Das Dutzend ist voll, und weiterhin beileibe keine Dutzendware das Programm vom Akkordeonfestival, das 2011 zwischen 26. Februar und 27. März stattfindet. Schwerpunkt des Festivals ist die Akkordeonszene in Frankreich. Den Auftakt macht - bevor das Festival beginnt und also quasi als Vorgeschmack - am 21. 2. Richard Galliano im Wiener Konzerthaus.
"Es ist jedes Mal erneut eine Herausforderung mit anderen Musikern zu spielen, mit ihnen auf der Bühne zu kommunizieren. Für mich ist das eine eigene Philosophie: Weg vom Ghetto hin zu neuen Geistern in der Musik", erzählte mir Richard Galliano im Rahmen des Akkordeonfestivals 2002. Ist also schon eine Weile her, an der Grundaussage dürfte sich allerdings nicht viel geändert haben. Gastierte er damals mit dem Allround-Musiker Michel Portal [Saxofon, (Bass-)Klarinette, Bandoneon] in Wien, so ist er 2011 im Sextett zu hören, und zwar in der exquisiten Besetzung mit Sebastien Surel (1. Violine), Nicolas Dautricourt (2.Violine), Jean Paul Minali (Bratsche), Eric Levionnois (Violoncello) und Stéphane Logerot (Kontrabass). Motto: Bach & Piazzolla. "Wir müssen unsere Wurzeln finden, um Neues definieren zu können", so Galliano damals. "Ich betrachte unser mitunter grenzüberschreitendes Spiel als eine Art Abkehr vom musikalischen Rassismus. Wenn sich unsere Arbeit in einem Akkordeonfestival manifestiert, das in sich wiederum unterschiedlichste Spielarten und Formationen zulässt, und das Publikum beides akzeptiert, bin ich sehr glücklich." Galliano, der bereits im Jahr 1992 für seine Verdienste um die Musik den Prix Django Reinhard der Academie du Jazz in Empfang nehmen durfte - immerhin die höchste Auszeichnung, die in Frankreich an Jazzmusiker verliehen wird - bezeichnet sich selbst als Jemanden, der, wie ein Pyromane nach Feuer, süchtig ist nach Musik und schönen Melodien. Und noch etwas sagte mir damals Richard Galliano ins Mikrofon: "Die Musik, die ich heute spiele, wird aus all dem gespeist, was ich erfahren habe, und was ich liebe. Natürlich hat jedes Instrument Grenzen, aber vor allem sind es die Musiker, die ihre Grenzen haben, ich auch. Ich glaube, man muss fast hineinkriechen in das, was einem als Grenze erscheint. Ich entdeckte ständig Dinge auf meinem Akkordeon, von denen ich vor einigen Jahren niemals geglaubt hätte, dass man so etwas spielen kann." Soweit zum Auftakt vor dem eigentlichen Auftakt.
Das Akkordeon ist frei!
Die Eröffnungs-Gala am 26. 2. findet im Baumgartner Casino statt, traditioneller Weise mit Otto Lechner in der Hauptrolle, von dem das wunderbare Zitat stammt: "Das Akkordeon ist frei!" Das zweigeteilte Programm bringt neben und mit Otto Lechner auch den französischen Wunderwuzzi Arnaud Methivier auf die Bühne, sowie die noch namenlose Formation der Herren Franz Haselsteiner (Bass-Akkordeon), Otto Lechner (Akkordeon) und Multi-Instrumentalist Hans Tschiritsch. Rechtzeitig zum Konzert gibt es dazu auch die CD "9", auf der es neben der Ziehharmonika mit speziellem Bassteil und Lechners Fantasiesprache am Akkordeon so wundersame Instrumente wie Zwitscheridoo, Trichtergeige, Obertondrehleier, Klangpropeller, Wehmutswalze, Singende Säge... zu hören gibt. Die Gesangssprache von Tschiritsch - er komponierte auch alle Lieder - ist der Obertongesang, und die Musik klingt mal nach Wirbelwind, mal nach Schmetterlinge, aber auch nach Zillertal oder einer Schmalzocalypso. Musik also, die sich jeder Kategorisierung entzieht. Darauf einmal angesprochen, ob