If I was God, I might have done a better job
"Power and greed and corruptible seed / Seem to be all that there is", resümierte der spätere Literaturnobelpreisträger Bob Dylan Mitte der 1980er Jahre im Blues-Song "Blind Willie McTell". Eine tiefgründige Wahrheit, die leider (wer weiß, wie lange noch) die Wirklichkeit widerspiegelt. Zugleich eine Textzeile, die das Album "is this the life we really want?" von Roger Waters in aller Prägnanz zusammenfasst. Während Bob Dylan aber in den letzten Jahren auf musikalische Kindheitserinnerungen zurückgreift, bleibt der Mitgründer von Pink Floyd auch in seinem 74. Lebensjahr (Dylan ist gerade mal zwei Jahre älter) ein wütender Zeitgenosse. Im Fokus seines Vinyl-Doppelalbums - seinem ersten Rockalbum seit 25 Jahren - stehen der gegenwärtige (politische) Weltenlauf an sich und der amtierende US-Präsident Donald Trump, der drei Jahre älter als Waters ist. Nicht nur mit seiner wütenden Protest-Lyrik, sondern auch in seiner musikalischen Ausrichtung bleibt sich Roger Waters dabei treu - das finden (z.B. auf der Pink Floyd Fanbasis Pulse & Spirit) einige Leute weniger gut, so wie es viele andere dort gutheißen. Um sich von seiner musikalischen Vergangenheit ein wenig zu lösen, holte sich Roger Waters den Produzenten Nigel Godrich ins Studio, der bereits u.a. für Radiohead ("OK Computer"; 1997) und für Paul McCartney ("Chaos and Creation in the Backyard"; 2005) tätig war. Roger Waters in einem Interview mit Entertainment Weekly: "Ich glaube, er hat eine tolle Platte gemacht. Ich sage, er hat eine tolle Platte gemacht. Ich schrieb es und sang darauf, aber er hat die Platte gemacht." Und, in einem Interview mit Telegraph sagte Waters über Godrich: "Er ist ein Fan. Ich glaube, er würde zugeben, dass es [die Arbeit am Album; Anm.] eine Art Huldigung ist. Alle Stimmen und Soundeffekte wurden mit analogen Bandschleifen gemacht. Es ist schon 50 Jahre her, seit ich jemanden das versuchen gesehen habe. Ich liebe die zufällige Natur davon."
Du lehnst dich nach links, aber wählst rechts
Die erste Plattenseite mit "When We Were Young" / "Déjà Vu" / "The Last Refugee" erfüllt gleich mal für Pink Floyd und Roger Waters aficionados sämtliche Sehnsüchte hinsichtlich Klang und Soundeffekte. Glasbruch. Schreigesang. Notentransformationen. Sentimentalität spielt dabei jedoch keine Rolle, denn auch wenn der lyrische Aspekt auf die Gegenwart abzielt schwebt das musikalische Klangbild auf einer zeitlosen Metaebene. Wobei folgendes angemerkt werden muss: Mir liegt das Album in zwei Formaten vor, als digitaler Download (bereitgestellt von der Plattenfirma) und als Vinyl-Ausgabe. Müßig zu erklären, dass die Vinyl-Ausgabe vom Klangspektrum her deutlich mehr bringt. Letzten Endes fände ich es schade, wenn jemand nur die digitale Version zu hören bekommt, weil, wie bereits oben ausgeführt, das Album für Vinyl konzipiert und erarbeitet wurde. Und das hört man auch. Prinzipiell gilt: Es wird noch viel Zeit vergehen, um das Album in seiner Gesamtheit erfassen und richtig würdigen zu können, nicht nur in musikalischer Hinsicht, sondern auch ob der lyrischen Kraft. "Es ist nicht nur über Trump", meinte Waters in einem weiteren Interview, angesprochen darauf, dass sich das Album wie "a very Trump-era collection of songs" anhöre, "sondern es ist auch über Brexit und Le Pen und Syrien." Und so singt Waters in "The Last Refugee" aus der Sicht eines Flüchtlings "And I dreamed I was saying / Goodbye to my child / She was taking / A last look at the sea", während Waters in "Déjà Vu" aus einer differenzierten Sichtweise singt "Wenn ich Gott gewesen wäre / Hätte ich viele Söhne gezeugt und hätte es den Römern nicht geduldet auch nur einen zu töten." Lieder, die qualitäts- und stimmungsmäßig durchaus auch auf "The Wall" oder The Final Cut ihren Platz gefunden hätten. Die zweite Plattenseite bietet mit "Picture That" und "Broken Bones" zwei weitere bemerkenswerte Reflexionen über das Weltgeschehen - "Picture That" aus der Kamera-Perspektive ("Picture a leader, with no fucking brains"), "Broken Bones" aus der Weltall-Perspektive ("And it makes me feel small like a bug on a wall / Who gives a shit anyway?"). Und so wie die Frage am Album-Cover - eingebettet zwischen schwarzen Zensurbalken - Assoziationen weckt bzw. Antworten und weitere Fragen auslöst, so ist man auch hier geneigt assoziativ zu denken. Eigentlich, so eine Assoziation, handelt das Album davon, wie die Menschheit die Fähigkeit erlangen kann nachhaltig in Würde zu leben. Roger Waters bietet sogar eine Antwort, eine Option, wenn er in "Broken Bones" singt, dass wir zwar nicht die Uhr zurückdrehen können und auch nicht in der Zeit zurückgehen können, "But we can say: / Fuck you, we will not listen to / your bullshit and lies." Aber sag das mal einem Rechtspopulisten in Österreich oder anderswo. Generell aber stellt sich natürlich die Frage: Wem kann man heute noch glauben? Was ist wahr und was ist wirklich? Waters: "It's like truth is now a completely alien concept. It's not what is - it's what you believe, or what you can persuade people."
