roteroktoberEin interessantes Konzept verfolgen Hans Escher und Bernhard Studlar mit Wiener Wortstätten, das im Rahmen des Festivals Roter Oktober im Nestroyhof vom 1. bis 31. Oktober 2007 stattfand. Dieses interkulturelle Projekt soll die Auseinandersetzung und Vernetzung zwischen Autor/innen fördern, die größtenteils aus Osteuropa stammen, jedoch in Wien leben und schreiben.

Karl-May-Reliquien

"Durch die Schluchten des Balkans" nennt sich das Karl-May-Destillat von Bernhard Studlar, welches sich zum Ziel gesetzt hat, 6 Romane in 2 Stunden zu präsentieren. Sich den Werken Karl Mays im Theater und Film ironisch zu nähern, ist unausgesprochener Konsens. Trotzdem springt der Funke bei dieser Produktion nicht so ganz über, was vielleicht an der Fülle des Vorhabens liegt. Martin Müller-Reisinger und Sebastian Wendelin begeben sich als Conférenciers und in den Rollen des Karl Benemsi und seines Dieners Hadschi auf eine literarische Reise durch tiefe, literarische Schluchten und geistige Hochebenen. Der grantelnde Karl und sein willfähriger Diener Hadschi geben ein schräges male couple ab, das durch einen Abend führt, in dem das Werk Karl Mays auf den Kopf gestellt, durchgeschüttelt und plastisch aufbereitet wird. Was vor allem in Erinnerung bleibt sind witzige Ideen zur geistigen Erbauung des Publikums, das zur Mitwirkung und zum Mitschreiben aufgerufen wird, um beim Balkan-Quiz reüssieren zu können. Auch einige Reliquien – wie etwa der im Einmachglas verschlossene Stutzen des Karl Benemsi – werden ehrfürchtig weiter gereicht.

Obwohl der Abend 1 Stunde und 45 Minuten dauert, stellt er einen kurzweiligen Spaß dar und erregt sehr wohl auch wieder das Interesse an der Person Karl May. Als Kind seiner Zeit blieb May nicht unbeeinflusst von Formulierungen, die heute als rassistisch angesehen werden. Er selbst blieb eine widersprüchliche Figur, die sich einerseits bewusst von den ethnologischen Vorurteilen seiner Zeit absetzen wollte, anderseits  aber pauschale abwertende Aussagen über Iren, Juden, Armenier, Chinesen und Schwarze tätigte. Zugleich gibt es aber auch beispielsweise Chinesen, die in seinen Romanen als positive Figuren dargestellt werden.

Doch zurück zum Stück: Martin Müller-Reisinger und Sebastian Wendelin bilden das Publikum in Sachen Balkan, verweilen in der zweiten Hälfte intensivst bei Band 4 und erzählen von Opiumrausch und Räuberunwesen. Die Musikeinspielungen von KILO (Florian Bogner und Markus Urban) sorgen für dementsprechende Stimmung. Dass die für alle sichtbare und namenlose Souffleuse vor den Akteuren sitzt und in bewundernswerter Konzentration bei der Sache ist, lässt auf einen Überschmäh hoffen, der jedoch nicht eintritt. Die Vermutung liegt nahe, dass sie – aufgrund ihres verhüllten Hauptes – Assoziationen zum Sujet des Balkans wecken soll. Der historisch hochinteressante Nestroyhof ist jedenfalls ein Gewinn für die Wiener Kulturszene und einen Besuch wert. In diesen geschichtsbeladenen Räumlichkeiten die Wiener Wortstätten anzusiedeln, ist eine hervorragende Idee, und es ist zu hoffen, dass diese Initiative weiter geführt wird. (Evelyn Blumenau)

Kurzinfos:
Bewertung: @@@
Nestroyhof (Nestroyplaz 1, 1020 Wien; Tel.: 236 38 47
)
Karl Benemsi: Martin Müller-Reisinger
Hadschi: Sebastian Wendelin
Einrichtung: Hans Escher
Musik: KILO (Florian Bogner & Markus Urban)
Ausstattung: Renato Uz
Technische Leitung: Erich Heyduck

Link-Tipps:
Wiener Wortstätten