Diva Heaven Pressefoto

Interview mit Karo Paschedag, Mary Westphal und Kat Ott-Alavi der Berliner Rock-Band 24/7 Diva Heaven, die beim Echoes of Erebos Festival in Wien auftrat.

24/7 Diva Heaven im Interview

Es ist ein sonniger Nachmittag im April, als ich mich mit den drei Bandmitgliedern Bassistin Karo Paschedag, Schlagzeugerin Mary Westphal und Sängerin und Gitarristin Kat Ott-Alavi von 24/7 Diva Heaven in einem Kaffeehaus im 18. Bezirk treffe. Gleich bei der Begrüßung fällt mir die Herzlichkeit der drei sympathischen Musikerinnen auf. Als das Interview vereinbart wurde, hatte ich mich gefreut endlich mal wieder ein Interview auf Deutsch führen und schreiben zu können, und nicht, wie sonst meistens, auf Englisch. Und dennoch bemerke ich beim Erstkontakt eine Sprachbarriere meinerseits. Als wir Ort und Zeit ausmachen, schreibe ich ständig Sätze, die ich wieder löschen muss, da sie österreichische Phrasen beinhalten, von denen ich durch deutsche Freunde weiß, dass sie in Deutschland nicht verstanden werden. Der Band geht es jetzt im Gespräch umgekehrt teilweise ähnlich, belustigt wird die Speisekarte studiert, "ich bestell mir jetzt ein ... heißt es ein oder eine Melange?" Aber trotz der gleichen ungleichen Muttersprache verstehen wir uns und finden eine gemeinsame Sprache. Das Gespräch ist angenehm und erheiternd, die drei stellen interessierte Fragen; an sich gegenseitig, aber auch an mich, so dass aus dem Interview eine echte Konversation und kein einseitiges Frage-Antwort-Spiel wird.  

Kat, die Sängerin und Gitarristin und Mary, die Schlagzeugerin sind beide am Land aufgewachsen, Karo, die Bassistin in Berlin. Lange haben alle drei in Berlin gelebt, mittlerweile lebt Kat wieder am Land.

Kulturwoche.at: Nachdem 24/7 Diva Heaven einen großen Fokus auf Punk und Feminismus hat, wollte ich fragen, was für euch signifikante Unterschiede sind, die ihr zwischen der Stadt und dem Land wahrnehmt? Wie ist man Punk am Land und in der Stadt, wie ist man Feministin am Land und in der Stadt?

Diva Heaven Foto Maren MichaelisAlle: Puh, gute Frage. 

Karo: Ich kann das für das Land nicht beantworten, weil ich ja aus der Stadt bin und dort hab‘ ich immer das Gefühl, dass es einem leicht gemacht wird. Klar rebelliert man, vor allem wenn man sich gerade selbst findet. Aber man ist nicht allein damit. In meinem Umfeld kriegst du Unterstützung von deinen Eltern und deren Freunden und auch in der Schule ist die Reaktion der LehrerInnen nicht so "oh, du fällst aus der Reihe", sondern man wird von ihnen unterstützt. Man sucht sich dann auch seine Leute zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass man da auf dem Land eher allein ist. Also, dass man sich zwar seine Leute sucht, aber nur wenn man Glück hat, welche findet.  

Kat: Ich glaub das war das Schöne am Dorf, dass man damit auch noch anecken konnte, mit einem auffälligen Aussehen. Aber wenn ich so drüber nachdenke, gab es da schon verschiedene bereits bestehende Gruppen, an die man sich anschließen konnte. Leute, die Hip-Hop gehört haben, Leute, die Pop gehört haben, die Heavy-Metal-Leute und die Punks. Dann ist man da so reingerutscht. Und dann funktioniert es genauso wie in der Stadt, dass man als junger Mensch seine Erfahrungen sammelt und der Geschmack entsteht und einen prägt. Aber ja, man konnte schon noch anecken damit. Also wenn ich mit dem Nietenhalsband in den Supermarkt gegangen bin, dann wussten das die Nachbarn gleich. Sie haben geredet, "oh, die hat schon wieder ein Loch in der Hose."  

Karo: In Berlin wird man zum Beispiel auch in der Therme oder so nicht komisch angeguckt, wenn man Achselhaare hat und ein paar Tätowierungen. In Ludwigsfelde sitzen die Leute mit offener Kinnlade da und sagen: "Was ist das denn?". Also das ist noch keine große Masse, die sagt, dass das normal ist, wenn man Punk ist oder feministisch ist, sondern ich glaube, dass man damit immer noch aneckt. In ländlichen Regionen ist das immer noch nicht normal.  

