Ein beeindruckender Theatertext für junges Publikum ab 15 Jahren fand am 28. November 2007 im Dschungel Wien seine nicht minder beeindruckende österreichische Erstaufführung: Darksite, ein bitterböses Stück rund um Sozialverwahrlosung und Missbrauch.
Die Autorin Edna Mazya, die als eine der bedeutendsten Autorinnen Israels gilt, hat diesen brisanten Text verfasst, der in der österreichischen Erstaufführung von Regisseurin Corinne Eckenstein in einer Koproduktion von Theater Foxfire & Dschungel Wien kongenial umgesetzt wurde. Ilai und Max Berger leben in der Wohnung ihrer Eltern. Freundin Didi hat ebenfalls hier ihre Zelte aufgeschlagen. Die gestressten Eltern sind zumeist abwesend und kommunizieren mit ihren Kindern per Telefon oder Video-Sitzungen. Die drei Jugendlichen verlassen kaum mehr das Haus und kippen immer tiefer in Welten, die sie sich sukzessive selbst erschaffen. Das aktuelle Projekt der drei ist eine Website zum Thema Angst. Dafür locken sie Menschen in ihre Wohnung, jagen ihnen Angst ein und filmen sie dabei. Der Pizzajunge (Cornelius Edlefsen) zu Beginn des Stückes ist ein willkommenes Opfer, glaubt er doch wirklich, eine Leiche im Haus gefunden zu haben, die sich jedoch bei näherem Hinsehen als äußerst lebendig herausstellt. Die makaberen Spiele der drei bringen aber nicht nur zynischen Frohsinn ins Haus. Konflikte zwischen den Jugendlichen werden damit nur kurz überdeckt und brechen bei der kleinsten Gelegenheit wie eine eitrige Wunde wieder auf.
Anti-Familienleben
Die fragilen Gefühlszustände werden von Alma Hasun, Charly Vozenilek und Felix Alexander Rank wie auf einer Hochschaubahn ausgelebt. Wobei Corinne Eckenstein die Mittel der Überhöhung sorgsam einsetzt und diese nie der reinen Effekthascherei opfert. Einige der körperbetonten, fast tänzerischen Sequenzen wirken wie ein nach außen Stülpen innerer Befindlichkeiten und geben den Figuren eine Vielschichtigkeit, die jenseits des Textes liegt. Die Auftritte von Didis Mutter (Julia Köhler) vermitteln eine Ahnung davon, worauf sich Didis Stärke und Zorn aufbaut. Mit einem derart schwachen und gebeugten Frauenbild will sie nichts zu tun haben. Alma Hasun in der Rolle der Didi spielt ungemein nuancenreich. Das verletzte Kind in sich hat sie internalisiert und lässt es naturgemäß nur momenteweise hinaus. Auch die Video-Sitzungen mit Ehepaar Berger (herrlich: Helmut Berger und Cornelia Köndgen) geben einen Einblick in dieses Anti-Familienleben. Dabei werden auch die emotionalen Unterschiede zwischen dem älteren und zynischen Ilai (sehr souverän: Charly Vozenilek) und dem jüngeren Bruder Max gut herausgearbeitet. Felix Alexander Rank bringt dessen Labilität und Drogenabhängigkeit in einer verstörenden Exzentrik auf den Punkt.
Chat mit Big Daddy
Noch ist das ganze ein böses Spiel. Richtig gefährlich wird es aber, als sich Didi, Ilai und Max auf einen Chat mit einem Pädophilen namens Big Daddy einlassen. Sie selber agieren mit dem Nickname Baby Doll. Didi, der die ganze Sache zeitweise unheimlich ist, kann der Versuchung nicht widerstehen, die Sache auf die Spitze zu treiben und beginnt mit dem pädophilen Mann zu telefonieren. Dabei wird sie sich langsam bewusst, dass sie von ihrem eigenen Vater als Kind missbraucht wurde. Der Live-Chat und das Telefonieren zwischen Big Daddy und Baby Doll bekommt eine Intensität mit Gänsehautcharakter. Tristan Jorde in der Rolle des Pädophilen bleibt jede Sekunde glaubhaft und hält die Spannung am Kochen. Seine verführerische Stimme wirkt in keinem Moment aufgesetzt, seine inneren Gedankenabläufe sind quasi zu erfühlen. Wie diese wahnsinnige Geschichte von Autorin und Regie finalisiert wird, ist wirklich sehenswert und mit skurrilem Humor gewürzt. Das Ende wird daher an dieser Stelle nicht verraten. (Text: Evelyn Blumenau; Fotos: Rainer Berson)
Infos zum Stück
Bewertung: @@@@@
Darksite (Österr. Erstaufführung)
Altersempfehlung: 15+
Schauspiel / 95 Minuten
Autorin: Edna Mazya
Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch und Thoralf Seiffer
Regie: Corinne Eckenstein
Bühne: Andreas Pamperl
Kostüme: Beatrice Radlinger
Musik: Sue-Alice Okukubo
Video: Rainer Berson
Licht: Hannes Röbisch, Dschungel Wien
Animation: Nana Swiczinsky
Produktionsleitung: Alexandra Hutter
Regiessistenz: Cornelius Edlefsen
Mit: Alma Hasun (Didi), Charly Vozenilek (Ilai Berger), Felix Alexander Rank (Max Berger), Julia Köhler (Vered, Didis Mutter), Tristan Jorde (Big Daddy), Cornelius Edlefsen (Pizzabote)
Auf Video: Helmut Berger (Yoel Berger), Cornelia Köndgen (Zippi Berger), Daniela Nitsch (Imogen)
Weitere Spieltermine (Beginn jeweils 19.30 Uhr):
1. Dezember 2007
5. bis 8. Dezember 2007
22. bis 25. Januar 2008
Link-Tipps:
www.dschungelwien.at
www.theaterfoxfire.org