Wiederentdeckungsempfehlungen bemerkenswerter Weihnachtsalben Klassiker - und die es noch werden wollen - vergangener Jahre und Jahrzehnte. Sechs Alben für die Weihnachtsseligkeit.
Weihnachtsalben Klassiker? Am Anfang war Bing Crosby. Und Ella Fitzgerald.
Wenn es draußen kalt ist und allerlei Weihnachtsfrauen und Männer mit langen Bärten in den schönsten Weihnachtsmelodien diesseits und jenseits des Atlantiks in Punschseligkeit versinken und wir uns einmal mehr der Frage aussetzen in wessen Namen all das passiert - im Glauben an das gute, alte Geld, oder an die kindliche Vorfreude endlich wieder Weihnachten zelebrieren zu können - ist das Album "Merry Christmas" von Bing Crosby nicht weit. Dieses Album ist erstmals 1955 auf Decca erschienen, wurde 1986 in "White Christmas" (MCA) umbenannt und ist die LP-Version seines ersten Albums "Merry Christmas" von 1945, das bis 1962 jedes Jahr an Weihnachten in den US-Charts war, bis 1950 sogar auf Platz 1. Die Kulturgeschichte des Albums mit all ihren Veränderungen im Laufe der Zeit wird einmal an anderer Stelle geschrieben, hier nun soll einzig an die Größe dieses Albums wieder erinnert werden. Vor allem Seite 2 des Albums bringt den Weihnachtskitsch zum Glänzen wie kaum ein anderes Weihnachtsalbum, während auf Seite 1 seine Versionen von "Silent Night" und "White Christmas" hervorstechen. Als vom Klangkleid unübertroffen stellt sich dabei die Mono-Version auf LP heraus.
Eine Mono- und eine Stereo-Version gibt es auch von "Ella wishes you a Swinging Christmas" (Verve) von Ella Fitzgerald aus dem Jahr 1960. Ein Album, das, ähnlich wie jenes von Bing Crosby, gewissermaßen eine Blaupause für viele spätere Weihnachtsliedkünstlerinnen ist, und gleichwertig ihren Platz in der Weihnachtsalbumklassikergeschichte einnimmt. Die Jazzsängerin kommt jedoch im Gegensatz zu Bing Crosby weitestgehend ohne Kitschmomente aus, das Album heißt ja auch "Swinging Christmas" und nicht "Schmaltz Christmas". Das beste daran: Die zwei Alben von Ella Fitzgerald und Bing Crosby überschneiden sich nur mit drei Liedern ("Jingle Bells", "Santa Claus is comin' to town", "White Christmas"), und somit kommt man nicht nur in den Genuss großartiger Weihnachtsliledinterpretationen, sondern auch noch mit einer ordentlichen Liedabwechslung. Ella Fitzgeralds Versionen vom rotnasigen Rentier Rudolph, sowie "Frosty the Snow Man" und "Let it snow! Let it snow! Let it snow!" sind ebenso grandios wie die anderen neun Lieder. Das Original-Tracklisting auf LP ist eine höchst homogene Angelegenheit ohne Füller, ohne Schwächen. Die spätere CD-Version, befüllt mit allerlei Bonus-Tracks, kommt hingegen in keiner Hinsicht an die Vinyl-Version heran.
The Magic Of Christmas
Weitere Weihnachtsalbum-Blaupausen: "Christmas Songs By Sinatra" (Columbia) von Frank Sinatra aus dem Jahr 1948, sowie "Elvis' Christmas Album" (RCA Victor, 1957 von Elvis Presley, "A Winter Romance" (Capitol, 1959) von Dean Martin, "The Magic Of Christmas" (Capitol, 1960) von Nat King Cole, "A Charlie Brown Christmas" (Fantasy, 1965) von Vince Guaraldi, "Someday At Christmas" (Tamla, 1967) von Stevie Wonder.
Keine Frauen? Keine Frauen. Vor allem von The Andrews Sisters, Peggy Lee und Rosemary Clooney gibt es zwar frühe Aufnahmen, jedoch immer nur als Gast-Sängerin, zumeist gemeinsam mit Bing Crosby. Das erste Weihnachtsalbum einer weiblichen Solo-Künstlerin waren tatsächlich deren zwei, beide aus dem Jahr 1960: "Christmas Carousel" (Capitol) von Peggy Lee und "Ella wishes you a Swinging Christmas" (Verve) von Ella Fitzgerald.