es ihm in kommerzieller Hinsicht nicht schade, wenn er sich jeder Kategorie entzieht, meinte Otto Lechner: "Wahrscheinlich der Hauptgrund, dass ich noch keinen Preis bekommen habe ist, weil man nicht weiß für welche Kategorie. Natürlich ist das hinderlich für meine Karriere aber die Frage ist welche Karriere will ich überhaupt machen? Bei mir ist das immer so gewesen, dass sich die Sachen auch gegenseitig inspiriert haben. Wenn ich Musik für ein Hörspiel mache ist das wieder eine Inspiration für die Musik, die ich für ein Theaterstück mache, und wenn ich bei einem Theaterstück ein Monat lang bei den Proben herumsitze und mir langweilig ist dann fallen mir wieder so viele Sachen ein, die ich für ein Konzert verwenden kann. Aber es ist halt so, dass man nicht diese eine Domäne hat, dass man da der König wäre. Das gibt es halt nicht, hat mich aber auch nie interessiert. Ich versuche mir immer eine Position zu schaffen, um die mich niemand beneidet, weil das so komplex ist. Die Vorstellung - das ist jetzt natürlich extrem idealisiert - dass es meine Jobs gar nicht gäbe, wenn es mich nicht gäbe, gefällt mir am besten."
Wir und die Welt
Aber wieder zurück zum Franzosenanteil beim Festival. Mit Bratsch am 13. 3. kommen französische Giganten der Weltmusik (HdB Floridsdorf), sowie zahlreiche weitere Konzerte von Titi Robin (1.3. Sargfabrik) über Les Poulettes & Les Madeleines am 19.3., eingebettet in "La FrancOFFonie" 2011, bis hin zur (dritten) Abschlussgala am 27.3. mit einem wahren Musikergipfeltreffen unter dem viel versprechenden Titel "The Samurai" im Metropol laden dazu ein französische Musik neu, erstmals und wiederzuentdecken, oder sie einfach in ihrer ganzen Vielfalt zu genießen. Mit dabei auch ein Italiener, nämlich der große Riccardo Tesi, dessen starke Verwurzelung in der italienischen Folk-Tradition und seinem steten Erweiterungsanspruch in die stilistisch wuchernde und völlig offene World Music ihn zu einem der modernsten Interpreten auf dem Diatonischen Knopfakkordeon machte. Ein weiterer Schwerpunkt gilt 2011 der Reihe "Wir und die Welt", österreichische MusikerInnen aus allen 9 Bundesländern treffen dabei auf internationale Künstler, spannende künstlerische Begegnungen sind vorprogrammiert, wenn etwa bei der zweiten Eröffnungsgala die burgenländischen Pristup auf die phänomenalen Dancas Ocultas aus Portugal treffen (27.2., Baumgartner Casino), oder im Festsaal des Technischen Museums Wien das oberösterreichische Akkordeon-Wunder'kind' Paul Schuberth und der serbische Musiker Nenad Vasilic einen Konzertabend bestreiten (28.2.). Oder der Kärtner Musiker Klaus Paier auf das multinationale Jurek Lamorski Quartet trifft (11.3., Ehrbar-Saal). Und so weiter und so heiter. Akkordeonfestival-Standards wie die Stummfilm Matinee, bei der AkkordeonistInnen live zu Stummfilmklassikern spielen oder der Magic Afternoon für die jüngeren Akkordeonfans sind ebenso Teil des Festivalprogramms wie die Auftritte der umwerfenden Guro Von Germeten aus Norwegen (5.3., Baumgartner Casino, mit dem belgisch-französischen KV Express) oder auf das gemeinsame Konzert von Wendy McNeil aus Kanada und Mika Vember mit ihren jeweiligen Bands (6.3., Baumgartner Casino). Und als Nachschlag gibt es am 8.4. Daniel Kahn mit seiner Band Painted Bird in der Bunkerei. (Text: Manfred Horak / Rainer Krispel; Fotos: Akkordeonfestival, Galliano, Germeten, Isabelle Olivier, Les Poulettes, SEMAS, Tschiritsch, Nenad Vasilic, Vebrova)