Der Gitarrist Al Di Meola im Gespräch mit Manfred Horak über die Konsequenzen des Chaos, den Fluch der Mobiltelefone, akustische vs. elektrische Gitarre und erstaunliche persönliche Helden. Live gastiert der Gitarrist am 6.7.2014 in der Wiener Staatsoper beim Jazz Fest Wien.
Kulturwoche.at: Ein Album von Dir trägt den Titel "Consequence Of Chaos" [2006; Telarc]. Was ist denn für Dich die Konsequenz von Chaos?
Al Di Meola: Ich denke, der Albumtitel passt noch immer haarscharf in unsere Zeit, politisch wie in seiner Gesamtheit, also gesellschaftsbezogen. Das Zu-Ende-Denken der Konflikte z.B. im Mittleren Osten inklusive Politikeraussagen, die alles immer noch schlimmer machen. Die Konsequenz von Chaos impliziert aber genauso den Kampf um ein Stück Kunst: was man machen darf, wie man etwas machen darf, ob man etwas machen darf.
Wie gehst Du mit Deinem eigenen Oeuvre um. Hörst Du Dir deine älteren Alben an?
Ja, ab und zu, allerdings nicht, um in Selbstbeweihräucherungsposen zu versinken, sondern um mir das Material in Erinnerung zu rufen, wenn es gilt, alte Kompositionen in die Konzerte einzubauen. Schließlich giert sein Publikum richtiggehend danach, Klassiker wie "Mediterranean Sundance" oder "Flight Over Rio" [aus dem 1977er-Album "Elegant Gypsy"; Anm.] live zu hören. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, habe ich nichts dagegen, mir meine Alben anzuhören, in der Regel gefällt mir aber das jeweils jüngste Album am besten.
War es einfacher, in den 1970er-Jahren Alben wie "Elegant Gypsy" aufzunehmen, oder ist es heutzutage einfacher ein Album zu realisieren?
Vor 30 bis 40 Jahren war es um vieles einfacher, weil es damals keine Mobiltelefone gab und weil es damals keine E-Mails gab. Man konnte sich viel mehr auf die Musik konzentrieren, auf das Komponieren, und auch die Studiosituation war einfacher. Heutzutage ist jeder beleidigt, wenn du nicht sofort auf eine E-Mail antwortest und wenn du am Mobiltelefon nicht erreichbar bist. Vor einigen Jahren war ich mit Stanley Clarke unterwegs. Der hatte zwei Mobiltelefone mit sich, beide läuteten unentwegt. Ich fragte ihn, ob er sich erinnern könne, wann er sein letztes Album veröffentlicht habe, und wann er ein neues Album aufnehmen werde. Darauf sagte er, er könne sich nicht erinnern, das sei schon so lange her, und er komme einfach nicht dazu, neue Sachen zu schreiben. 'Klar', sagte ich, 'weil du glaubst, ständig telefonieren zu müssen.' Und genau das meinte ich vorhin: Die Kunst rückt in den Hintergrund, es wird alles oberflächlicher und schaler. Man verschwendet durch die permanente Kommunikationsüberschwemmung seine kreativen Ressourcen. Die Komplexität der Zeit überschwemmt uns, wohin das noch führt, ist fraglich. Um diesen Missstand zu beheben, kann man sich nur zurückziehen. Abschalten. Als Literat oder Musiker, wenn du an Neuem schreibst, gilt es sich zu isolieren, was eben nicht gerade leicht ist.
Chick Corea sagte einmal in einem Interview 'To live with Mozart is nicer than to live without him.' Welche Relevanz haben Komponisten wie Mozart und generell klassische Musik für Dich?
Definitiv eine große. Etliche meiner Kompositionen haben eine klassische Form. Mozart hat, denke ich, aber weniger Einfluss auf mich ausgeübt als ein Astor Piazzolla, weil sich Piazzollas Musik wunderbar für Gitarre adaptieren lässt, Mozarts Musik hingegen kaum.
Piazzolla hast Du ein Album gewidmet. Was hat es mit dem Titel "Diabolic Inventions and Seduction for Solo Guitar: Music of Astor Piazzolla" [2007; Inakustik Label Group] auf sich?
'Diabolic Inventions' deshalb, weil Piazzolla diesen Begriff sehr häufig verwendete und seine Musik als diabolisch bezeichnete. Er meinte damit, dass er gegen die 'Tangogesellschaft' war. Er war gegen jegliche Formansprüche - so wie Strawinsky und Bartók. Kritiker in jener Zeit meinten, es sei Teufelsmusik, und einer ähnlichen Kritik war auch Piazzolla ausgesetzt, als er den Tango erneuerte.
Wie verhält sich Deine Beziehung zu Deinen Arbeitsgeräten - also zur E-Gitarre und zur akustischen Gitarre?
Man kann eine E-Gitarre auf eine 'schöne' Art und Weise spielen, vor allem aber lyrischer als eine akustische Gitarre. Auf einer akustischen kann man hingegen aufrichtiger und herzzerreißender spielen, darf sich aber keine Fehler erlauben - im Gegensatz zur elektrischen.
