suzanne-vega2010Suzanne Vega hat etwas von einer irischen Marlene Dietrich. "Marlena on the Wall" war nicht umsonst eine Hommage an die feminine, doch erotische unabhängige Chanteuse. Zeitlosigkeit ist ein wichtiges Wort, um die immer noch in ihrer Geburtsstadt New York lebende Songstress und Dichterin zu beschreiben. Auf Twitter schrieb sie kürzlich, sie habe sich die Stöckelschuhe nach ihrem Auftritt gerne ausgezogen. Ein Bericht von US-Korrespondentin Denise Riedlinger (New York).

 

Diese melancholische, mit wenig Verzierungen die Tiefe des Augenblicks auslotende Stimme, das Outfit ein schwarzes Jackett und tiefroter Lippenstift. Ein guter Touch 80er New York. Suzanne Vega war auch 2010 on Stage bei SXSW (South by Southwest), dem alljährlichen Gipfeltreffen der alternativen Rockszene an der Eastcoast. Kurz zuvor spielte sie gemeinsam mit Laurie Anderson und Joan Osborne ein Benefiz für The Women's Project in Manhattan. Und zu Beginn des Jahres kuratierte Vega für Jazz at Lincoln Center die Reihe "American Soongbook", im Rahmen derer sie vor der Kulisse des Central Parks mit ihren Sidemen der ersten Stunde, Michael Visceglia (Bass) und Gerry Leonard (Gitarre) ein Konzert voller Highlights gab. In ihrer fast drei Jahrzehnte umspannenden Karriere scheint Vega zwar an Reife gewonnen, dafür aber nichts an ihrer urspruenglichen Natürlichkeit verloren zu haben.

"Love Songs". Der etwas banal klingende Titel der ersten, im März 2010 erschienenen CD von Suzanne Vega bis 2012 jährlich erscheinenden Werk-Trilogie "Close Up" und ihre manchmal so simple wirkende Songstruktur, stehen in scharfem Kontrast zur emotionalen Differenziertheit und der tiefen Poesie die Vegas kleine musikalische Erzählungen durchdringen.

Die letzte Dekade war nicht immer so erfolgreich für die Songwriterin, die 1987 mit dem Smash-Hit "My Name is Luka" und dem Album "Solitude Standing" einen kurzen aber blühenden Popstar Moment hatte und sich später mit den beiden Alben "99.9 F" und "Nine Objects of Desire" neu definierte, dank Produzent und damaligem Ehemann Mitchell Froom einen experimentelleren, industriell-trashigeren Sound adaptierte. 2001 erschütterte nicht nur 9/11 ihr New York, Vega hatte auch eine schmerzhafte Trennung von Froom hinter sich. 2002 verlor sie ihren Bruder Tim Vega an seiner Alkoholsucht. In einem vor kurzem im renommierten Magazin New Yorker erschienenen Artikel meint sie: "Für eine Weile wusste ich eigentlich nicht mehr, warum ich am Morgen aufstehen sollte."

Erst gegen 2006 ging es mit Vegas Karriere wieder aufwärts. Auf ihrem 2007 bei Blue Note veröffentlichten Album Beauty and Crime singt Vega: "New York is a Woman, she'll make you cry, but to her you're just another guy". Von Downtown Manhattan nach Williamsburgh, von der Bronx zur Upper West Side, Vega ist die Straßen abgegangen, hat die Geschichten der Reichen und Berühmten hier ebenso niedergeschrieben wie die ihrer Spielgefährten als Einwandererkind in einem kleinen Haus in der Bronx. Die meisten ihrer Songs und Gedichte sind eng mit der wilden, rauen Schönheit der Stadt verknüpft. Die natürliche Coolness dieses Lebens steht der inzwischen 50-Jährigen immer noch ins Gesicht geschrieben, ist nicht wie bei ihren New Yorker Altersgenossinnen wie Madonna oder Cindy Lauper aus der Seele verdunstet und aus dem Gesicht weg gebotoxt. So wie alle Großen versteht es Vega die Geschichten von realen Figuren und fiktionalen Charaktern aus der Luft zu greifen, zu verschmelzen.

Die Kontrolle über ihre Kunst hat Suzanne Vega zu keinem Moment abgegeben. In den 1980er Jahren schaffte es die Tochter deutsch-schwedisch-irischer Einwanderer im Cornelia Streetcafe nicht nur hunderte Fans zu mobilisieren, sie bekam kurz darauf auch ihren ersten Plattenvertrag. Die Produzenten jedes Albums wurden vorher genau unter die Lupe genommen. Von "Suzanne Vega" (1985) bis zu "Beauty and Crime" (2007) liegt eine entwaffnende Direktheit in diesen blauen Augen, und wenn sie sich, so wie bei letzterem, hinter einem schwarzen Hut verstecken, meint man ihren durchdringen, auffordernden Blick durch den Stoff zu spüren. Ein verspieltes Lächeln verrät Vegas blitzscharfe Beobachtungsgabe. Die Songs erzählen Geschichten von Leidenschaft ("Frank and Ava"), Tod ("The Queen and the Soldier", "Toombstone"), New Yorker Alltag ("New York is a Women", "Tom's Diner"), selbstbewusstem Outsidertum ("I Stand Alone", "Marlena on the Wall") und unerfülltem Verlangen ("Caramel", "My Favorite Plum").

Live ist Vega heute, nach einer 30-jährigen Karriere, umso überraschender zugänglich, einladend, bemüht, darum die Gunst des Publikums zu gewinnen. Zur sehr konservativen Zuhörerschaft des Lincoln Centers meinte sie nach einer Mörderversion von "Tom's Diner": "You are still all very well behaved, that makes me very nervous." Im Juli 2010 wird Vega ihr aktuelles Programm im Rahmen ihrer Europatournee auch im Wiener Konzerthaus spielen. Nicht versäumen! (Text: Denise Riedlinger; Foto: Archiv Suzanne Vega)

suzanne-vega-lovesongsCD-Tipps:
Close Up Vol. 1 - Lovesongs (Amanuensis Production, 2010)
Beauty and Crime (Blue Note, 2007)
Nine Objects of Desire (A&M Music, 1996)
Solitude Standing (A&M Music, 1987)


Buch-Tipp:
The Passionate Eye – The Collected Writing of Suzanne Vega (Harper, 2001)