Die Biografie des 'hochfürstlichen Mohren' bildet nach 15 Jahren zum zweiten Mal Stoff für eine Choreografie von Bert Gstettner, diesmal im Rahmen von OdeonTanz 3.
Der Afrikaner Angelo Soliman (1721-1796) steigt nach einer Kindheit in Sklaverei zum angesehenen Bediensteten des Hauses Liechtenstein auf, heiratet eine Wienerin, wird deswegen entlassen und wieder eingestellt, nach dem Tod seiner Haut beraubt und das hergestellte Stopfpräparat im "K.K. Naturalienkabinett" ausgestellt, im Bastrock, mit Glasperlen behängt, umgeben von amerikanischer Flora und Fauna, zusammen mit anderen menschlichen Präparaten.
Frivole Rollstuhl-Safari im Tirolerhut
Die Stationen dieses erstaunlichen, bunten, tragischen Lebens und Todes dokumentiert Schauspielerin Lilly Prohaska im Stück mit historischen Texten, die über drastische Beschreibungen der Schiffbrüchigen der "Medusa" über Listen von Kleiderbestellungen für Soliman bis zu dessen Hinterlassenschaft (abgezählte "Gattihosen") reichen und für den Zuseher den Boden bilden, auf dem sich die Choreografie entschlüsseln lässt, mit Leichtigkeit gewoben, witzig und beklemmend. Toll ausgesuchte (Tanz)Musik von Zeitgenossen des Mohren, eine fürstliche Frühstücksszene, in der Michael Turinsky nonchalant Order erteilt, nicht ohne immer ein höfliches Bitte und Danke anzuhängen und am Ende doch eine Beschimpfung. Gstettner gelingt es, anfänglich als Klamauk erscheinende Szenen mit Kritik am Umgang mit Migranten einst und jetzt zu versehen. Erwähnt sei die frivole Rollstuhl-Safari im Tirolerhut auf das Großwild Mensch, komplett mit den Assoziationen zu gehäutetem Aas, das in der Sonne liegt.
Metapher für Flucht, Enteignung und Vereinzelung
Der "Muscle Suit", unentbehrliche Unterwäsche jedes Hollywood-Superhelden in Strumpfhosen, reduziert die Darsteller in Bert Gstettners Choreografie "Soliman*Revisited" auf Menschenfleisch, Obduktionsobjekt, der Haut als letztem Besitz beraubter Wesen. Devi Saha hat ihre gepolsterte Kostümbasis mit roten Striemen versehen, die sowohl das Sonnenverbrannte schiffbrüchiger Flüchtlinge als auch die Optik von Gunter Hagens Menschenpräparaten suggerieren und eine changierende Fülle beklemmender Assoziationen auslösen. Die Choreografie wäre nirgends besser aufgehoben als im bis auf die ziegelvermauerten, riesigen Fensterbögen gestrippten Saal des Odeon, der sowohl den fürstlich-ornamentalen Szenen als auch den blutigen Menschen im Nacktkostüm als Metapher für Flucht, Enteignung und Vereinzelung den passenden Rahmen bietet.
Bert Gstettner vermag die Bühne zusammen mit drei Tänzern und einer Schauspielerin ohne viel Zusätzliches auszufüllen und hat sowohl bei Recherche und Auswahl von Musik und Texten seine Hausaufgaben gemacht. Die im bekannten Tanz*Hotel Design gestaltete Programmbeilage zeigt dies und ist tatsächlich etwas zum Aufheben und Nachlesen. Bleibt zu hoffen, dass dem Stück noch zahlreiche Aufführungen in ähnlich wüdigen Räumen zu teil werden. (Text: Ina Rager; Fotos: Bert Gstettner, Otto Jekel & T*H)
Kurz-Infos:
Soliman*Revisited
Bewertung: @@@@@
Von Bert Gstettner - Tanz*Hotel
Kritik zur Aufführung am 8.10.2011 beim OdeonTanz 3