Kat: Ich muss auch sagen, die feministischen Themen kamen bei mir viel später dazu. Unbewusst waren die vielleicht da. Aber wenn ich jetzt aufs Dorf fahre und versuche mit den Leuten über solche Themen zu reden, dann ist das schon schwer. Da merkt man schon die Unterschiede zur Berliner Bubble. 

Ich denke man kommt da auch im Nachhinein oft drauf, wie sexistisch manche Situationen waren. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, gibt’s da sehr viele Situationen. Zum Beispiel, dass wir in der Schule im Werkunterricht nach Geschlecht getrennt wurden und nur die Jungs Technisches Werken machen durften, während die Mädchen Textiles Werken machen mussten.  

Karo: Das ist ja wie in der DDR! 

Kat: Es wäre bei mir auch in eine andere Richtung gegangen, wäre ich am Dorf geblieben. Am Land sozialisiert zu werden und die Erfahrungen, die man dann in der Stadt macht, machen was mit einem. Ich wäre vielleicht mit ein paar Ansichten stehen geblieben. Wenn ich im Nachhinein so reflektiere, hab ich mich als Teenager sexistisch verhalten, weil man Sachen von anderen adaptiert, oder von den Eltern übernimmt – "meine Eltern sind cool“, wirft Kat energisch ein und lacht – aber was die Leute halt so sprechen. Da übernimmt man dann Sachen, ohne groß darüber nachzudenken.

Und warum bist du wieder zurück aufs Land?  

Kat: Berlin war mir auf einmal zu toll. Und ich mag diesen Spagat zwischen dem High Life den man hat, wenn man als Band unterwegs ist und dann aber wieder wo hinzukönnen, wo man keinen Input hat. Ich brauch das, um mich wieder aufzuladen. Ich glaube, noch länger in Berlin hätte mich auf Dauer ein bisschen ausgesaugt. Mein Gehirn braucht ab und zu Ruhe. Und dann natürlich auch die Natur. Ich hatte Bock auf Garten. Und das war mir in Berlin immer alles zu weit weg. Obwohl Berlin einige schöne Seen hat.  

Karo: Die alle im Juni schon gekippt sind.  

Kat: Und ich wohn ja nicht so weit weg von Berlin und kann auch schnell wieder reinfahren.

Nochmal zum Feminismus – ich hab schon öfter Aussagen von weiblichen Bands gelesen, wonach sie zum Beispiel mal Probleme mit Securities hatten, weil ihnen nicht geglaubt wurde, dass sie zur Band gehören, oder dass männliche Bühnentechniker sie ihren eigenen Soundcheck mit ihren eigenen Instrumenten nicht machen ließen und ihnen suggeriert wurde, dass sie das als Frauen nicht so gut können. Habt ihr Situationen wie diese erlebt und wenn ja, wie geht ihr damit und mit dem Frust, der daraus entsteht, um? 

Mary: Was mir passiert ist, ist dass ich nicht auf Augenhöhe wahrgenommen wurde, wenn es ums Thema Technik oder Soundcheck ging und dass mir dann ein männlicher Techniker sagen wollte, wie es läuft. Und das ist anfangs schon frustrierend. Ich weiß ja, welchen Sound ich haben will und wie es klingen soll und ich will nicht, dass dann ein fremder Mensch mit meinem Instrument rumspielt. Das ist schon sehr frustrierend. Auch die Frage, wie man sich dann positionieren kann, ohne sich den Abend dadurch versauen zu lassen. Man ist mit der Band da, man ist verpflichtet die Show zu spielen und man hat ja auch Bock. Also, die Situation hat dann nicht dafür gesorgt, dass ich abgesagt habe, aber es ist schon frustrierend. Da braucht man dann auch den Support der Band oder der eigenen Crew, damit man dann da auch wieder rauskommt und sich denkt "Ist halt ein Idiot..."  

Karo: Ich erinnere mich an die Situation, die du da beschreibst. Als wir aus dem Schuppen raus sind, bist du nochmal zu dem Typen hin und hast gesagt "Übrigens, kein böses Blut, aber das war richtig ungeil". Ich fand das gut, der Person das zu spiegeln. Vielleicht nicht unbedingt unmittelbar vorm Auftritt, aber wenn alles getan ist. Wie sollen die Leute das sonst auch lernen, wenn es ihnen nie jemand sagt? Wenn sie denken, das wäre schon okay so, und nie aufgefordert werden zu reflektieren, dann kann es sich auch nicht ändern. Ich habe schon das Gefühl, dass das, was Mary grad beschrieben hat anfangs – wenn auch in vielleicht schwächerer Form – vorgekommen ist, so auf die Art "komm lass mich mal ran, weißt du denn überhaupt wie du das Kabel in das Effektgerät steckst?", aber es hat abgenommen. Es wird mittlerweile sensibler gehandhabt.  

