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longodavidesteingaenger

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Klaus Wagenbach Verlag, Berlin (2007)
Roman
Aus dem Italienischen von Suse Vetterlein
Gebunden, 172 Seiten
ISBN: 9783803132086

"Solche Leute sterben nicht in ihrem Bett"

Fausto ist tot, ermordet. Seine Leiche findet ausgerechnet der alte Cesare, der ihn damals in das Schleuserhandwerk eingewiesen hat. Musste er sterben, weil er auf seinen nächtlichen Grenzgängen seit einiger Zeit auch Drogen schmuggelte oder gibt es einen anderen, mit den verborgenen Leidenschaften und Ängsten der mürrischen Dorfbewohner verflochtenen Grund?

Die gebirgige Grenzregion im Piemont ist Schauplatz von Davide Longos Roman "Der Steingänger". Hier, wo die Menschen unter sich sind und die moderne Welt fern scheint, brachte Cesare, der "Franzose" wie sie ihn nennen, jahrelang Flüchtlinge über die Grenze nach Frankreich. Seit Jahren ist er schon im Ruhestand, ein einsamer Witwer, der seine Tage mit Holzschnitzereien zubringt.  Nun ist sein Nachfolger und Taufkind Fausto erschossen worden und die Polizei tappt im Dunkeln. Auch der junge Sergio, der alleine mit seinem Vater auf einem Hof lebt, macht sich so seine Gedanken. Als er entdeckt, dass Fausto seinen letzten Auftrag nicht mehr ausführen konnte, liegt es an ihm und Cesare, einen letzten und entscheidenden Grenzgang zu wagen.

Die Steine im Mund, die nicht schmelzen

"Der Steingänger" ist nicht so sehr die Aufklärung eines Mordes, sondern vielmehr eine Geschichte des Schweigens – anstatt der Wörter sind in der einsamen, zerklüfteten Natur andere Dinge bedeutsam: Gesten, Blicke und die Veränderungen der umgebenden Landschaft. Diese bestimmt den Rhythmus der Menschen und zwingt sie in ihr Schicksal – jeder von ihnen ist ein Mangiatore di Pietre, wie das Buch im Original heißt, ein schweigender Steinesser, dem die "[…]Steine im Mund einfach nicht schmelzen."

Es sind isolierte, stille Helden, die in Davide Longos Büchern bedächtig nach der Wahrheit graben, auch wenn ihnen klar ist, dass ihnen diese nur weitere Zweifel, nur weiteres Leid bringen wird. Nicht ohne Grund lernte bereits der junge Cesare, "[…]daß das Schweigen die Dinge festh[ä]lt." Doch unter dieser Decke des Schweigens brodelt die Gewalt, jeder verbirgt etwas und jeder ist schuldig. Am Ende stehen beide, der traurige Cesare und der noch junge Sergio vor der Wahl, sich dem Zyklus des Nichtssagens zu widersetzen und "den Stein zu schlucken."

"Der Steingänger" ist jedoch auch ein Text über das Verschwinden – was allerdings verschwindet ist nicht die Landschaft, es sind deren Bewohner, die wie Steine zermahlen werden, die einfach erodieren. Longo beschreibt Dörfer ohne Menschen und verlassene Häuser, die wiederum in die Stille der Bergwelt eintauchen, als hätten sie nie existiert. Diese zerklüftete Umgebung spiegelt sich auch in der Sprache wider – die schroffen kurzen Sätze werden nur von Naturmetaphern und den lakonischen Dialogen unterbrochen, die in ihrer Sparsamkeit den versteckten Hinweis, ja die Andeutung zum Prinzip erheben. Der 36-jährige Davide Longo ist in seiner Heimat Italien nicht umsonst bereits ein preisgekrönter Autor. "Der Steingänger" ist ein intensiver und bewundernswert konsequenter Roman – es bleibt zu hoffen, dass auch das Erstlingswerk Un mattino a Irgalem bald übersetzt wird. (Bernhard Pöckl)