Kein Imbiss, sondern ein Gedichtband gegen die Schnelllebigkeit. Ein Aufbegehren gegen den Wahn von Tempo und schnell verbrauchendem Konsum. Ein im besten Sinne langsames Buch. Der Gedichtband "Scardanelli" von Friederike Mayröcker lässt einen innehalten.
Die Trägerin des Büchner Preises ist längst zur Sprachikone geworden, mit dichten und dichtesten Eindrücken in ihren Zeilen und auch dazwischen. Lange Jahre im produktiven Einklang und Widerstreit mit ihrem Lebenspartner Ernst Jandl hat sie eine poetische Intensität erreicht, die für sich steht und die in stiller Größe mit der Sprache behutsam, forschend und dennoch ihre Territorien erweiternd umgeht. In diesem Gedichtband misst sie sich mit einer romantischen Ikone: Friedrich Hölderlin, der von seiner wahnsinnigen Zeit zum Wahnsinnigen erklärt wurde und in seinem Turmzimmer über dem Neckar als "Scardanelli" unvergängliche Verse schuf. Sie trifft ihn, in langen Spaziergängen und durchschriebenen Nächten. Sie begegnet ihm mit Respekt, ohne sich zu scheuen, aus seinen Versen heraus in völlig neues Land zu gehen. Mayröcker nimmt Hölderlins Steine des Anstoßes, um sich in ein Terrain hinein zu wagen, in dem formale Konventionen, intime Bilder und sprachliche Rätsel gleichberechtigt zueinander finden. Es sind Zeilen des Alters, der Reife, des Überblicks. Aber immer wieder auch brennende Sehnsüchte und Erinnerungen, die da in nicht leicht fassbare, aber umso tiefer wirkende Gedichtbilder gefasst werden. Als Themen tauchen Natur, Landschaftsbilder - echte und erdachte -, sowie Gedanken an "EJ" und Blicke in eine blasser werdende Vergangenheit auf. Aber auch Trauer, Elegien, oftmals unterbrochen von hymnischen Bildern der Freude. Vieles bleibt rätselhaft, fragmentarisch, mehr fragend als beschreibend. Vieles ist nur in Stimmung, in Hingabe an Rhythmus und Klang erlesbar, der schnelle Zugang zu ihren Gedichten bleibt verwehrt, was aber durchaus als großes Kompliment verstanden werden soll. Eine bemerkenswerte Antithese zu Popliteratur und Textverschleiß auf Frankfurter oder anderen Buchgroßmessen. Dieser Gedichtband braucht Zeit und Muße. Beides Faktoren, die als unmodern und oftmals auch unnötig gelten. Wer sich aber die Zeit nimmt, in diesen Zeilen Stunden zu verbringen, sich einzuhören, einzulesen, einzulassen, der wird belohnt mit einer Sprache und mit Bildern, die tief berühren. Dieses Buch ist ein poetisches Genussmahl. Kein schneller Imbiss, kein "Coffee-to-go". Entschleunigung in schönster Form. (Text: Tristan Jorde; Foto: © Brigitte Friedrich)
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