Musikalische Rätsel und Textdichte
Endet also die zweite Plattenseite mit der Textzeile "we will not listen to / your bullshit and lies", so setzt Roger Waters am Beginn der dritten Plattenseite diese Aussage in die Tat um. Es spricht Donald Trump, aber sein Gequatsche nervt. Die Aus-Taste gewinnt. Ein kurzes Schnaufen und Roger Waters reagiert sich in Folge im Titelsong ab. "It's not enough that we succeed / We still need others to fail", und: "Is this the life we really want? / It surely must be so / For this is a democracy and what we all say goes". Musikalisch dockt er dabei erneut da an, was man allgemein an Pink Floyd und Roger Waters (solo) schätzt. Unerwartete Effekte und Einschübe, Echos, Widerhall und Stimmcollagen, Hundegebell, sanfte Balladenform und pulsierende Rockströme, redundante Streicher im Cinemascope Format und reduktionistische Klangpassagen, Anklage und Wehmut, das ganze Spektrum halt, hier umgesetzt im wesentlichen von zwei Musikern, von Roger Waters und Nigel Godrich. In "Bird in a Gale" wütet Roger Waters wie ein Sturm durch den Song und durch Textpassagen wie "The dog is scratching at the door / The boy is drowning in the sea / Can I crash out on your floor?". Die traurige Ballade "The Most Beautiful Girl" beschließt Seite 3 des Albums. Hier greift Roger Waters auf biblische Bilder zurück ("The raging of angels / Cathedral of stars") und auf literarische Figuren ("Christopher Robin says / 'Alice, go home now. / They’re no longer changing the guard.'"). Das Heimkommen erweist sich als fatal ("But the bomb hit the spot where the numbers all stop / And the last thing they heard was her calling… / Home / Home, I'm coming home"). Musikalisch recht einfach gestrickt, erweist sich dieser Song gerade aufgrund seiner relativ simplen Ausführung als einer der Höhepunkte des Albums.
Transzendenz der Liebe und Sog der Freiheit
Plattenseite 4 beginnt mit dem Riff von "Have a Cigar" (aus dem Pink Floyd Album "Wish You Were Here"), das neue Lied hier heißt "Smell the Roses" und ist vermutlich das schwächste Lied des Albums, obwohl sehr dynamisch und vertraut. Die Vertrautheit ist hier jedoch etwas zu nah geraten. Interessanter sind dann allerdings die drei weiteren ineinander verwobenen Songs "Wait for Her" / "Oceans Apart" / "Part of Me Died", die mit ungleich größerem Reiz für Aufmerksamkeit sorgen. Lieder über die Transzendenz der Liebe und dem unbedingten Streben nach dem Sog der Freiheit. Der Lyriker Roger Waters rezitiert hier, wie man zur inneren Ausgeglichenheit gelangt. Er stellt die Liebe zur Freiheit ins Zentrum und weist auch darauf hin, aufs Aus- und Einatmen nicht zu vergessen: "Speak softly as a flute would / To a fearful violin / Breathe out / Breathe in". Diese drei Lieder stellen den perfekten Ausklang eines herausragenden Albums dar, das von Bitterkeit, Trauer, Zorn und (nennen wir es mal so) Versöhnung getragen wird. "Bring me a bowl / To bathe her feet in / Bring me my final cigarette / It would be better by far to die in her arms / Than to linger / In a lifetime of regret", lauten die letzten Textzeilen des Albums, und spielt damit auf den humanitären Gedanken an, an den Humanismus, der so dringend notwendig ist für ein nachhaltig besseres Leben für alle Frauen, Männer und Kinder dieser Welt. Und, soviel ist letzten Endes auch klar: Donald Trump ist irrelevant, nicht jedoch das Album "is this the life we really want?" von Roger Waters. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Sean Evans
Roger Waters: is this the life we really want?
Musik: @@@@@@
Klang (Vinyl): @@@@@@
Label / Vertrieb: SMI/ Columbia (2017)