mit den Schlagworten:

frauenlandFür ihr Romandebüt "Frauenland" erhielt Rachida Lamrabet 2008 in Belgien den Vlaamse Debuutprijs, den Preis für das beste flämische Debüt des Jahres. Heike Baryga hat den Roman nun aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt.

Rachida Lamrabets Roman beginnt mit dem Tod eines jungen Marokkaners. Younes ertrinkt bei dem Versuch in einem schäbigen Boot von Marokko über das Meer nach Europa zu gelangen. Doch anders als bei vielen anderen, die das Meer überqueren ist sein Ziel nicht der Kontinent. Younes will das Meer überqueren, um der Frau, die er liebt einen Brief zu überbringen. Den letzten Brief nach vielen Briefen, die er geschrieben und die sie nie beantwortet hat.

Gefangen zwischen zwei Welten

Younes Tod beginnt die Leben einiger sehr unterschiedlicher Menschen auf den Kopf zu stellen. Lamrabets Figuren leben in völlig verschiedenen Lebenskontexten, doch sie alle sind durch Younes verbunden. Faiza lebt im selben Dorf, in dem auch Younes gelebt hat, und die in diesen verliebt ist, ohne es ihm jemals erzählt zu haben. Auch nach seinem Tod will sie nicht aufhören ihn zu lieben, eher möchte sie aufhören zu leben. Marwan lebt in Belgien, immer wieder muss er ins Gefängnis. Er findet sich nicht richtig zurecht mit dem Leben in Belgien, dem Land, in das seine Eltern ihn gebracht haben als er ein Kind war. Aber auch den Marokkanern fühlt er sich nicht zugehörig. Mariam ist überall in Antwerpen auf Wahlplakaten zu sehen, doch sie muss entdecken, dass ihre Partei sich nur mit ihr, der gebürtigen Marokkanerin, schmücken möchte. Mariam möchte sich von ihrem alten Leben trennen. Sie möchte Mara sein, eine emanzipierte, eigenständige Belgierin. Doch auch sie scheint gefangen zwischen zwei Welten.

Emanzipation als mühsam aufgebautes Bauwerk

'Frauenland', so nennen die marokkanischen Männer den europäischen Kontinent, weil sie meinen, eine eigenständige Frau würde den Männern das Verderben bringen. Doch für Mara ist selbst in 'Frauenland' eine vollständige Emanzipation nicht möglich. Sie versucht selbstbewusst aufzutreten, doch ihre Emanzipation entpuppt sich als mühsam aufgebautes Bauwerk, das schnell zu wackeln beginnt. Mara ist die vielschichtigste Figur in Rachida Lamrabets Roman. Ihre Mühen sich in Belgien anzupassen und die Rückschläge die sie dabei erlebt, haben sie kalt und zynisch werden lassen. Sie hat sich aus der einen Kultur gelöst, weil diese sie als Frau eingeengt hat, ist jedoch in der anderen noch nicht angekommen, weil diese sie wegen ihrer marokkanischen Wurzeln nicht völlig an sich heran lässt. Und Mariam ist Younes Sommerliebe, die Empfängerin vieler Briefe, die ungelesen und unbeantwortet geblieben sind. Younes letzter Brief erreicht Mariam nach dessen Tod und sie macht sich zusammen mit ihrem Bruder Marwan auf den Weg in Younes Heimatdorf. Die Reise verändert das Verhältnis der Geschwister zueinander und auch die Art, wie Marwan die Eigenständigkeit seiner Schwester akzeptiert. Sie werden mit dem Leben in Marokko konfrontiert, das so anders ist, als ihr eigenes in Belgien. Und sie erfahren vieles über die Kultur, aus der ihre Eltern stammen und die ihnen selber so fremd ist. In Younes Dorf treffen sie auf Faiza und durch diese Begegnung öffnen sich neue Türen.

Fremd gewordene Kultur

"Frauenland" ist ein Roman, der besonders in einer westeuropäischen Leserin so manche widersprüchliche Gedanken auslösen wird. Einige Zeit erscheint die Figur der Mara als so zerstört und bitter, dass sie und ihr Emanzipationswunsch einem als zu negativ dargestellt vorkommen. Dies verändert sich jedoch im Verlauf des Romans und die Leser/innen bekommen einen tieferen Einblick in Maras Entwicklung und warum sie teilweise so kalt reagiert. Befremdlich erscheint die Anwesenheit des Magischen in diesem Buch. Immer wieder haben die Figuren ein und den selben Traum, in dem der Tote zu ihnen spricht und am Ende offenbart sich für Faiza Younes Wille auf magische Art bei Safia, der Frau mit den besonderen Gaben. In "Frauenland" entdecken die Leser/innen eine fremde Kultur durch die Augen zweier Menschen, denen diese Kultur auch fremd geworden ist. Lamrabet zeigt die Unterschiede zwischen dem Leben in Europa und dem Leben in Marokko. Besonders deutlich wird dies durch Mariams Erlebnisse auf ihrer Reise. Lamrabet widmet sich jeder ihrer Figuren intensiv. Eine jede lernen die Leser/innen kennen, bevor sich ihre Lebenswege begegnen. Ein interessantes und auch aufwühlendes Buch, das sich auch in seiner deutschen Übersetzung recht gelungen liest. (Katharina Fischer)

frauenland1
Buch-Tipp:
Rachida Lamrabet: Frauenland
Bewertung: @@@@
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (2010)
Aus dem Niederländischen übersetzt von Heike Baryga