An drei Abenden im November 2007 war Mein Leben mir selbst, die engagierte Theaterproduktion von Cocon-Kultur und dem Jugend- und Kulturhaus VZA, in der brunnen.passage Yppenplatz zu sehen. Thematisierte Gewalt an Frauen und deren erzwungene Domestizierung in einer facettenreichen Collage und mit schrägem Humor gepfeffert.
Zwangsverheiratung
10 Frauen bevölkern die Bühne. Sie sind beständig beschäftigt. Entweder schmücken oder schminken sie die zwölfjährige Dilan, die ihren Polterabend feiert, die so genannte Hennanacht - und das Ende ihrer Kindheit. Oder sie beschäftigen sich mit sich selbst. Anlässlich der bevorstehenden Verheiratung von Dilan, welche ihrem Cousin Ali versprochen wurde und schweigend, mit einem Schleier verhüllt, in der Mitte sitzt, kommen die Frauen ins Reden. Monologisierend, auch in mehreren Sprachen und teilweise in regem wetteifernden Schlagabtausch miteinander, lassen sie eigene Erfahrungen, Hochzeiten, Trennungen und Enttäuschungen Revue passieren. Dies alles passiert mit einer scheinbaren Konfusion, die aber bei genauerem Betrachten einer gut durchdachten choreographierten Dramaturgie gehorcht, wobei die schauspielerischen Leistungen der Akteurinnen teilweise recht unterschiedlich sind. Das Anliegen der Regisseurin Emel Heinreich (siehe Foto), ein kulturübergreifendes Stück zu präsentieren, in dem Traditionen und Zwänge aufgezeigt werden, unter denen Frauen leiden und die in vielen Gesellschaften stattfinden, wird durch eben diese fließende Inszenierung gut umgesetzt. Besonders in Erinnerung bleiben in diesem Zusammenhang kurioserweise die Passagen einer Frau, die von Helen Brugat sehr authentisch gespielt werden und eine auf die Spitze getriebene Selbstverleugnung darstellen. Sie, die Österreicherin, habe alles getan, um ihrem Mann zu gefallen. Sie habe Türkisch gelernt, sie habe das Kopftuch getragen, sie sei zum Islam übergetreten. Verlassen habe er sie dann trotzdem.
Knochen Brechen und Füße binden
Um die Thematik kulturübergreifender darzustellen, bedient sich Regisseurin Heinreich eines exotisch anmutenden Exkurses: Die aus Singapur stammende Schauspielerin YAP Sun Sun agiert quasi als mahnendes Gewissen, die Augen offen zu halten und nicht nur beim Thema Zwangsheirat stehen zu bleiben. Diese wunderbare vielschichtige Schauspielerin führt das Publikum in ihren Auftritten in eine Welt, die wir gerne vergessen würden. Sie erzählt in empathischer und mitfühlender Art von dem barbarischen Akt des Füße binden, das im China bis weit ins 20. Jahrhundert üblich war und einem weit verbreiteten Schönheitsideal verpflichtet war. So genannte ‚Lotosfüße’ waren das Resultat von unmenschlichen Prozeduren, in denen kleinen Mädchen die Knochen gebrochen wurden und auf diese Weise der Fuß am Wachstum gehindert wurde und nur etwa 10 Zentimeter groß wurde. Frauen, die derart verstümmelt waren, konnten nur mehr mithilfe anderer das Haus verlassen. Für die Männer war das Gesicht ihrer Braut im Übrigen nicht von großer Bedeutung, der begehrliche Blick fiel stets auf die kleinen Füße der Frau.
Was bringt die Zukunft?
Emel Heinreich bleibt in ihrer Inszenierung nicht im Leid erstarrt. Im Gegenteil, sie schafft es, dieses anspruchsvolle und brandaktuelle Thema gegen Ende des Stückes in die Hände der Frauen zu legen, die endlich beginnen, IHRE Netze zu spinnen anstatt einander gegenseitig ihr Leid zu klagen oder sich als Konkurrentinnen zu sehen. Die zwölfjährige Dilan wirft ihren Schleier ab. Es wird keine Heirat geben. Die Wirklichkeit sieht – noch - anders aus. Zwangsverheiratung bleibt ein heißes Thema. Aufklärung, Hinterfragen von Traditionen, Bildung und Ausbildung sind nur einige der Stichworte, die uns weiterhin beschäftigen werden. Auf neue Projekte von Emel Heinreich kann man in diesem Zusammenhang gespannt sein. (Text: Evelyn Blumenau; Cocon-Kultur)
Link-Tipps für Frauen:
Tamar - Interventionsstelle für Gewalt an Frauen
Orientexpress - Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen
Infos zum Stück:
Bewertung: @@@@
Produktion: Verein Cocon, Jugend- und Kulturhaus VZA Produktionsleitung: Serena Laker
Regie/Konzept: Emel Heinreich
Regieassistenz: Elisabeth Seethaler
Schauspielerinnen: Öznur Aktas, Gülsevin Akyokus, Helen Brugat, Derya Akbaba, Leyla Marojevic, Ivana Nikolic, Handan Oktar, Aysun Özcelik, Mia Parmas, Gamze Şeber, Sun Sun YAP
Bühne und Kostüm: Markus Kuscher
Technik: Andreas Pamperl