Dieses Buch handelt ganz stark von Artenschutz. Bedrohte Wörter aus dem alten Wienerischen finden sich zuhauf in dieser Geschichtensammlung von H.C. Artmann. Ein unverfälschtes, schräges, altes Wien wird in diesem bunten Potpourri von Schnurren und G’schichtln wortreich austapeziert.
Von Rossknödelsammlern, Türlschnappern und DonaurauchernH.C. Artmann - einfach einer der ganz Großen der österreichischen Nachkriegsliteratur - sieht genau hin, wie diese Wienerinnen und Wiener ihr zumeist nicht sehr luxuriöses Leben meistern. Allein dieser geschärfte Blick auf die Miniatur - fernab von Glanz und Gloria eines verklärten, "kaiserlich" angehauchten Wien - obwohl er auch diesem eine spöttische Begegnung widmet - verführt Lesende geradezu magisch, sich auf diese sprachgewaltige Reise durch Tschocherln, Wirten und Stehweinhallen einzulassen. Alkohol spielt da immer eine zentrale Rolle, sei es als Konfliktauslöser ("...waun anar amoe zum Sauffn aufangt, daun is da Karakta tschäuli.") oder auch als Dämpfungsmittel gegen den allgegenwärtigen Weltschmerz der Wiener, die resignierte Fügung ins Unvermeidliche. Und Artmann hat dazu das ganze literarische Werkzeug, uns lachend und böse betroffen gleichzeitig in seinen Bann zu ziehen. Messerscharfer Blick in kuriose AbgründeWir erfahren staunend von handyfreien Zeiten, in denen bei der Telefonzelle im Hawelka Schlange gestanden wurde. Von längst verrauchten Zigarettensorten der Marke Donau (gut gegen Gelsen) oder den Beuschelreißern Austria 3. Von Attentaten mit explosivem Radi im scheinbar friedlichen Schrebergarten und von den Leiden der Menschen, die aus sozialen und spirituosen Gründen das "Pfandl" aufsuchen müssen. Ein Kaleidoskop der surrealen Gestalten und Situationen tut sich auf vor uns, etwas, das vermutlich nur ein Fellini in bewegte Bilder hätte setzen können. Gibt man sich dem puren Lesevergnügen hin, entstehen geistig alle möglichen und unmöglichen Orte des echten Wien, diesem sich raunzend perpetuierenden Kreuzungspunkt aus Welttragödie und Heurigen. Wer Artmann noch nicht kannte, dem bietet sich dieses Büchlein als kurzweilig-absurde Einstiegskost dar. Und wer schon Genießer war, kann den großen Autor hier z. B. nächtens vor dem Einschlafen aufs Neue entdecken und sich freudig lachend in H.C.'s Sprachlabyrinthe (das waren doch Zeiten, als dieses Kürzel noch eine literarische Bedeutung hatte...) und abgründige Situationen entführen lassen. - Und allen eingefleischten Wienerinnen und Wienern (wie auch mir) sei ans Herz gelegt, dass, wann immer sie dazu tendieren, sich allzu wichtig zu nehmen, sie sich mit steigendem Vergnügen dem spöttischen Blick Artmanns hingeben sollten. Dabei wird die Welt etwas entspannter, sprachlich dafür erheblich spannender und viel, viel vergnüglicher. (Tristan Jorde; Foto: Isolde Ohlbaum)
|
||