Die berühmten "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky arrangierte der österreichische Vibraphonist Flip Philipp für das Vienna Symphony Jazz Project mit dem Spirit von Duke Ellington und liefert damit eine mehr als gelungene Neubearbeitung der musikalischen Gedächtnisausstellung in eleganter Verpackung und mit Bildern von Evelyn Grill ab.
Im Mai und Juni 1960 begab sich Duke Ellington (1899-1974) mit seinem Orchester ins Studio, um die "Nussknacker Suite" von Peter Ilich Tchaikovsky (1840-1893) einzuspielen. Es war das erste Mal, dass Ellington sich entschloss, Musik von einem anderen Komponisten (außerhalb des Ellington-Umfelds) aufzunehmen. 51 Jahre (und unzählige Versuche Jazz und Klassik zu verdingsen) später, am 11. und 12. Juni 2011, nahm Flip Philipp und das zehnköpfige Vienna Symphony Jazz Project (VSJP) die "Bilder einer Ausstellung" von Modest Petrowitsch Mussorgski (1839-1881) auseinander, um diese quasi neu zu hängen. Duke Ellington spielt dabei eine wichtige Rolle - Flip Philipp beschäftigte sich intensiv mit der Musik von Duke, bevor er sich an Mussorgsky herantastete - auch (wie Flip Philipp im Booklet vermerkt), um den klassischen Klavierzyklus möglichst schnell aus seinem Gedächtnis zu löschen. Und so wie Duke Ellington in seiner Jazz Odyssey die "Nutcracker Suite" mit den "Peer Gynt Suites Nos. 1 and 2" von Edvard Grieg (1843-1907) ergänzte und so manchen Stücken einen ähnlichen, aber neuen Titel gab, ergänzt das VSJP die "Bilder einer Ausstellung" mit zwei Stücken von Richard Wagner (1813-1883) und einem zusätzlichen Mussorgsky-Stück und betitelt die Bilder ebenfalls neu. So wird z.B. aus dem "Gnom" der "New Wave Gnomus" und aus "Das alte Schloss" kurzerhand "The Old Castle Blues". Das macht freilich Sinn, denn bereits Mussorgsky wählte eine eigenständig musikalische Bilderfolge für sein Gedenkwerk an den 1873 verstorbenen Architekten Viktor Alexandrowitsch Hartmann, mit dem der Komponist befreundet war. Mussorgsky bezog sich bei der musikalischen Umsetzung auf eine Gedächtnisausstellung von Zeichnungen und Aquarellen Hartmanns, dessen Vorlagen Mussorgsky teilweise frei umgeformt hat. Die größte Änderung erfuhr dabei "Die Hütte des Baba Yaga" (bei Flip Philipp lautet der Titel "Baba Yaga's Big Drummin'"): Baba Yaga stellt bei Hartmann eine groteske Bronzeuhr dar, Mussorgsky jedoch komponiert einen dämonischen Hexenritt [Baba Yaga ist im russischen Märchen eine Hexengestalt; Anm.]. Dieses musikalische Motiv behält freilich auch Flip Philipp bei, sowie die Bildende Künstlerin Evelyn Grill, die uns im aufwändig gestalteten Booklet ihre Vorstellung davon zeigt. Nämlich ein Häuschen, das auf Hühnerfüßen steht, damit es sich mit dem Eingang den Ankommenden zuwenden kann, sie so in ihre Hütte lockt und auffrisst. Wenn man an "Pictures at an Exhibition" denkt, ist natürlich auch die Prog-Rock-Version aus dem Jahr 1971 von Emerson, Lake & Palmer (ELP) nicht weit, das es bis auf Platz 3 der britischen Album-Charts schaffte. Einen derartigen kommerziellen Erfolg wünscht man dem unwiderstehlich gut aufspielenden VSJP ebenfalls, denn anders wie die Version von ELP werden die Arrangements von Flip Philipp in 40 Jahren keine Patina ansetzen. Ein satter Sound und scharf eingestellte Bläser sorgen für das zeitlose Grundgerüst, entlüften also die großen Melodien von Mussorgsky, und entwickeln "Pictures at an Exhibiton" zu einem charakterstarken Jazz-Abenteuer. (Text: Manfred Horak; Bild: Evelyn Grill - Ausschnitt "Die Hütte der Baba Yaga")
|
||