Robert Rotifer Interview

Ein Interview im virtuellen Raum mit Robert Rotifer über die Zusammenarbeit mit einem der letzten großen Geschichtenerzähler Europas - André Heller.

André Heller war im Zeitraum 1970 bis 1989 ein maßgeblicher Katalysator der deutschsprachigen Musikszene. Er veröffentlichte 17 Alben, darunter wahre Meisterwerke wie Das war André Heller (1972), Abendland (1976), Basta (1978), Heurige und gestrige Lieder (gemeinsam mit Helmut Qualtinger; 1979), Verwunschen (1980) oder Stimmenhören (1983). Ihm war das offenbar zu wenig, denn mit Inszenierungen und Träume-Verwirklichungen von Feuerwerken, Shows, Gärten, Wunderkammern, bis hin zu Dokumentarfilmen und Buchveröffentlichungen, verlief sich seine Karriere als Musiker quasi im Sand oder sonstwo. Mit den Mehrfachalben Kritische Gesamtausgabe 1967–1991 (1991) und vor allem mit Ruf und Echo (2003) - da gab es immerhin vier neue Tonaufnahmen von André Heller zu hören - geriet er als Sänger und Liedtexter zumindest nicht ganz in Vergessenheit, aber erst Ende 2019 mit Spätes Leuchten wurde vielen wieder klar, was man so lange Zeit vermisst hat, nämlich aus der Zeit gefallene Lieder mit Tiefgang und großer Poesie. Der in England lebende Gitarrist und Sänger Robert Rotifer war ihm dabei die musikalische Vertrauensperson, der Produzent des Albums. Gemeinsam mit dem Bassisten und Co-Produzenten Andy Lewis wurde dieses Unterfangen zu einem musikalischen Triumph. Robert Rotifer beantwortete die Fragen in seiner Küche in Canterbury. Im Hintergrund laufen die Nachrichten und Robert Rotifer ist froh, dass er sich mit diesen Fragen ablenken kann, "damit mir nicht übel wird". Gern geschehen. Die Fragen stellte Robert Fischer.

Kulturwoche.at: Welche Fähigkeiten muss ein guter Musikproduzent deiner Meinung nach mitbringen?

Robert Rotifer: Das hängt vom Auftrag ab, das Wort "Produzent" hat ja viele verschiedene Bedeutungen. Im Fall von André Heller hilft es, dem vor Ideen übergehenden Künstler genau zuzuhören und sich zu überlegen, wie seine Beschreibungen und hochfliegenden Vorstellungen sich als Aufnahmen verwirklichen bzw. in Musikervokabular übersetzen lassen. Denn er spricht in sehr reichen Sprachbildern und Referenzen, wobei die Kunst, Literatur, Geschichte und das Weltgeschehen genauso relevant sind wie die weitere Musikgeschichte. Umgekehrt führten Andy Lewis und ich untereinander lange Gespräche darüber, wie man die jeweiligen Songs am besten arrangieren könnte. Und ich versuchte André Heller dann von unseren Ideen zu überzeugen. Mindestens so wichtig war aber die Planung der Sessions, die Auswahl der Musikerinnen und Musiker und der Orte, wo wir aufnahmen. Und natürlich die Koordination des Zeitplans. Für mich war das eine Frage des Respekts, denn André Heller ist ein sehr vielbeschäftigter Mensch, er hat keine Zeit zu verschwenden. Für die eigentlichen Aufnahmen brauchten wir insgesamt kaum mehr als zwei Wochen, weil alles ziemlich genau vorgeplant war. Ich wollte mit diesem flotten Tempo auch dafür sorgen, dass die Arbeit immer stimulierend blieb. Es gibt nichts Tödlicheres für die Kreativität im Studio als die Langeweile.

Hast du in punkto Musik-Produzenten Vorbilder? Bzw. hast du Lieblingsproduzenten, deren Sound du sehr schätzt?

