Die digitale Revolution ist längst eingeläutet. Einher mit Veränderungen gehen immer eine gewisse Unsicherheit und die Frage nach Verantwortung. Im Journalismus (aber längst nicht nur da) wird diese Verantwortung gerne auf eine nachfolgende Generation abgeschoben, in dem Fall auf Digital Natives. Von Anne Aschenbrenner.
Zuletzt [Mitte/Ende Mai 2014; Anm.] kursierte auf Twitter ein mehrfach geretweeteter Text von Karsten Lohmeyer, der in seinem Beitrag Ich dachte, diese Jungjournalisten wären Digital Natives. Doch es war nur ein Märchen... auf sehr polemische Art und Weise versucht, das Märchen von Digital Natives zu enttarnen. Nicht nur deshalb frage ich mich: Wer hat diese Märchen überhaupt in die Welt gesetzt? Wie kann man überhaupt davon ausgehen, dass Menschen, die mit Neuen Medien aufgewachsen sind, diese auch kritisch und kompetent einsetzen können? Wie kurzsichtig und engdenkend muss man sein, zu glauben, dass junge Menschen, die mit sozialen Netzwerken groß geworden sind, automatisch Nutzen und Nutzung intus haben? Setzt man auch voraus, dass Kinder, die in einer Autowerkstatt großgeworden sind, Autos reparieren können?
Die ewige Hetzerei gegen diese JungjournalistInnen nervt nicht nur, sie schmerzt.
Diesbezügliche Medienerziehung steckt erst in den Kinderschuhen. Zahlreiche Fachdidaktiker machen sich erst jetzt Gedanken, wie man medienkritische Bürger ausbilden kann. In den Lehrplänen ist das längst nicht überall verankert, in vielen Schulen ist digitales Lernen noch ein Fremdwort. Die Auseinandersetzung mit Erziehung und Ausbildung von Digital Natives ist auch in der Lehrerbildung noch nicht, oder nur sporadisch, verankert. Die Katze beißt sich da in den Schwanz. Lohmeyer schreibt: "Viele haben sich die diffuse Angst ihrer Eltern und von so manchen Mainstream-Medium vor den sozialen Netzen zu eigen gemacht." Nur weil wir Journalisten sein wollen, sollen wir schon die komplette Tragweite des Internets verstehen? Wer legt uns das in die Wiege? Eltern posten unreflektiert Fotos vom ersten Stuhlgang im Netz, twittern jeden lustigen Spruch, den Kinder von sich geben. Wer aber mischt die Medienkompetenz in die Muttermilch? Schulen und Lehrer dokumentieren längst jeden Arbeitsauftrag, jeden Lehrausgang im Netz. Wer aber erklärt, dass man ein Xing-Profil braucht und wie man den Account anlegt und richtig betreut?
Auf welche Vorbilder hätten sie denn zurück greifen sollen?
Welche Vorbilder, das frage ich mich oft, haben eigentlich diese Jungen? Welches Bild von Journalismus erzeugen wir in Köpfen von Kindern und Jugendlichen - in einer Zeit, in der auch der medienrechtlich öffentliche Rundfunk auf geringster Flamme kocht? In der teilweise verhetzende Boulevardmedien als Gratiszeitung unsere U-Bahnen überschwemmen? In der Boulevardmedienwerbeplakate in den Schulen hängen? In der Medienförderungen permanent gekürzt werden? In der große Medien ihr größtes Einsparungspotenzial bei den jungen Lesern sehen? In der David Hasselhoff in Berlin noch einmal mehr eine Berichterstattung wert ist, als die Sache um die es eigentlich geht? Was ist das für ein Bild von journalistischer Arbeit und Wertschätzung, deren Verbreitung wir zulassen und fördern?
Hauptsache gratis arbeiten oder sogar dafür bezahlen müssen
Junge Journalisten sollen sich im Berufsfeld behaupten können. Sie sollen gratis und teilweise sogar gegen Bezahlung eines Praktikumbeitrags (!) eine Fülle von Praktika absolvieren. Sie sollen das Netz bevölkern, bewohnen, bewirtschaften und bekommen (wenn überhaupt) wenig dafür bezahlt. Zu erkennen, dass Digital Natives keine Experten sind, ist ein wichtiger Schritt, um junge Journalisten einen Einstieg in ein (schwieriges) Berufsfeld zu ermöglichen und der Ausbildung neue Impulse und vielleicht sogar eine neue Ausrichtung mit neuer Schwerpunktsetzung zu geben. Die Liste, die im Blogeintrag von Karsten Lohmeyer zu finden ist, stellt unter diesem Aspekt durchaus einen sinnvollen und guten Ansatz dar, mehr noch, ich schätze diesen Input als wertvollen Beitrag.
Didaktisch verwerflich
Den Frust als Lehrender und Vortragender hingegen, der aus Lohmeyers Zeilen springt, das Gefühl vor Studierenden gegen eine Wand zu reden, kann man durchaus nachvollziehen. Permanent allerdings die Unfähigkeit der Studierenden und Jung-Journalisten zu betonen, permanent, das (noch) Nicht-Können vor Augen führen, das Bloßstellen und Verunglimpfen einer ganzen Generation von überdurchschnittlich bemühten und unterdurchschnittlich bezahlten jungen Journalisten ist nicht nur wenig zielführend, sondern, by the way, auch didaktisch verwerflich.
Ein Bewusstsein für Neue Medien ist in vielen Bereichen noch nicht überall vorhanden.
Ein Umstellen von Lebens- und Arbeitsbereichen unter Einbeziehung von digitalen und sozialen Medien ist nicht nur im Journalismus zwingend, ein Umdenken muss auch im Privaten erfolgen, und erfolgt auch bereits - dies braucht aber Zeit und außerdem Menschen, die sich damit auseinandersetzen, Erfahrungen sammeln, auswerten und weitergeben. Erziehen durch Beschämen ist nicht nur sinnlos, sondern faschistoid. Ich möchte kein Ping-Pong eröffnen. Ich möchte nicht zurückschießen. Ich möchte, dass offensichtliche Experten ihre Expertise überdenken. Ich wünsche mir, dass man nicht sagt: ...denn sie wissen nicht, was sie tun. Sondern: ...sie wissen es noch nicht, und wir suchen gemeinsam einen Weg. Die einen haben nämlich den Blick von außen und die anderen die Erfahrung von innen. Und vielleicht lernen wir voneinander. Karsten Lohmeyer hat in seinem Blogbeitrag eine sehr gute to-do Liste für Jungjournalisten erstellt. Würde er sie ohne den verletzenden Überbau noch einmal online stellen - ich würde den Beitrag gerne retweeten. (Text: Anne Aschenbrenner; Foto: Karsten Lohmeyer; Grafik: Dimity's ICT Blog)