Kirchenkälte und Herzenswärme
Überspringen wir ein paar Jahrzehnte und werfen wir einen Blick ins 21. Jahrhundert, dann wissen wir freilich, dass es deutlich mehr Weihnachtsalben als Schnee in Wien zu Weihnachten gibt, dafür allerdings deutlich weniger Weihnachtsalben Klassiker als Eiszapfen. In jüngerer Vergangenheit Weihnachtsalben mit nachhaltiger Wirkung zu finden, die das Zeug zum Klassiker haben, wird erst im Laufe der Zeit zu erkennen sein und ist natürlich stark subjektiv. Begeben wir uns zunächst in zwei Weihnachtsalben hinein, die ohne Eigenkompositionen auskommen und in ihrer Tracklist, ähnlich wie Ella Fitzgerald und Bing Crosby, auf Klassiker zurückgreifen, eines von Annie Lennox und eines von Bob Dylan.
"Christmas in the Heart“ (2009) von His Bobness wurde auf Vinyl 2023 neu aufgelegt. Die 15 ausgewählten Lieder sind eine gelungene Mischung aus altbekannten Weihnachtsklassikern wie "Here Comes Santa Claus", "Winter Wonderland", "Silver Bells", und wie sie alle heißen, und weniger vertrautem wie "Christmas Blues", "Must be Santa" und "Christmas Island“. Im Klangbild und in der Umsetzung wurde mit Bedacht der Idee des Weihnachtsliedes besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein weicher Sound, wie man es sonst nur von alten Weihnachtsliedaufnahmen eines Nat King Cole, Bing Crosby, Dean Martin und Frank Sinatra kennt. Hier setzt Bob Dylan an und geht gleichzeitig noch einen Schritt weiter, indem er zur Gänze die dicken Streichersätze weglässt, und nur auf seine Band, auf einen 7-köpfigen Chor und auf ein paar Glockenspiele, sowie auf seinem Crooning vertraut. Heraus kommt dadurch ein unpathetisches, homogenes Ganzes. Auf guter HiFi-Anlage gehört, entfaltet sich somit ein sehr festives Hörerlebnis der audiophilen Art. Hört mal in "Winter Wonderland", "Here Comes Santa Claus" oder "Silver Bells" rein - das ist pure Magie, Superlativ. Ein weiteres Highlight ist "Must be Santa" von Hal Moore und Bill Fredericks (1959), sozusagen Dylans Nightmare Polka Christmas. Definitiv eines der fünf besten Weihnachtsalben in der Popularkultur. Must be Santa? Must be Bob!
Anders als Bob Dylan, der mit "Christmas in the Heart" ein dem Albumtitel entsprechend wärmendes Weihnachtsalbum ablieferte, spielt Annie Lennox einmal mehr den unterkühlten Engel, Cold as Ice, mit all der katholischen Strenge, die uns in den ausgewählten Liedern entgegenschlägt. Ein Lächeln bringt man bei "A Christmas Cornucopia" (2010) kaum zustande, das auf Vinyl 2020 neu aufgelegt wurde. Und überhaupt: Klassik Fans rümpfen die Nase, Rock Fans laufen laut schreiend davon - Annie hat es sich also ziemlich schwer gemacht, das liegt aber nicht nur an den Liedern, sondern auch an den eigenartig anmutenden Arrangements und Stimmverzerrungen, die zum Teil so unwirklich klingen wie die Geschichte der unbefleckten Empfängnis. Umso absurder, dass ich mittlerweile das Album sehr gerne höre, vielleicht auch deshalb, weil das Klangbild eine extreme Wucht vermittelt. Man denkt sich dabei unweigerlich in eine Kirche, in der bei der Messe nicht nur die Frohbotschaft übermittelt wird, sondern auch gleich Bußen auferlegt werden. Demut, Kniefall, Hände falten und 3x Vater Unser. Kurz und gut: "A Christmas Cornucopia" von Annie Lennox ist in all seiner Eigenartigkeit ein Füllhorn mit unbändiger Kraft. Streng und alles andere als zart. Dafür kalt wie eine Kirche. Und genau aus all diesen Gründen ein mit jedem Hörgang zunehmend lieb gewonnen werdende Weihnachtsalbum, an das nur wenige aus dem 21. Jahrhundert heranreichen.