Robert Rotifer: Auf Anhieb fallen mir hier typischerweise lauter alte Namen ein. Joe Boyd, Nick Lowe, Chris Thomas, Glyn Johns, Al de Lory, Roy Halee, Bob Johnston, Phill Brown, Dennis Bovell, Jean-Claude Desmarty, Eddie Vartan, Jean-Claude Vannier, obwohl der ja eigentlich oft nur als Arrangeur geführt wurde, Brian Eno trotz einiger Sündenfälle, Joni Mitchell als Produzentin ihrer eigenen Alben. Und es wäre natürlich völlig absurd, George Martin hier nicht zu erwähnen.

Ich stelle mir vor, es ist ein bisschen eine Gratwanderung, wenn man jemanden wie André Heller produziert, von dessen Musik man gleichzeitig auch großer Fan ist. Wie war das für dich?

Robert Rotifer: Tatsächlich nicht immer leicht, weil man sich der großen Verantwortung bewusst ist und sich davon nicht lähmen lassen darf. Vor allem aber war es ein großer Genuss, weil jede Zeit, die man mit André Heller verbringt, bereichernd ist.

Das Album ist mit 71 Minuten recht lang. Sind die meisten Stücke, die ihr im Studio erarbeitet habt, auf dem Album drauf, oder gibt es noch einige nicht verwendete Songs von den Sessions?

Robert Rotifer: Wir waren sehr zielstrebig und haben uns keine Zeit gegönnt, Abfall zu produzieren. Es gab eine Bandfassung von "Es gibt", sowieso radikal andere Demo-Versionen von "Wiener Judenkinder" und "Woas Ned So", die wir zwischen den Wohnzimmer-Sessions von 2015 und den Studio-Sessions 2018 ohne André Heller in England produzierten, was sich aber als eine unbrauchbare Methode herausstellte. Außerdem ruht auf irgendeiner Festplatte eine sehr ungestüme Version von "Du Engel du", eine Übersetzung von Bob Dylans "You Angel You", vom Ende der ersten Sessions. Das würde ich gern noch einmal probieren, falls es sich irgendwann ergibt. [Eine Live-Version von "Du Engel du" ist bereits auf dem André Heller Live-Album "Bei lebendigem Leib", 1975, erschienen. Anm.]

Wann war der Moment während der Sessions zum Album, wo dir gedacht hast: das ist der Durchbruch! Das Projekt wird funktionieren!

Robert Rotifer: Am zweiten Tag unserer Arbeit, als "Im Anfang woa dei Mund" bei André Heller nach ein paar Fehlversuchen erste Anzeichen der Zufriedenheit ausgelöst hat.

Warum hat Walther Soyka durch sein spontanes Hinzustoßen die ersten Sessions erst richtig ins Rollen gebracht, wie du es in einem Facebook-Post beschrieben hast?

Robert Rotifer: Walther Soyka ist nicht nur ein unheimlich einfühlsamer Musiker, sein Auftauchen hat auch für einen wichtigen Moment der Unbefangenheit gesorgt. Er ist eine kritische Natur und schwer zu beeindrucken. Seine selbstbewusste Skepsis war ein wichtiger Gradmesser für mich.

Es sind einige Musiker aus der Wiener World Music Szene als Gäste auf "Spätes Leuchten" zu hören. War denen der Name André Heller ein Begriff, als du sie um ihre Mitwirkung gefragt hast?

Robert Rotifer: Natürlich, vielleicht mit Ausnahme von Djakali Koné und Kadero Ray, die nach meinem Wissen keine Beziehung zu seinem Werk hatten. Aber Marwan Abado mit seinem Percussionisten Peter Rosmanith und Golnar Shahyar waren André Hellers eigene Vorschläge und kannten ihn bereits.

Wann war es bei den Studiosessions klar, dass ein Lied "fertig" ist? An was konnte man das merken?