Mary: Was auch nervig ist: Meine männlichen Kollegen an den Drums haben sowas noch nie erlebt. Und wir haben das mehrfach erlebt. Das ist halt der nächste Punkt, dass wir als Frauen diese Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu leisten haben. Und natürlich wollen wir das ja auch, weil wir ja wollen, dass dieses Verhalten aufhört. Aber man ist dann immer in dieser Situation: 'Wie gehe ich damit um?', 'Was ist jetzt meine Strategie?', 'Wie fühle ich mich wohl?', 'Wie bringe ich der Person das jetzt so bei, dass sie es checkt?'  

Karo: Aber wenn männliche Personen dabei sind, die mit einem unterwegs sind und die das mitbekommen, sind die da ja auch unterstützend. Es ist schon gut, das nicht in sich reinzufressen, sondern zu kommunizieren und eine Richtlinie zu haben, wie man damit umgeht, und ich glaube schon, dass man da auch Unterstützung von männlicher Seite erfährt. Es ist nicht so, dass der Großteil einen runtermacht, oder einen nicht als Musikerin anerkennt. Weder in der Crew, noch bei den Leuten in der Venue. Und bei denen, die es tun, kann man dran arbeiten. Und das nicht nur allein, sondern auch mit der Unterstützung der Leute, die dabei sind.  

Es gibt auch Frauen, die internalisierten Frauenhass haben. Ich habe schon Frauen sagen gehört, dass sie keine weiblichen Kabarettistinnen sehen wollen, weil Frauen nicht lustig wären.  

Kat: Ja, oder sie mögen keine Frauenstimmen. Gerade in der Rockmusik ist das mit den Frauenstimmen ein Thema. Ich habe das schon öfter gehört, dass die Leute zum Merch-Stand gekommen sind und gesagt haben, 'eigentlich mag ich keine Frauenstimmen im Rock, aber ihr seid voll geil.' Danke, aber... 

Karo: Es kommt auch darauf an, was die Leute hören. Wenn die nur so Doro Pesch hören... es gibt halt viel Ramsch. Viele Leute mögen ja auch bestimmte Männerstimmen nicht, nur gibt es anteilig halt viel mehr Musik mit Männerstimmen. Deswegen fällt es öfter auf, wenn einem was nicht gefällt, was eine weibliche Stimme hat, weil es so rar ist. Ich glaube das ist teilweise noch eine Gewöhnungssache.  

In einem eurer Songs heißt es "all my friends are wasted“. Braucht es Exzess für Kunst? Ist Kunst besser, wenn sie im Rahmen von Exzess entsteht? Oder ist Exzess einfach eine Form von Eskapismus genauso wie Kunst selbst?  

Karo: Exzess muss man ja nicht auf Suchtmittel beziehen, es kann ja auch das Reinstürzen in andere Sachen sein. Eine bestimmte Art von Fanatismus. Oder irgendwas, woran man sich krass aufhängt, oder was einen – ich mag das Wort überhaupt nicht, aber mir fällt grad nichts anderes ein – inspiriert. Ich glaube, es kann schon fördernd sein, wenn man irgendwas exzessiv betreibt oder ein exzessives Interesse hat. Es muss ja nicht immer gleich die Spritze sein. Irgendwas sehr exzessiv wollen oder tun, könnte schon zuträglich sein für die Kunst. 