Den Schnee mit dir alleine beobachten
Szenenwechsel. Raus aus der kalten Kirche und hinein in den pazifischen Raum, denn auch dort wird Weihnachten zelebriert. Der Singer-Songwriter, Gitarrist und Sänger Michael Franks, der seit seinem Debütalbum im Jahr 1973 kompromisslos Brücken zwischen Jazz, Pop und Lyrik spannt und von einigen als Erfinder von Smooth Jazz tituliert wird, veröffentlichte 2003 mit "Watching the Snow" (Koch Rec.) ein genuines Weihnachtsalbum, das bis heute leider nur auf CD erschien. Die große Besonderheit an diesem Album ist, dass alle 10 Lieder aus der Feder von Michael Franks sind. Neue Klassiker? Neue Klassiker! Nun, zumindest haben sie das Potenzial dazu und die magische Ausstrahlung. Damit ein Weihnachtslied zum Klassiker wird, gehört natürlich mehr dazu, Stichwort Charts, Stichwort "A-Rotation" bzw. "heavy rotation", die ab sieben Wiederholungen pro Woche beginnt. Wenig überraschender Spoiler: Keinem der Lieder auf "Watching the Snow" gelang dies. Ungeachtet dessen ist das Album schlicht und ergreifend Weltklasse. Wenn Michael Franks davon singt dieses Jahr Weihnachten auf einer Insel zu verbringen, dann denkt man mitunter an die Insel Kiritimati, die bis 1979 Christmas Island hieß, benannt nach dem Tag der Entdeckung von James Cook am Weihnachtstag des Jahres 1777. Mit einer Durchschnittstemperatur im Dezember von 24 Grad (Tagesmin.) bis 30 Grad (Tagesmax.) lässt es sich leicht schwelgen in Sehnsuchtsfantasien, wenn Michael Franks singt, "We'll snorkle through a turquoise bay / While others plod through Jingle Bells". Seiner Traumfrau richtet er in diesem Lied aus, "Pack that see-through summer dress, you wore last summer / Just let me, kidnap you / Underneath the coco palms on Christmas morn / So slowly, I'll unwrap you", um dann gemeinsam auch einen Mangobaum zu schmücken. An anderer Stelle auf dem Album erinnert sich der Sänger an "Christmas In Kyoto" zurück. Anders als Kiritimati ist die japanische Stadt Kyoto zu Weihnachten eine sehr winterliche Stadt mit hoher Schneewahrscheinlichkeit. Mit (s)einer Frau an der Seite bleiben diese Weihnachtstage unvergesslich. "The hotel provided sake and a Christmas feast kappa-maki with wasabi / Through the window / We notice snowflakes started falling / They were right up cute / Systematically falling for me and you / That Christmas in Kyoto / That Christmas in Kyoto / That perfect Christmas in Kyoto with you". Zen-Buddhismus lässt grüßen. Musikalisch kommt das Lied in einer sehr speziellen Weihnachtsstimmung daher. Eine reine Unschuld voller Magie und Zärtlichkeit. So wie Kyoto zum UNESCO Welterbe zählt, sollte dieses Michael Franks Lied in den Kanon besonders wertvoller Weihnachtslieder aufgenommen werden. Weitere Höhepunkte dieses ungemein fabelhaften Weihnachtsalbums: der unwiderstehliche Titelsong und das leichtfüßig und kindlich verspielte "I Bought You A Plastic Star (For Your Aluminium Tree)". Sollte in keiner gut geführten Weihnachtsalbumsammlung fehlen.