Wichtig für Dich ist nicht nur eine hohe musikalische Qualität, sondern auch ein audiophiles Klangbild. Ein Klassiker diesbezüglich ist "Friday Night In San Francisco" aus dem Jahr 1980, auf dem Du mit Paco de Lucia und John McLaughlin gemeinsam und doch separat zu hören bist...
Das war meine Idee! Die Gitarren klanglich zu trennen, einen aus der linken Box, einen aus der rechten Box und den dritten im Zentrum zu hören. 'Friday Night' ist aber nicht der beste Sound, 'Consequence of Chaos' z.B. ist diesbezüglich ungleich besser. Höchste Klangqualität war mir immer schon sehr wichtig. Hast Du schon mal was von der Firma Schoeps aus Deutschland gehört? Die stellen die besten Mikrofone her. Wunderbar für Piano und Gitarre, aber auch für andere Instrumente. Das Ausschöpfen bestmöglicher Klangbilder ist Teil des Grundkonzepts, wenn es darum geht, ein neues Album aufzunehmen.
Und wie weit beschäftigst Du Dich mit inhaltlichen Konzepten, bevor Du in ein Studio gehst?
Meistens habe ich lose Konzepte, aber ich habe nie ein gänzlich durchdachtes Konzept. Das lose Konzept für z.B. 'Consequence Of Chaos' war, ein modernes Nachfolgealbum für 'Elegant Gypsy' zu kreieren, nach Möglichkeit mit dem gleichen Team, den gleichen Musikern, in einen modernen Kontext gestellt, kein Retro. 'Elegant Gypsy' ist bis dato mein kommerziell erfolgreichstes Album. Diese Tatsache überrascht mich heute noch, obwohl viele meiner späteren Alben um einiges vitaler sind, aber so ist das: Oft erinnern sich die Leute nur an ein bis drei Werke.
Wie, glaubst Du, will Dich das Publikum lieber hören - auf der E-Gitarre oder auf der akustischen Gitarre?
Das Publikum in Europa, speziell in Deutschland, will mich in erster Linie auf der akustischen Gitarre hören, jenes in den USA hingegen will mich in erster Linie auf der elektrischen Gitarre hören und fordert immer und immer wieder alte Sachen. Nimm etwa die Rolling Stones. Wer will schon in einem Stones-Konzert neue Lieder von ihnen hören? Alle rennen zu den Konzerten, um 'Satisfaction', 'Jumpin' Jack Flash', 'Honky Tonk Woman' und dergleichen zu hören. Bloß nichts anderes, bitte. Und das größte Problem ist: Ein neues Album von den Stones kann noch so gut sein, es interessiert niemanden. Die Impressionen aus dieser Zeit - vornehmlich den 1960er-Jahren - haben das ältere Publikum besonders stark geprägt und sind auch für jüngeres Publikum interessant.
Dein aktuelles Album trägt den Titel "All Your Life - A Tribute to The Beatles" [2013; Inakustik]. Das aktuelle Live-Programm, mit dem Du auch in der Wiener Staatsoper Station hältst trägt den - vermutlich programmatischen - Titel "Beatles & More". Lassen wir mal das 'More' beiseite. Welche Bedeutung haben The Beatles für Dich?
Die Beatles waren für mich - und sind es noch immer - ganz einfach wichtig. 'Sgt. Pepper' und 'Magical Mystery Tour' sind zwei Pop-Meisterwerke. Super Harmonie. Exzellente Produktion. Unverwechselbar. Genauso wie Weather Report - die waren zu ihrer Zeit der Brennpunkt und Jaco Pastorius revolutionär.
Du bist auch einmal mit Frank Zappa auf der Bühne und im Studio gestanden. Welche Erinnerungen hast Du daran?
Frank Zappa war ein rätselhafter, supergenialer, sonderbarer Charakter in der Rockwelt mit Verbindungen zur Klassik und zum Jazz. Ich bin Zappa-Fan, und es kam einem Schock gleich, als er mich fragte, ob ich bei einem Konzert mit ihm spielen wolle. Er schrieb ein Lied für mich. Fantastisch, nicht wahr?
Aber eine Art Vaterfigur war er nicht für Dich?
Nein, das war Les Paul. Er war nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern war auch in Hollywood integriert und konnte super Geschichten von Bing Crosby und Marilyn Monroe erzählen, frisch und lebendig. Es war schlichtweg eine Freude ihm zuzuhören - verbal und auf der Gitarre. Noch im hohen Alter von 90 Jahren spielte er jeden Montag live im Iridium Jazz Club am Broadway.
Und wie siehst Du Dich im Alter von 90?
Definitiv auf der akustischen Gitarre spielend, hoffentlich immer noch friedliebend.
Das Interview führte Manfred Horak.
Foto: Jazz Fest Wien Archiv; Rainer Rygalyk
Live-Tipp:
Al Di Meola beim Jazz Fest Wien 2014
6.7.2014, Wiener Staatsoper
Beginn: 19:30 Uhr