Eine Adaption von Mark Twains "Prinz und Bettelknabe"? Oder doch eher von Carl Zuckmayers "Der Hauptmanns von Köpenick?" In jedem Fall ein Verwechslungsstück. Ganz sicher aber auch ein Film über einen Juden in der Nazizeit, der einfach kein Opfer sein will.
Victor Kaufmann, Sohn aus bester jüdischer Wiener Familie und Rudi Smekal, Sohn der Hausbesorgerin der Kaufmanns, sind miteinander aufgewachsen. Entwickelt haben sie sich - ihre Anlagen sind zu ungleich - unterschiedlich, doch gemocht scheinbar immer. Nach längerer Zeit getrennt treffen sie sich am Vorabend der Annektierung Österreichs in Wien wieder und innerhalb kürzester Zeit ist nichts mehr wie es war. Nicht nur, dass die Kaufmanns sich in ihrem Land täuschen, das sie naziresistent glaubten, beinahe schlimmer noch ist die Enttäuschung über die Entwicklung Rudis, der der SS beigetreten ist und die Familie verrät. Die Kaufmanns werden enteignet und ins KZ transportiert. Jahre später jedoch suchen die Nazis eine verschollene Zeichnung und hoffen, aus Victor Kaufmann die nötige Information pressen zu können. Sein Freund aus Kindertagen Rudi soll ihn nach Berlin bringen, doch stürzt das Flugzeug ab und "der Jude" bekommt die Möglichkeit, die Rollen zu tauschen und als Nazioffizier sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Rache und das Potenzial des kleinen Mannes Diesen Film gut und (bzw. weil) glaubwürdig macht die Darstellung des Rudi Smekal, dessen Person exemplifiziert, warum die nationalsozialistische Idee so viele Anhänger im Volk fand. Er ist "nur" der Sohn der Hausbesorgerin, nicht so gebildet wie sein Freund, nicht so schlagfertig, nicht so gescheit, nicht so charmant. Er bekommt ständig vor Augen geführt, was er nicht hat und niemals haben wird. Das lädt ihn mit Zorn auf, das macht ihn gefährlich. Es ist aber auch nicht so, dass sich da ein schwarzer Falter mit Totenkopf auf den Schwingen entpuppt und von nun an nur noch Schrecken verbreitet. Rudi ist verletzt und wie ein verletztes Tier schlägt er um sich, doch ist er im Inneren doch ein Lieber. Niemand ist geeigneter für diese Rolle als Georg Friedrich (Nacktschnecken). Sein Kollege Moritz Bleibtreu, der Victor Kaufmann verkörpert, bringt es auf den Punkt wenn er sagt, "man kann ja Georg nicht nicht mögen." Die Plausibilität dankt, es gibt keine glasklare Opposition, keine messerscharfen Gegensätze. Rudi ist Nazi (wenn auch nur aus Opportunität) und hängt an seinem Freund Victor, dem Juden, hasst ihn aber auch, weil er es immer besser hatte. Victor ist entsetzt über Rudis Taten, liebt ihn aber wie den nichtsnutzigen Bruder, dem man vieles verzeiht. All das ist gleichzeitig fühlbar. Es klingt an, dass der Film mehr zu bieten hat als den bloßen Effekt einer Verwechslung. Neben der Frage, ob Nazis per se gleich und ihrer Natur nach Wölfe sind, wird auch noch eine andere beleuchtet: Was passiert mit Menschen in Ausnahmesituationen wie dem Krieg? Ursula Strauss, die die gewichtige Rolle der Lena zwischen den beiden Männern spielt, gewährt hier ergreifenden Einblick in das Leben einer Person, die ihre moralische Integrität nicht vor die Hunde gehen lassen will, aber auch überleben muss und schützen will, was ihr zum Schutze übertragen wurde. Nicht erst der Überlebende triumphiert "Die Juden waren Hitlers Opfer in der realen Geschichte und sind es müde, in den Filmgeschichten wiederum nur als Hitlers Opfer dargestellt zu werden." So beschreibt Regisseur Wolfgang Murnberger seine Erkenntnis aus der Vorarbeit zum Film und Gesprächen mit dem jüdischen Drehbuchautor Paul Hengge. Das kann verwundern, muss es aber nicht, wenn man sich das Bild eines jüdischen Milieus beispielsweise nach Schilderungen Friedrich Torbergs vor Augen führt. Immer gewitzt und wenn lethargisch, dann einer Marotte wegen. Das graue, ausgemergelte Selbstbild ist da das eines unvorteilhaften Zerrspiegels. Ein Held aus NS-Opfersicht musste endlich in die von Mitleid paralysierte Filmwelt. Das gab es auf andere Weise schon in Roberto Benignis "Das Leben ist schön", noch nie aber so offensiv. Moritz Bleibtreu ist für die Umsetzung des eloquenten, witzigen und aufrechten Victor Kaufmann wie geboren, treffend ebenso seine Beschreibung seines Filmcharakters: "Der steckt bis zum Hals in der Scheiße und trotzdem ragt oben immer noch der Mundwinkel mit einem Lachen raus." Dass es sich um eine Fiktion und "bessere Wirklichkeit" handelt, zeigt sich auch im Verhältnis Victor - Rudi, als die Rollen noch nicht getauscht sind. Es sind nämlich buchstäblich noch die alten: Auch die Uniform verleiht dem kleinen Rudi keine Autorität. Das Prädikat 'Tragikomödie' ist verdient In diesem Film darf und muss gelacht werden - die besten Hitlerwitze gab es bekanntlich auch unter seinen Opfern. Er zeigt einen todtraurigen und schrecklichen Überlebenskampf; davor, danach und vor allem währenddessen Komik, die einem selbst und den Armlehnen im Kino Erlösung verschaffen. Dazu kommt das Moment der Hochstapelei, der ja oft Tragisches und Komisches immanent ist. Obwohl man auch von Tiefstapelei sprechen könnte: Der "Gute" gibt sich als der "Böse" aus, die Undercover-Mission 'Jude im Nazimilieu' wird Überlebens- und Selbsterfahrungstrip durch menschliche Abgründe. Der Film hat keine Längen, einige Wendungen und manchmal von der Filmmusik gestützte, zu komische Anwandlungen. Ganz so als wäre er eine Farce. Wirkt es deshalb manchmal, als sei er nicht aus einem Guss? Oder ist es das Stilmittel der Zerrissenheit? Einen Kinobesuch ist er definitiv Wert, alleine wegen der Schauspieler und ihrer Filmzwillinge. Auch der mehrdeutige Titel des Films wird adäquat abgehandelt. Es bleibt dem Zuschauer die Frage nach der politischen Dimension. Wie viel Kluft zwischen den Menschen darf man zulassen, bevor Neid in Hass umschlägt und Hass in Gewalt? Ein Thema, aktueller denn je. (Peter Baumgarten)
|
||