricht, eine soziohistorisch-ethnologische Feldforschung, aufbereitet in mühsamer Kleinstarbeit, mit viel Engagement, Herz, Vergnügen und dem Beiseiteschieben vom Zwang Geld mit einem Film verdienen zu müssen.
The Soul of a Man
Phänomenal, mehr noch, der beste Wim Wenders-Film seit etlichen Jahren, ist "The Soul of a Man", die Schicksale von Blind Willie Johnson, J.B.Lenoir und Skip James, fiktiv nacherzählt vom blinden Musiker, der lange nach seinem Tod mit dem Song "Dark was the Night" Musikgeschichte schrieb und heute sogar die Menschheitskultur im Weltenraum vertritt. In bestechenden Bildern und Filmfolgen, mit Musik, die aus dem tiefsten Erdinnern rausprescht und bis zum Ende unseres Sonnensystems vordringt, wird der Filmkonsument, der Cineast, unweigerlich in den Bann gezogen. Diese Filmserie zeigt tragische Figuren, strahlende Stars, (fast zu) späte Wiederentdeckungen, feiert eine Musikform, die wie keine andere die Populärmusik beeinflusste. So findet denn auch ein Treffen der Generationen im Film "Godfathers and Sons: Sweet Home Chicago" von Regisseur Marc Levin statt. Chuck D von der HipHop-Band Public Enemy spürt Blues-Veteranen auf um ein Blues-Album einzuspielen. Dieses Generationentreffen ist ein berührendes Statement, bei dem ein großes unübersichtliches Puzzle zu einem Ganzen wird. Fragen werden aufgeworfen und Antworten erwürfelt, wie z.B. jene, wie es zum Begriff "Blues" kam (hier die Kürzestantwort: "Blacks + Jews = Blues"), man sieht aber auch rares Filmmaterial von den Söhnen aus früheren Jahrzehnten, Bob Dylan und der Butterfield Blues Band, von Jimi Hendrix und Chuck Berry, damit es ja allen klar wird, wie wichtig Blues aus dem frühen 20. Jahrhundert war, ist und immer sein wird, oder, um den Kreis zu schließen, wie Bob Dylan in seiner Autobiografie "Chronicles, Vol. 1" (Hoffmann und Campe, 2004) die Situation beschreibt, als er um 1960 herum zum ersten Mal Robert Johnson hörte: "Dave blickte auf und sah mich über seine Hornbrille hinweg an. Ich hielt die dicke Robert-Johnson-Azetatplatte in der Hand und fragte Van Ronk, ob er je von ihm gehört habe. Nein, sagte Dave, noch nie, und ich legte die Platte auf, damit wir sie uns anhören konnten. Bereits beim ersten Ton ließ mir der Sound aus dem Lautsprecher die Haare zu Berge stehen. Der scharfe Klang der Gitarre konnte schier die Fenster zum Zersplittern bringen. Als Johnson anfing zu singen, hatte ich den Eindruck, dass er in voller Rüstung der Stirn des Zeus entsprungen war." Die sieben DVDs sind sieben intensive Meisterwerke, die als Gesamtpaket in keiner seriösen Film- und Musiksammlung fehlen darf. (Manfred Horak) DVD-Tipps: {sus_amazon id=B0002RRRQ6&pid=kulturwoche-21} DVD 1: Martin Scorsese - Feel Like Going Home DVD 2: Wim Wenders - The Soul of a Man DVD 3: Richard Pearce - The Road to Memphis DVD 4: Charles Burnett - Warming by the Devil's Fire DVD 5: Marc Levin - Godfathers and Sons DVD 6: Mike Figgis - Red, White & Blues DVD 7: Clint Eastwood - Piano Blues 7 DVDs Gesamtbewertung: @@@@@@ Dauer: ca. 13 Stunden Bild: 16:9 Tonformat: Dolby Digital 5.1 und PCM Stereo Ländercode: PAL DVD 9 Kopierschutz: Ja Sprache: Englisch Untertitel: Deutsch CD-Tipps: Robert Johnson - The Complete Recordings (Columbia) {sus_amazon id=B000024TPB&pid=kulturwoche-21} Reverend Gary Davis - Demons and Angels (3-CD-Box, Shanachie) {sus_amazon id=B000059LEM&pid=kulturwoche-21} Bob Dylan - World Gone Wrong (Columbia) {sus_amazon id=B000025GOU&pid=kulturwoche-21} Various Artists - Blues at Newport (Vanguard) {sus_amazon id=B000000ECQ&pid=kulturwoche-21} Martin Scorsese presents the Blues - A Musical Journey (5 CD-Box, Columbia) {sus_amazon id=B0000C6JTT&pid=kulturwoche-21} Buch-Tipps: Robert M. W. Dixon, John Godrich, & Howard W. Rye - Blues and Gospel Records 1890 - 1943 (Oxford, Fourth Edition, 1370 S., ISBN 0-19-816239-1) {sus_amazon id=0198162391&pid=kulturwoche-21} Alan Lomax - The Land where the Blues began (Methuen, 542 S., ISBN 0-413-67850-4) {sus_amazon id=1565847393&pid=kulturwoche-21}
|
{sus_amazon id=B0002RRRQQ&pid=kulturwoche-21} |