"Garude Apsa" ist der Titel der aktuellen CD von Harri Stojka Gipsysoul rund ums Thema "60 Jahre Befreiung von den Nazis", umgesetzt als musikalische Spurensuche, um "der heutigen Generation, den Kindern und Enkeln der Überlebenden, Stolz und Mut für die Zukunft zu geben". Das Ergebnis lässt sich hören und bietet zudem genug politischen Diskussionsstoff.
Harri Stojka, der meisterliche Jazzgitarrist, mischt altes, traditionelles, Liedgut der Roma und Sinti mit neuen Eigenkompositionen und Texten in Romanes und Sanskrit. Der Fokus bei den 15 Songs richtet sich dabei auf das Befreiungsjahr 1945 nach den Schreckensjahren der Diskriminierungspolitik der Zwischenkriegszeit und dem Genozid im Nationalsozialismus. Jahre, die für Roma und Sinti Verbote und Tod brachten.
Der Holocaust ist nicht nur Teil unserer Geschichte, er ist auch Teil von möglichen Verhaltensweisen von Menschen
Bereits im Jahr 1938 erfolgten die ersten Deportationen burgenländischer Roma nach Dachau. Im November 1940 wurde das "Zigeunerlager Lackenbach" im Burgenland eröffnet, das als "Familienlager" geführt wurde, wo Frauen, Männer und Kinder in desolaten Viehställen ohne sanitäre Einrichtungen zusammengepfercht leben mussten. Die düstere Bilanz danach: Von den ca. 11.000 Roma, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Österreich gelebt haben, überlebten nur an die 10 % die Zeit des Nationalsozialismus. Zitat Prof. Karl Stojka aus dem Buch Wo sind sie geblieben...?: "Wenn man also damals von nichts gewusst haben will, und heute lieber alles vergessen würde, so ist das für mich auch ein Ausdruck von Ohnmacht gegenüber eigenen Verhaltensweisen, die nur schwer in das eigene Bild des 'Mensch-Seins' integriert werden können. Der Holocaust ist nicht nur Teil unserer Geschichte (obwohl dies durch das 'Vergessen' zu verhindern versucht wird), er ist auch Teil von möglichen Verhaltensweisen von Menschen. Dies gilt es zu realisieren, fällt es auch noch so schwer."
Zigeunerpolitik in Österreich im 20. Jahrhundert
Was man heute lieber alles vergessen würde, beschreibt Florian Freund in seiner Habilitationsschrift "Zigeunerpolitik in Österreich im 20. Jahrhundert" aus dem Jahr 2003: "Es gab neben Gemeinsamkeiten der Vernichtungspolitik gegen Juden und sog. 'Zigeuner', etwa in der ähnlichen bürokratischen Abwicklung, auch Unterschiede. Ein wesentlicher bestand darin, dass 'Zigeuner' keine Chance hatten zu fliehen, da sie kein Staat aufgenommen hätte. Aufgrund ihrer niedrigen Bildung - fast alle waren Analphabeten - und ihrem sozialen Status waren sie so benachteiligt, dass eine Flucht nicht möglich war. Sie waren dem Massenmord völlig ausgeliefert."
Viele Versäumnisse in der Nachkriegszeit
Mit diesem Hintergrundwissen beladen ist der CD-Titel Garude Apsa, wie bereits die letzten Alben von Harri Stojka bei Hoanzl im Vertrieb, ein klug gewählter Albumtitel. "Versteckte Tränen", so die deutsche Übersetzung, soll die Blicke schärfen, sensibilisieren und gleichzeitig Mut vor der Zukunft machen, alleine weil auch nach dem Jahr 1945 Roma und Sinti noch lange nicht befreit waren - zu viele Versäumnisse gab es in der Nachkriegszeit - und vor allem: die Vorurteile und Vorbehalte gegenüber den Überlebenden blieb weiterhin intakt - in der Bevölkerung wie in der Presse oder in der Politik. Die Gemeinden stellten den Zurückkehrenden notdürftige Baracken und Hütten zur Verfügung, winzige Behausungen, vielfach ohne Strom- und Wasseranschluss. Die größte Hürde, die es für Roma und Sinti zu überwinden galt war aber jene, dass sie lange Zeit nicht als Opfer rassischer Verfolgung anerkannt wurden. Die ehemaligen Insassen waren daher von der Opferfürsorge gänzlich ausgeschlossen. Erst 1961 erhielten sie eine geringe Entschädigung, und 1988 erfolgte dann endlich die komplette Gleichstellung der in Lackenbach inhaftierten mit anderen KZ-Häftlingen.
Bis heute mitunter mittelalterlich anmutende Vorurteile
Mittlerweile alles paletti also? Keineswegs. Gibt es zwar einerseits große Bemühungen seitens der Europäischen Union, Roma und Sinti zu integrieren, mehr noch, diese nicht nur am Papier als gleichwertige Bevölkerungsgruppe darzustellen, wie es ja bereits der Fall ist, sondern eben auch in der Realität ein Bewusstsein unter uns Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen, so spuken andererseits über Roma und Sinti bis heute noch mitunter mittelalterlich anmutende Vorurteile in zu vielen Köpfen.
