Der Druck war groß. Zum ersten Mal in seiner Karriere hat Daniel Kehlmann, der wahrscheinlich auch noch im Alter von 50 Jahren als "Österreichs literarisches Wunderkind" bezeichnet werden wird, ein Theaterstück geschrieben. Nachdem seine Buch-Publikationen von großem Erfolg gekrönt waren, blieb nun abzuwarten wie es um das dramatische Talent bestellt ist.
Raimund Orfeo Voigts Bühnenbild ist klar definiert. Glas und weiße Farbe als dominante Materialien ziehen durchsichtige, überwindbare Grenzen zwischen Gegenwart, Erinnerung und Jenseits. Das teilweise bläuliche und immer kühle Licht entwirft eine Düsternis, nicht wie in einem Vampirfilm, sondern wie in einem Sektionssaal. In diesem Raum-Zeit-Gefüge agieren die Figuren gleich in mehrfacher Ausführung ihrer selbst und erzählen die Lebensgeschichte des Kurt Gödel, Logiker und Mathematiker, der an Diskussionen des Wiener Kreises teilnahm und in mittleren Jahren in die USA emigrierte, wo er in Princeton lehrte. Am Ende seines Lebens übermannte ihn die Angst vor Vergiftung, die ihn letztendlich an Unterernährung sterben ließ.
Distanzierte Charakterstudie
Regisseurin Anna Badora inszeniert stimmig bis ins letzte Detail. Die Schauspieler reproduzieren den verwobenen Charakter aus Erinnerung und Gegenwart. Durch die verschiedenen zeitlichen Ebenen im Stück, in dem Tote wiederauferstehen und retrospektiv die eigenen lebenden Versionen kommentieren, entsteht ein Verfremdungseffekt, der eine distanzierte Charakterstudie ermöglicht. Neben Kurt Gödel selbst (Johannes Silberschneider), genial dargestellt, ist vor allem Albert Einstein. Hans Peter Hallwachs spielt den langjährigen Freund Gödels so herrlich entspannt und losgelöst, indem er sich zu Beginn an einer Straßenecke erleichtert und später versucht Gödel auf seinen Einbürgerungstest vorzubereiten. Bei aller Beleuchtung der männlichen Perspektiven im wissenschaftlichen Kosmos wird aber auch ein Blick auf das Seelenleben von Adele Gödel geworfen. Die Frau, die ihrem Gatten das Essen vorkostete, damit er überhaupt etwas aß, hatte ihren Charakter zugunsten ihres Mannes aufgegeben. An Einsteins Frau gerichtet sagt sie: "Sie brauchten jemanden. Wir waren da. [...] Man hätte ein eigenes Leben haben können. Man hätte glücklich sein dürfen."
Gelungenes Drama-Debüt
Die "Geister in Princeton" erwecken die Theaterbühne am Grazer Schauspielhaus nach der Sommerpause wieder zum Leben. Es lohnt sich in jeder Hinsicht diese Aufführung anzuschauen und zwar nicht nur, weil Daniel Kehlmann hier ein sehr gelungenes Drama-Debüt geglückt ist, sondern auch, weil es Anna Badora zu verdanken ist, dass die Inszenierung nicht im Starrummel untergeht und als starkes Kunststück auf die Bühne gestellt wird. (Text: Katja Kramp; Fotos: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz)
Kurz-Infos:
Geister in Princeton von Daniel Kehlmann
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Premiere am 24. September 2011 im Schauspielhaus Graz
Regie: Anna Badora
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Beatrice von Bomhard
Licht: Tamás Bányai
Mit: Johannes Silberschneider (Kurt Gödel), Rudi Widerhofer (Gödels Alter Ego), Claudius Körber (Gödel als junger Mann; Mirkutkin), Steffi Krautz (Adele Gödel), Swintha Gersthofer (Adele Gödel als junge Frau), Franz Xaver Zach (Harry Woolf; Otto Neurath; Kulakin), Fang Yu (Hao Wang, Gödels Assistent), Hans Peter Hallwachs (Albert Einstein), Stefan Suske (John von Neumann; Friedrich Waismann), Franz Solar (Botschaftsrat; Hans Hahn), Dominik Warta (Moritz Schlick), Simon Käser (Hans Nelböck), Alexander Knaipp (Karl Menger) und David Rauchenberger / Kilian Langner (Gödel als Kind)