That's what I want for Christmas
Zu guter letzt hören wir noch eine Kompilation aus dem Jahr 2012 mit zum Teil eigens für dieses Album eingespielten Liedern. Holidays Rule, so der Titel in USA, bzw. der europäische Titel "Christmas Rules" (Hear Music / Concorde) ist eine 17 Song starke Zusammenstellung aus dem Hause Paul McCartney mit u.a. Calexico, fun. und Irma Thomas. Im Jahr 1996 gab es mit Just Can't Get Enough: New Wave Xmas (Rhino) eine ähnlich gelungene Kompilation mit heute gesuchten Raritäten von The Three Wise Men aka XTC, Squeeze, Captain Sensible, Timbuk 3, Throwing Muses (uvm.). Man kann sich gut vorstellen, dass "Christmas Rules" in einigen Jahren ein ebenso gesuchtes Album sein wird, auch wenn es bis heute keine Vinyl-Version gibt. Schon alleine der Einstieg von fun. mit "Sleigh Ride" bereitet große Freude, ebenso der McCartney-Song "Wonderful Christmastime", hier in einer Version von The Shins. In "Sleigh Ride" bekommt man bereits in den ersten 40 Sekunden die ganz großen Weihnachtsgefühle serviert. Verspielt und sinnlich gelingt der Truppe eine hervorragende Mischung aus Drum Programming und echtem Orchester. Es ist was es ist: fun. Interessant ist dann auch, was The Shins aus dem McCartney-Hit aus dem Jahr 1979 macht, nämlich eine zeitgemäße Auffettung mit Stil, Lust und Freude. Sir Paul McCartney himself singt hingegen mehr als formidabel "The Christmas Song" (eh schon wissen, der Mel Tormé Klassiker, der in der Interpretation von Nat King Cole eine Steilvorlage bekam), begleitet wird er dabei von Diana Krall am Piano und John Pizzarelli an der Gitarre. Die Chestnuts Roasting On An Open Fire hört man hier sehr genau und Sir Paul singt sich einmal mehr in die Herzen und kommt ganz schön nah an Nat King Cole ran. Auf diesem hohen Niveau ist auch "Baby, It's Cold Outside" in der Version von Rufus Wainwright featuring Sharon Van Etten, begleitet von Andy Burton am Piano, angesiedelt. Die vom Arrangement her extreme Reduktion ist ein ungemeiner Gewinn fürs Allgemeinwohl und lässt alle anderen Interpretationen dieses Songs (vielleicht mit Ausnahme von Dean Martins Version aus dem Jahr 1959) weit hinter sich. Die fünfte Großtat auf dem vorliegenden Album kommt von der Band Black Prairie featuring Sallie Ford und deren Beitrag "(Everybody's Waitin' For) The Man With The Bag". Man denkt dabei an ein Shanty und hört irgendwie auch Weihnachten, man hört den extra special fun, eine Tanzmusik für Fortgeschrittene und eine Sängerin mit Verve und Esprit. "Green Grows The Holly" heißt es hingegen bei Calexico, einem uralten Song, geschrieben von King Henry VIII aus England. Hat daraus Leonard Cohen dereinst die melodiöse Inspiration für "Who By Fire" erhalten? Gut möglich, aber in diesem Falle egal. Calexico gehen es sehr atmosphärisch an, lassen natürlich die Trompeten singen und somit alle frohlocken. Sehr hübsch ist auch "That's What I Want For Christmas" von Holly Golightly geworden. Da haben wir die Situation, dass es schon sehr spät ist, und das Tanzlokal schön langsam zur Sperrstunde aufruft. "Kiss me, that's what I want for Christmas" heißt es da, bevor wir alle rausgeschmissen werden. Aber keine Sorge, das Lokal nebenan ist noch offen, und dort hören wir Irma Thomas with The Preservation Hall Jazz Band ein Weihnachtslied von Louis Jordan (also ebenfalls ein uraltes) singen. "May Ev'ry Day Be Christmas", singt sie und dazu schwingt es wie früher in der Carnegie Hall, als der Jazz noch jung war. Die Heartless Bastards wiederum, diese herzlosen Gesellen, schmalzen sich ordentlich durch den Gassenhauer "Blue Christmas" - und so geht es dahin, insgesamt 17 Lieder lang. Jedes für sich ein großes Vergnügen, ein musikalisches Fest für Musikliebhaberinnen. Ein Weihnachtsalbum, wie man es sich wünscht. Abwechslungsreich. Sinnlich. Originell. //
Text und Foto: Manfred Horak
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