Kat: Ich glaube schon, dass es was mit Hingebung zu tun hat, aber nicht unbedingt mit irgendwelchen Substanzen. Ich habe keine Erfahrung mit harten Drogen, mein Ding war immer Alkohol. Ich finde zwei Gläser sind sehr inspirierend, ab dem fünften kommt nur mehr Mist raus. Also Exzess im Sinne von 'ich schreib den Song richtig gut, wenn ich die ganze Flasche getrunken hab', da würde ich sagen: nein. Die Songtext-Zeile "all my friends are wasted“ hat ein bestimmtes Gefühl ausgedrückt. Ich hab das geschrieben, kurz bevor ich ins Dorf zurückgegangen bin. Das war ein Gefühl von einem 'alle sind super durch', das ich damals hatte. Und die Zeile war auch super poppig, sie passte einfach gut in den Song. Es war eher ein Berlin-Gefühl, das ich zu dieser Zeit hatte, hat aber nichts damit zu tun, dass ich dachte, dass man extrem abgefucked sein muss, um Kunst zu machen. Ich glaube, die beste Kunst machst du, wenn du dich so richtig reinstürzt in Sachen und dich knallhart konfrontierst mit Dingen, die schon da sind. Ehrliche Auseinandersetzung mit Dingen passiert da glaub ich eher, wenn du nicht im Rausch bist. Ich denke, alleine auf dem Dorf auf einem Stuhl zu sitzen und ins Nichts zu gucken, ohne was zu trinken, ohne was zu rauchen, wäre eine krassere Erfahrung als drei Flaschen Sekt zu trinken und besoffen einzuschlafen, vom kreativen Prozess her. Aber das ist glaub ich sehr unterschiedlich. 

Mary: Ich sehe das auch so, dass es eine Grenzerfahrung ist. Also den Mut zu haben aus seiner comfort zone rauszugehen, auch musikalisch. Oder die Gedanken kreisen zu lassen und es ruhig werden zu lassen, sodass man erstmal überrascht ist 'ok wow, was passiert hier jetzt eigentlich' und sich das Gefühl zunutze zu machen, um weiter in den Gedanken reinzugehen. Ob jetzt mit oder ohne Drogen.  

Karo: Man kann auch vieles exzessiv betreiben und daraus was erzielen, oder das Gegenteil erreichen, so dass nichts mehr rauskommt. Wenn man sich immer pusht, pusht, pusht, was soll am Ende bleiben? Du verlebst ja alles. Entweder zerfickt es dich in Form von Stress, oder in Form eines nervous breakdown oder Burnout

Kat: Wir sind aber schon brav, wenn wir auf Tour sind, wenn ich so darüber nachdenke. Das könnte ja jetzt auch so klingen, als wären wir ne Band, die so losfährt und gleich die erste Bierflasche im Bus öffnet. Ihr macht Sport morgens und wir gucken, dass wir alle ausgeschlafen sind.  

Mary: Wir reizen das aber schon auch aus. Also ich geh dann auch mal gern nicht so früh ins Bett.   

Um noch mal auf die Sache mit dem Stuhl und der Einsamkeit zurückzukommen, Kat, du beschreibst im Song "JT“ so eine ähnliche Erfahrung, als du in Joshua Tree warst. 

Kat: Ja, da war ich so in einem wüstenähnlichen Szenario mit einer Freundin. Außer uns war niemand mehr da. Wir saßen da Rücken an Rücken mehrere Stunden und haben nichts gesagt. Da war nur Dunkelheit und Sterne und Wüste. Das war krass. So einen Zustand konnte ich bisher nicht mit anderen Dingen erreichen. Aber das ist jetzt mein persönlicher Wohlfühlpunkt. In so einem Setting zu sein, wo man dann merkt "wow, jetzt gerade ist alles krass in Ordnung." Das Gefühl hatte ich in dem Moment. Egal, ob da jetzt irgendwelche Konflikte zu Hause warten.  

Karo: In so unendlichen Weiten kann alles andere auf einmal ganz schon unwichtig wirken. Dieses Gefühl sollte man sich schon immer mal wieder abholen. 

Diva Heaven Stress Album CoverZum Glück ist die Pandemie vorbei und es gibt wieder Shows, es gibt wieder Festivals. So fand Ende April 2024 das Echoes of Erebos Festival in der METAStadt in Donaustadt zum zweiten Mal statt, das dieses Jahr 24/7 Diva Heaven headlinen durften. Angeheizt wurde die Stimmung davor schon durch die local heroes Heckspoiler, danach gewinnen 24/7 Diva Heaven das Publikum ebenfalls für sich. Die Stimmung ist großartig und man merkt, wie gut die Musik der Band ankommt. 

Ich mag euer Albumcover, wie ist das entstanden?  

Karo: Der Grundgedanke war, dass wir uns gedacht haben: 'Das Album heißt Stress, wie drücken wir das aus?' Und dann fanden wir die Optik geil und dachten uns: 'Was ist denn richtig stressig?' Buchstabensuppe mit Stäbchen zu essen, das ist verdammt stressig. Und das Cover zu machen, war gar nicht so einfach.  

Mary: DAS war stressig.  

