Die innovativsten digitalen Medienproduktionen aus Wien wurden am 13.11.2013 im Marx Palast prämiert. Ein (fast schon analoger) Rückblick über die Kurzweiligkeit eines langen Abends von Manfred Horak.
Galaabende und Preisverleihungen in Wien sind ja prinzipiell eher mit Vorsicht zu genießen. Mit Schaudern denkt man an diverse Amadeus Award und Nestroypreis Verleihungen zurück, die zumeist an der Peinlichkeitsschwelle entlang schweb(t)en. Oft wurde dieser Umstand den Moderatoren umgehängt. Dass diese Theorie nicht hält, erfuhr man beim Content Award Vienna 2013, der vom Schauspieler Michael Ostrowski moderiert wurde, also gewohnt flapsig, spontan und bemüht unlustig (und so für jede Menge Lacher sorgend). Der moderierte Teil geriet somit zu einer kurzweiligen Angelegenheit, und sogar auf Dankesreden wurde verzichtet (Danke!). Was genau den Unterschied ausmachte ist schwer zu analysieren, es waren halt viele kleine Teile, die im Ganzen Größe zeigten. Apropos: Die Einzelteile des Content Award, die Kategorien, sind rasch aufgezählt und die meisten davon sind selbsterklärend: Games, Apps, Shorts, Visuals, FemPower, Charakters, Partnerpreise. Die Partner Awards werden von der Wirtschaftsagentur Mingo, von den Wiener Stadtwerken, von der Wien Holding, der Wiener Stadtentwicklung GmbH, von Infoscreen, der Wiener Zeitung und von W24 vergeben, alle anderen Kategorien werden von einer international besetzten Jury im Auftrag der Technologieagentur ZIT unter der Schirmherrin Vizebürgermeisterin Renate Brauner vergeben. Auffallend war, dass sich einige Gewinner von historischen Künstlerpersönlichkeiten wie u.a. Arnold Schönberg, Wassily Kandinsky, Bauhaus (Walter Gropius) inspirieren ließen, oder, wie im Falle von Georg Kreisler, mit einer Hommage bedachten.
Intuition über alles
Ich gestehe, mit der Kategorie Games kann ich nicht viel anfangen, denn Computerspiele sind nicht meins und waren es auch noch nie, vielleicht, weil mir nie fad ist. Wie auch immer, das Game mit dem schönen Namen "Blek" hat das Rennen gemacht und die 5000 Euro gewonnen, die in jeder Kategorie (ausgenommen Partnerpreise) ausgeschrieben waren. Hinter "Blek" steckt Kunabi Brother und in Blek stecken, so die Jurybegründung, "ästhetisch wirkungsvolle Reduktionen und eine besonders gelungene audiovisuelle Präsentation." "Blek" ist ein Geschicklichkeitsspiel mit Puzzle Charakter und ist von Bauhaus und Kandinsky inspiriert, basierend auf dem simplen Prinzip, das alles, was in "Blek" mit dem Finger auf das mobile Gerät gezeichnet wird, sich weiter bewegt und so abstrakte Real time-Animationen ergibt. In der Kategorie Apps wiederum machte nicht der vermeintliche Favorit Shpock das Rennen ("Shpock" erhielt den Partnerpreis von Mingo), sondern das Wiener Start-up OMAi für die Anwendung "Tagtool", "ein intuitives Instrument für spontane Projektionskunst." Mit "Tagtool" kann man mit beiden Händen malen und während des Malens mit intuitiven Gesten den Pinselstrich ändern. Zudem bietet "Tagtool" die Möglichkeit jederzeit zwischen Malen und Animieren zu wechseln. Außerdem kann man auch in Multiplayer-Sessions arbeiten und das vollendete Werk großflächig projizieren.
Raum und Zeit
Visuals, wie wir sie aus der Clubkultur kennen, sind ebenfalls eine eigene Kategorie beim Content Award Vienna. Hier setzte sich das Künstlerduo Depart aka Leonhard Lass und Gregor Ladenhauf mit ihren "Cloud Chamber Diaries" durch. Dahinter steckt das philosophische Thema Rekursion, sich also durch Mathematik, Logik und Informatik selbst zu definieren. Die Inspiration gab Arnold Schönbergs täglich gezeichnete Wolkenbilder, die er im Kriegswolkentagebuch mit den aktuellen Kriegsereignissen des Ersten Weltkriegs in Beziehung brachte. Schönbergs Ziel war dabei, ein Muster zu erkennen, um damit die Zukunft zu prognostizieren. Und genau dieses Motiv greift die Installation von Depart auf. Eine reale Person (Wissenschaftler im weißen Kittel) steht in diesem Visual mit einem virtuellen Wolkenwesen in Interaktion, wobei sich die beiden Screens genau gegenüber stehen. Die Jury war von dieser Projektion des Ego "nicht nur auf der technischen sondern vor allem auf der inhaltlichen Ebene" überzeugt. Um die Trennung von Raum und Zeit geht es bei Freeze-It - 30 Kameras, 1 Moment, dem Sieger in der Kategorie Open. Unter der Regie von Melanie Schneider und mit Tereza Mundilová, Lisa-Marie Reiter, Johannes Traun entstand ein Skater-Kurzfilm mit unglaublich interessanten Einblicken und eingefrorenen Momenten, das dem Betrachter die Möglichkeit gibt Raum und Zeit getrennt wahrzunehmen, oder, wie es in der Jurybegründung heißt: "Im Gegensatz zum klassischen Video kommt das bewegte Bildmaterial somit nicht durch chronologische sondern räumliche Abfolge der Einzelbilder zustande."