Es herrscht sehr viel Unwissenheit über Roma
Oder, wie die ungarische Europaabgeordnete Livia Járóka so treffend darstellt: "Es herrscht sehr viel Unwissenheit über Roma. Tatsache ist, dass die mehrere Millionen Roma in Europa genauso verschiedenartig sind wie jede andere ethnische Gruppe, verschiedene Sprachen, Kulturen und örtliche Umstände sowie unterschiedliche Fertigkeiten und Fähigkeiten aufweisen. Wenn sie sich selbst als Teil einer gemeinsamen Zigeuneridentität begreifen, dann häufig deshalb, weil sie die gleichen Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen machen. Die allgemeine Wahrnehmung der Zigeuner muss sich ändern, das Bild, das die Leute von ihnen haben, muss entmystifiziert werden, das Klischee der Wirklichkeit weichen." Livia Járóka war übrigens das erste Roma-Mitglied des Europäischen Parlaments aus den zehn neuen EU-Mitgliedstaaten, eine weitere ist Viktória Mohácsi, die sich dafür ausspricht mehr Geld für Roma in Bildung, Wohnen und Beschäftigung auszugeben, weil nur so die Eingliederung in die Gesellschaft funktioniere, was aber leider nur graue Theorie und schöne Rede ist.
Die Gegenwart? Romakinder werden in der Schule von den anderen Kindern getrennt
Wenn man sich nämlich den Jahresbericht "Gleichbehandlung und Antidiskriminierung" von 2005 anschaut, ergibt sich folgendes, stark ernüchterndes und keinesfalls integratives Bild: "Roma werden überall in der EU, wenn auch in unterschiedlichem Maße, diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgegrenzt. In vielen Mitgliedstaaten werden Romakinder in der Schule routinemäßig von den anderen Kindern getrennt. Zudem leben viele Roma in benachteiligten Gebieten abseits der übrigen Bevölkerung, in denen die Wohnqualität schlecht ist." Konkret formuliert bedeutet dies z.B., dass der Arbeitslosenanteil der Roma in der Slowakei bei über 85 % liegt, dass über 80 % der Roma in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei mit einem Einkommen unterhalb der nationalen Armutsschwelle auskommen müssen, dass Romakinder in Sonderschulen überrepräsentiert sind, dass Eltern anderer Volksgruppen nicht wollen, dass ihr(e) Kind(er) neben einem Romkind sitzt. Dieser Ungleichheit ein Ende zu bereiten initiierte die EU deshalb die sogenannte "Dekade zur Eingliederung der Roma 2005 - 2015", um endlich die Kluft zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung zu schließen.
Versteckte Tränen
Befreiung von einer Ausgrenzungspolitik, die keinesfalls für eine Verbesserung der Lebensumstände, geschweige denn für Integration, sorgte. Das (zumindest bis in die späten 1980er Jahre hinein) so weit führte, dass viele junge Roma ihre Roma-Identität geheim hielten, sich quasi zwangsassimilierten, was allerdings dann auch zum Verlust ihrer Sprache führte. Womit wir wieder bei der neuen CD von Harri Stojka sind, der nach zwei Instrumental-CDs im Stile Django Reinhardts im wesentlichen dort anknüpft wo er mit seinem Gitancoeur-Projekt aufhörte ohne den musikalischen Spirit von Django Reinhardt ganz ins Abseits zu stellen. War die erste Gitancoeur-CD ein rein zeitgenössisches Popalbum ging er mit "Gitancoeur Live" einen Schritt Richtung Tradition. Diesen Weg beschreitet der Herr Gitarrist auf "Garude Apsa" zum Teil weiter (s. CD-Kritik), befreiend, poetisch: "Amaro kamipen naschado dschivipen/Phentschal pale avaha jekhetane amen - Unsere Liebe ist ein verlorenes Leben/Du sagtest, wir werden wieder zusammen sein." Dabei versammelt der sympathische Musiker ein hochkarätiges Ensemble um sich: Karl Hodina und Krzysztof Dobrek am Akkordeon, Aliosha Biz an der Violine, des weiteren den Perkussionisten Metin Meto, natürlich Claudius Jelinek an der Rhythmusgitarre und Heimo Wiederhofer an der Snare Drum. Als musikalischer Leiter fungiert Geri Schuller, dessen Pianospiel eine lebhafte Bereicherung für das Liedrepertoire darstellt, sei es als Brücke zum wie immer exzellenten Gitarrenspiel von Harri Stojka, sei es zu den grandiosen Stimmen von Ivana Ferencova und Matilda Leko, letztere sollte in der hiesigen Jazzszene ja nicht mehr ganz unbekannt sein.
Harri Stojka Gipsysoul entwickelt auf den 15 Songs der CD (inklusive einer versteckten Träne in Form eines Hidden Track) eine rasante wie gekonnte Mischkulanz zwischen Volksmusik und Jazz, gespickt freilich mit etlichen Improvisationen. Mit "Garude Apsa" verdeutlicht Harri Stojka seine Ausnahmeposition als Gitarrist, dessen Kreativität eine scheinbar nie versiegende Quelle ist. Das Album hat das Potenzial, sich international zu behaupten. Musik für Integrationsbürokraten? Nein. Musik für Menschen die an das Gute glauben. (Manfred Horak)