Und wie seid ihr auf den Albumtitel gekommen? Was macht euch Stress?  

Kat: Die Corona-Zeiten. Die erste große Albumproduktion war stressig.  

Karo: Freizeit ist stressig. Die Welt ist stressig. Geld verdienen ist stressig.  

Mary: Das war so ein Grundrauschen im Hintergrund. Egal mit wem du gesprochen hast, alles war stressig.  

Kat: Das Wort, das am häufigsten gefallen ist, wenn ich mit Leuten gesprochen hab, darüber wie es ihnen geht, war 'stressig.' 

Karo: Es ist das Wort. Wer in unserer Generation hat denn nicht mit Stress zu tun? Niemand. Der Überbegriff für unsere Generation ist Stress. Auch wenn man über die Zukunft redet, wie wird das sein, wenn man mal in Rente geht? Man hat ja eh keine. Dann sollst du aber mit irgendeinem Scheiß-Job zum Rentensystem beitragen. Das Wort Stress beschreibt unsere Gesellschaft ganz gut. Egal, ob man das weltpolitisch oder persönlich für die eigene Laufbahn betrachtet. Es wird einem auch schwer gemacht, das zu tun, worauf man wirklich Bock hat. Das ist stressig. Du verdienst nicht genug Geld, um dich über Wasser zu halten und wirst in alle Richtungen gedrückt. Wenn du dann nur 32 Stunden arbeiten willst, wird mit dem Finger auf dich gezeigt. Es ist auch nie irgendwas einfach, du wirst nie irgendwo durchgewunken. Alles ist damit verbunden, dass du irgendwas ausfüllen musst – oder irgendwas verteidigen. Oder, dass du überhaupt erst mal wissen musst, wo du dich einordnen möchtest, gesellschaftlich.  

Kat: Ich finde es lustig, dass wir hier jetzt die ganze Zeit über persönlichen Stress reden, aber das Album sich gar nicht um unseren Stress dreht. Sondern es ist eigentlich super politisch. Ich glaube aber, dass es sich vermischt und auch ein bisschen zusammenhängt.  

Karo: Es ist ja fast schon normal, seit immer, dass es sowohl diesen großen Stress gibt – den Papa, der dir im Nacken sitzt und dir gleich ne Schelle raufhaut – und dann muss man auch noch damit klarkommen, dass es an allen Ecken brennt. Das ist der größte Stress. Aber den ist man ja fast schon gewohnt. Den kennt man ja fast schon aus Kindheitstagen, als man noch keinen persönlichen Stress hatte, weil der größte Stress war, dass ich um acht in der Schule sein muss. Aber selbst da gab es ja schon Stress. Der Alles-geht-zugrunde-Stress, Existenz-Stress, für alle! 

Spiegelt sich das auch in der Berliner Musikszene wider?   

Mary: Ich war überrascht, dass so viele Releases kamen.  

Karo: Ja, nach der Corona-Pandemie hatte ich auch das Gefühl, dass alles, was erschienen ist, sehr, sehr schmerzlich und verletzlich war. Dass Leute so krass gelitten haben in dieser Lockdown-Zeit, dass sie ihre persönlichen troubles und breakdowns in Musik verarbeitet haben, um sich Luft zu machen. Was ein schöner Weg ist, finde ich. Aber ich fand‘s erschreckend wie viel kam; wie viele Leute, wenn sie aus ihrem Alltagsleben gerissen werden, und nicht dem üblichen Fluchtprozess nachgehen können so auf 'ah, ich hab was, aber bevor ich mich mit was beschäftige geh ich in die Kneipe oder treff mich mit Freunden', als das weg war. Die Leute haben dann stattdessen Musik gemacht. Und es war wenig Positives, wenig Aggressives. Sondern sehr Persönliches.  

Kat: Wenn man mal weg von der Musik selbst geht, es gibt schon eine krasse Krise in der Musikindustrie. Extrem viele Leute von Technik, Personal bis zu was-weiß-ich haben aufgehört und haben sich in der Pandemie einen anderen Job gesucht. Clubs sind pleite gegangen. Jetzt gibt es zwar wieder viele Konzerte, aber die Ticketpreise sind unfassbar teuer, befeuert durch andere Krisen, wie die Energiekrise, Inflation… Für eine kleine Band ist es fast unmöglich, was zu machen. Berlin, das ja eigentlich für coole Underground-Shows bekannt ist, für DIY-Kultur, hier ist alles fast nicht mehr bezahlbar. Als kleine Band in einem Club aufzutreten, ist fast unmöglich. Da ist schon was zurückgeblieben von der Pandemie, eine Kerbe wurde reingehauen. Dass es nur von der Pandemie kommt, wage ich aber zu bezweifeln, es sind mehrere Sachen, die da zusammenkommen.  

