Das Wiener Staatsballett bringt unter dem Titel "Schritte und Spuren" einen Abend mit Choreografien von Jiří Kylían und von ihm inspirierten Kollegen.
Der Meister zuletzt: Von einem Abend mit vier Arbeiten von Jiří Kylían und verschiedenen Tänzer-Choreografen besticht dessen eigene Arbeit "Bella Figura" durch visuelle Kraft und spannende Verwendung eingeschränkter Blickwinkel. So wird die Bühne immer wieder durch Abhängungen verkleinert und der Blick des Zusehers auf einen Ausschnitt fokussiert, in dem etwa ein Duett zweier Damen mit glänzend roten Röcken und freiem Oberkörper zu beobachten ist, die einander mit ausholenden, doch zarten Armschwüngen in Bewegung versetzen. Der Beginn des Stückes ist überraschend zeitgenössisch, bei Publikumslicht sehen wir die Tänzer, gleichsam noch hinter der Bühne, Sprünge, Kombinationen und Hebungen aus dem Stück probieren, abbrechen, sich leise unterhalten, konzentriert, für sich, zu zweit arbeiten. Über ihnen hängt im Glassarg eine Schaufensterpuppe, ein krudes nacktes Schneewittchen, unbelebtes Körperabbild ohne Vergleich zu den lebenden, virtuosen Menschen auf dem Tanzboden. Die späteren Duette und Gruppensequenzen zu barocker Musik kommen dann wesentlich konventioneller daher, eine Bewegung für jeden Beat, jede Kapriole, die die schöne Musik schlägt. Wenn auch die Bewegungssprache modern und stark vom zeitgenössischen Tanz beeinflusst ist, bleibt die Choreografie doch in den Geschlechterverhältnissen, den viel Bein und Haut zeigenden Kostümen und dem Umgang mit der Musik im Altbekannten. Einen Kontrapunkt würde man sich wünschen. Der Schluss in Stille bietet einen wohltuenden Abschluss. Zurück aber zum Beginn des Abends: Den bestreitet Jiří Bubeníček mit "Le Souffle de l'Esprit", ebenfalls zu barocken Stücken und vor projizierten Ausschnitten von Bildern Leonardo da Vincis, die der sonst weißen Bühne einen unaufdringlich farbig strukturierten Hintergrund geben und auch die Inspiration zum Stück bildeten. Der Fluss der Bewegung wird durch Brechungen und Irritationen gestört, die Bühne scheint zu klein für die Gruppenszenen. Die Kostüme, flatternde Blusen über hautfarbenen Trikots bei den Damen, muten improvisiert an, den Tanzenden bleibt ob der fordernden und ungewohnten Bewegungsfolgen keine Zeit zum sonst üblichen posieren. Die Choreografie verlässt sich ganz auf die Bewegung und da Vinci und ist ein angenehmer Einstieg in den Abend, der mit "Glow-Stop" von Jorma Elo eher anstrengend wird, da sich das Prinzip ein Move per Beat bei Musik von Mozart und Philip Glass völlig in Gefuchtel auflöst. Die Spitzensequenzen in bordeauxroten Samtkostümen tun das ihre dazu, dass man den Blick ein bisschen von der Bühne lösen und sich zum Zuhören zurücklehnen möchte. "Skew-Whiff" von Paul Lightfoot / Sol León schließlich nutzt die Möglichkeiten des zeitgenössischen Materials, um einen spritzigen Tanz von drei Äffchen um eine Dame zu zeigen, witzig, überraschend und mit komödiantischem Talent getanzt. Überhaupt meistert das Ballettensemble die atemlosen Choreografien mit Bravour, wenn man von Unsicherheiten in Kontaktsequenzen unter Herren und einer allgemeinen Angst vor dem Boden absieht. Auf alle Fälle einen Abend in der Oper wert. (Ina M. Rager)
Kurz-Infos:
Schritte und Spuren
Bewertung: @@@@
Jiri Kylián, Jirí Bubenícek, Jorma Elo, Paul Lightfoot, Sol León
Kritik zur Aufführung am 12. Jänner 2011 in der Wiener Staatsoper