Robert Rotifer: Das war eine Frage des Konsens zwischen André Heller, Andy Lewis und mir. Der entscheidende Punkt war jeweils erreicht, sobald wir einen Vocal Take hatten, mit dem André Heller zufrieden war. Er ist da sehr streng mit sich selbst.

Hast du auf dem Album ein Lieblingslied und warum?

Robert Rotifer: Das wechselt täglich, aber "Dem Milners Trern" wäre immer ganz vorn dabei, weil das einfach so ein unwiederholbarer Moment war. Fast alles, was da zu hören ist, entstand live im Wohnzimmer. Es gab nur einen vollständigen Take. Als ich mit den Fingernägeln den letzten Akkord schlug, wusste ich, dass wir dieses Lied nur dieses eine Mal spielen konnten. Da gab es nichts zu verändern.

Was hat dich in der Zusammenarbeit mit André Heller während der Sessions zum Album am meisten überrascht?

Robert Rotifer: Sein ungewöhnliches Timing. Die Art, wie er beim Singen immer hinter dem Metrum schwimmt und dann doch ganz genau am Punkt ankommt. Das ist schon meisterhaft und jedesmal von Neuem verblüffend.

Andre Heller ist v.a. in Österreich und Deutschland eine legendäre Figur. Viele Menschen kennen seine Lieder bzw. Shows und andere Projekte? Wie aber würdest du ihn jemand beschreiben, der ihn nicht kennt?

Robert Rotifer: Als einen der letzten großen Geschichtenerzähler Europas.

Im Booklet zu "Spätes Leuchten" erzählst du, dass du André Heller das erste Mal bei einem Interview zu einem unvollendeten Buchprojekt über die Wiener Popmusik getroffen hast. Wird dieses Buch eines Tages vielleicht doch noch einmal erscheinen? Wie stehen die Chancen dafür?

Robert Rotifer: Ziemlich schlecht. Meine tägliche Arbeit verbraucht so viel von meiner Lebenszeit, dass ein zusätzliches Projekt auf mittlere Sicht gar nicht möglich wäre, und dazu habe ich noch so viel anderes, Dringenderes vor. Andererseits habe ich mit "Ein Deka Pop" eigentlich schon ein Buch über die Wiener Popmusik der letzten zehn Jahre geschrieben, das ist auf gewisse Weise befriedigender, als in die Vergangenheit zu schauen.

Wenn man über prägende Figuren des Austropop bzw. der heimischen Musikszene redet, ist im ersten Moment eher nicht unbedingt von André Heller die Rede. Wird sein Einfluss bzw. sein Werk unterschätzt?

Robert Rotifer: André Heller hat Jahrzehnte lang keine neue Musik herausgebracht, aber seine alten Platten haben enormen Einfluss auf den pop-geschichtlich interessierten Teil einer jüngeren Generation. Das ist das Wesentliche. Er ist und war nie Austropop, auch wenn er mit Austropop-Musikern die eine oder andere Nummer aufgenommen hat. Insofern ist es völlig richtig, dass er nicht in diesem Kontext genannt wird.

Arbeitest du derzeit noch mit anderen Künstlern als Produzent?

Robert Rotifer: Ich arbeite gerade mit Louis Philippe, dem großen französischen Songwriter in London, an den Vorbereitungen zu einem neuen Album, das Andy, Ian und ich mit ihm so wie unsere Platte mit John Howard aus dem Jahr 2015 als The Night Mail aufnehmen wollen. Auch er hat schon seit vielen Jahren nichts Neues mehr veröffentlicht, und es gibt ein Publikum in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, das zurecht sehr sehnlich darauf wartet. Außerdem habe ich ein Projekt mit der englischen Songwriterin Helen McCookerybook am Laufen.

Du hast im Booklet geschrieben, dass dich während der Sessions Bob Dylan in einem Traum zu einer Melodie inspiriert hat. Verwendest du öfter Inspirationen aus Träumen z.B. bei deinem eigenen Songwriting?