Ich denke, dass ein ganz falscher Eindruck entsteht, dadurch, dass es vereinzelte Künstler gibt, die sehr viel Geld verdienen und sehr erfolgreich sind. Dadurch geht der Blick verloren, dass das für die meisten Bands kein Standard ist. Dass sehr viele Bands, Venues, Labels und so weiter ums Überleben kämpfen müssen und eine Tour oft ein Minusgeschäft für die Band bedeutet.  

Diva Heaven Interview Foto: Sebastian IgelKat: Es gibt da zum Beispiel die Band "Screenshots" aus unserem Umfeld. Die sind schon recht bekannt, die touren und sind am Aufsteigen. Die haben jetzt gesagt, dass sie dieses Jahr gar nicht touren, weil sie's nicht schaffen. Sie müssen Geld verdienen und mit dem Touren können sie kein Geld mehr verdienen. Und sie können ihrer Kunst nicht mehr nachgehen, obwohl sie sich schon einen Standard erarbeitet haben und 6k-Instagram-Follower haben. Da muss man schon viel reinstecken, um sich eine Fan-Gemeinde zu erspielen. Und viele andere Bands sagen "Scheiße, ja, die Miete für ein WG-Zimmer in Berlin liegt jetzt bei 800 Euro, wie soll ich mit Musik Kohle machen?" Das ist schon ein prekärer Zustand, finde ich. Außer, man hat halt sehr niedrige Lebenserhaltungskosten, oder geerbt.  

Karo: Aber es geht ja keiner an die Sache ran, um Geld zu verdienen und reich zu werden.  

Kat: Natürlich nicht, um reich zu werden, aber es geht ja darum, Dinge machen zu können und auch angemessen dafür bezahlt zu werden. Wenn wir mit jedem Klick auf Spotify stattdessen eine Platte verkauft hätten, sähe unser Leben ganz anders aus. Es gibt mittlerweile so eine Fülle und Masse an Sachen, dass es gar nicht mehr wertgeschätzt wird. Natürlich hat das auch was Gutes, es erleichtert den Zugang für Leute, die nicht so viel Geld haben. Es macht Spaß, dass man in so viel Neues reinhören kann, aber es ist einfach schwierig.  

Leider scheint es wohl eher in eine andere Richtung zu gehen. Ich höre immer wieder von Bands, dass viele Venues in den USA und im UK jetzt sogar Provision für Merch-Stände verlangen.  

Kat: Ja, das gibt‘s in Deutschland auch schon. Eine Freundin von uns hat kürzlich als Support-Band in einem Club in Frankfurt für 100 Euro gespielt. Und sie sollten 100 Euro Merch-Fee bezahlen, damit sie dort ihren Merch verkaufen dürfen. Als Support. Bei Festivals ist es was anderes, aber in Clubs find ich es scheiße, wenn Bands da alleine stehen und ihren Merch verkaufen, ohne Personal vom Club, und dann musst du dem Club 100 Euro dafür bezahlen. Was auch beliebt ist: 'Drei T-Shirts für die Crew und zwei Platten. Wenn ihr bei uns Merch verkaufen wollt, müsst ihr euren Merch umsonst an die Crew abgeben.‘ Die haben wahrscheinlich zu Hause Platten und T-Shirts bis unters Dach. Nicht, dass man gerne auch mal was gibt, aber das ist schon dreist.  

Ja, ich denke für die Konsumenten hat die schnelle Verfügbarkeit von Musik und Kunst allgemein viele Vorteile. Auch wenn man selber Künstler ist, hilft es einem vielleicht im ersten Schritt seine Kunst zu verbreiten, vor allem, wenn man noch kein Label hat, aber mit der Zeit kommen dann halt die Schattenseiten.  

Kat: Es wäre halt schön, wenn ab einem gewissen Punkt dann doch was passiert in irgendeiner Art und Weise.  

Wenn man sich die positive Reaktion des Publikums beim Konzert von 24/7 Diva Heaven in Wien ansieht, kann man sich jedoch eines Eindrucks nicht erwehren: Dass irgendwas hier schon passiert. // 

Interview und Text: Christina Masarei
Fotos 24/7 Diva Heaven: Sebastian Igel, Maren Michaelis

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