Frauen für Frauen
Leider immer noch notwendig sind Kategorien wie FemPower, da weiterhin - und das gilt auch für die (digitale) Wiener Medienszene und für die Medienbranche im Allgemeinen - männliche Dominanz in Schlüsselpositionen und Führungsetagen vorherrscht. In der Kategorie FemPower werden daher ausnahmslos digitale Medien oder Online-Plattformen prämiert, die unter maßgeblich weiblicher Beteiligung entstanden sind bzw. Gender Mainstreaming einen zentralen Stellenwert einnehmen. Gewonnen hat letzten Endes das weiblichste Projekt der drei Nominierungen, nämlich "Digitalista", eine Online-Plattform, die auch Networking-Events und Informationsabende organisiert. Ähnlich wie femous, die im Musikbereich um die positive Sichtbarmachung von Künstlerinnen und ihren Werken bemüht ist, wurde "Digitalista" "von Frauen für Frauen in der digitalen Branche gegründet." Die Sichtbarmachung von Frauen in der IT-Branche und das Aufzeigen von strukturellen Diskriminierungen (wie z.B. Vorurteile und schlechtere Karrierechancen) ist dem neunköpfigen Gründerinnenteam aus Wien ein wichtiges Anliegen, denn schließlich sollen durch die Arbeit von Digitalista "österreichische Onlinerinnen Selbstbewusstsein für ihre Position entwickeln und an ihrer Karriere arbeiten." Ein wichtiger Preis für eine wichtige Plattform.
Haltestelle Universum
Charakters nennt sich eine weitere Kategorie. Gemeint sind damit "grafisch dargestellte oder animierte virtuelle Figuren", die z.B. in Zeichentrickfilmen, Musikvideos, animierten Kurzfilmen, Games, Apps u. ä. vorkommen. Das halbe Millimeter große Bärentierchen aus der Gattung Tardigradia hat sich dabei mit Vehemenz durchgesetzt und überzeugte die Jury damit, "dass in Wien auch im Bereich Science Visualization Arbeiten auf höchstem Niveau entstehen." Ein wahrlich beeindruckender Kurzfilm von der Filmproduktionsfirma Industrial Motion Art, der auch auf YouTube zu sehen ist. Und auch die Wiener Produktionsfirma Neuer Österreichischer Trickfilm wurde ausgezeichnet, sogar zweifach, nämlich mit den Partnerpreisen von der Wiener Zeitung und von W24. Das Lied "Die Telefonbuchpolka" von Georg Kreisler erhielt damit eine wunderbare Hommage. Eine hervorragende Regiearbeit, die auch in der Dokumentation "Georg Kreisler gibt es gar nicht" zu sehen ist. Mein absoluter Favorit beim Content Award Vienna 2013 ist ebenfalls dem Genre Zeichentrickfilm zuzuordnen: "N Gschichtn (Episode 1)" von Eva Becker. Liegt wohl daran, dass ich surreale und philosophische Geschichten mag, und beides verbindet dieser Film. Das reichhaltige Comic-Werk von Moebius (Jean Giraud), der ja mit seinen assoziativen Erzählsträngen die Comic-Welt neu definierte, möglicherweise auch einige Filme von Woody Allen aus den 1970er/80er Jahren (Beckers Figuren haben nämlich nicht nur etwas Alienhaftes, sondern auch etwas Allenhaftes), könnte auf die Filmemacherin Einfluss genommen haben, ist aber nur Spekulation, Interpretation, Ansichtssache. Der Film dauert 18 Minuten, in dem wir mit großem Erstaunen und noch mehr Entzücken die vielen Botschaften sehen und vor allem endlich einmal eine Bushaltestelle im Universum. "Regeln gebrochen" und "Verrückte Ideen" sind nur zwei - äh, na ja - Begründungen, die von der Jury formuliert wurden, um Eva Becker den Preis zuzusprechen. Die Frage nach dem großen Warum zieht sich dabei durch den ganzen Film. Widerborstig. Charmant. Verschachtelt. Umständlich. Clever. Smart. Umgesetzt in ihrer ganz eigenen Multicolourwidescreenmadnesstechnology, also einer unwiderstehlichen Mischung aus Flashanimation, Stop Motion und Realfilm, "die", so Eva Becker, "leider in diesem Universum bisher noch nicht adäquat abspielbar ist." Dafür aber in einem anderen Universum, nämlich auf Vimeo. Fast schon Oscar-verdächtig. Und im Übrigen warten wir bereits auf Episode 2. Fehlt nur noch das Schlusswort. Gelungene Veranstaltung. Langer Artikel. Und aus. (Text: Manfred Horak; Fotos: ZIT)