Robert Rotifer: Du meinst den Refrain von "Wiener Judenkinder". Melodie und Akkorde dazu gab es schon, aber der Refrain war im Dreivierteltakt gehalten. Das Soul-Riff, das ich wegen des Bezugs auf Otis Redding für die Strophe geschrieben hatte, war dagegen naturgemäß im Viervierteltakt, und der Bruch dazwischen störte den Fluss. Die Intervention Dylans im Traum war, dass er mir die Refrainmelodie mit dem einen zusätzlichen Beat dahinter vorsang. Ich hatte das zuvor schon probiert, aber es wollte nicht passen. Bei Bob Dylan dagegen klang es ganz schlüssig. Ich bin in der Früh gleich mit der Gitarre zum André Heller gelaufen und hab's ihm vorgespielt. Ideen aus Träumen oder Halbwach-Phasen verwende ich dauernd, auf meinem einzigen deutschen Album "Über uns" sind gleich zwei Songs drauf, die sich konkret auf diesen Schreibprozess beziehen: "Der Knoten" und "Der Mond".

War es eine bewusste Entscheidung für die "Spätes Leuchten"-Sessions auf junge MusikerInnen der Wiener Szene (Lukas Lauermann, Martin Klein etc.) zurückzugreifen im Gegensatz zu arrivierten und routinierten Studiomusikern, die normalerweise bei solchen Aufnahmen eingesetzt werden?

Robert Rotifer: Die Prädikate "normal" und "routiniert" waren so ziemlich das Letzte, das wir erreichen hätten wollen. Durch meine Arbeit für das Wiener Popfest seit 2010 habe ich einen ziemlich guten Überblick über die Qualitäten diverser Musikerinnen und Musiker in dieser Stadt. Ich hatte sofort eine dementsprechend lange Wunschliste parat. Ich wusste, das sind alles zutiefst künstlerische, sehr begabte, technisch höchst fähige Menschen, ja wenn mir das Wort "professionell" nicht so unsympathisch wäre, würde ich ihnen das auch noch umhängen. Ich fand es auch spannender, ein Streichquartett aus Mitgliedern von Alma und Neuschnee zusammenzustellen, als ein fertiges aus der Schachtel zu mieten. Das sind nämlich entscheidenderweise alles Leute, denen Hellers Werk sehr viel bedeutet. Man hört das ihrem Spielen an, man spürte es aber vor allem an der Atmosphäre im Studio. Es gibt ja schon lange keinen Abgrenzungszwang zwischen den Generationen mehr, aber darüber hinaus haben diese Leute auch nicht mehr dieselbe Scheu vor großen Emotionen in der Musik, sie haben nicht mehr den Zynismus, den man im deutschsprachigen Raum früher einmal als Coolness-Ersatz kultivierte. Abgesehen davon haben wir heute einen völlig verzerrten Begriff davon, wer "jung" ist. Als Peter Wolf mit André Heller "Basta" aufnahm, war er ein paar Jahre jünger als Lukas Lauermann, Marlene Lacherstorfer, Eloui oder Martin Klein es heute sind. Terry Bozzio, der Schlagzeuger, war 28 und längst eine anerkannte Größe, eine Koryphäe wie Lukas Lauermann dagegen ist 34 und wird immer noch ein wenig herablassend als "jung" eingestuft, obwohl er einer der meistbeschäftigten, weitest gereisten, erfahrensten Musiker Österreichs ist. Herbert Pixner ist 44, also um einiges älter als André Heller war, als er mit dem Touren aufhörte. Wenn Herbert Pixner am Konzerthaus nur vorübergeht, ist es schon ausverkauft. Martin Klein dagegen wird von einem vielleicht noch kleinen, aber mindest genauso wertvollen Publikum zurecht sehr verehrt. Ich halte diese Leute alle für gleichermaßen arriviert, es war eine Freude und Ehre mit ihnen zu arbeiten. //

Interview: Robert Fischer
Foto: bader molden recordings

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