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Das Theaterstück "Die Geschichte eines Jungen aus Afghanistan" setzt sich mit dem aktuellen Thema Flüchtlinge gesellschaftspolitisch und auf sehr persönlicher Ebene auseinander. Es wird die Geschichte eines Mädchens aus Afghanistan erzählt, das in ihrem Heimatland als Junge aufgewachsen ist, um ein Stück mehr Freiheit zu erlangen.


 Mädchen haben in Afghanistan keinen Wert

Dieser 'Junge' erzählt von dem Weg seiner Reise nach Österreich, von den Schleppern, der Not und der Angst und vom Ankommen in einem fremden Land und wie man hier herausfindet, wer man nun eigentlich sein soll. Die Inszenierung beginnt im Dunklen, man sieht nicht viel, jedoch lässt sich eine Art Käfig in der Mitte des Raumes erahnen. Die Zuschauerreihen sind rund um die Bühne aufgebaut, wirken abermals wie ein Käfig. Es erklingen Stimmen in verschiedenen Sprachen, von einem Tonband abgespielt. Die Tonebene ist im ganzen weiteren Verlauf ein wichtiger Faktor der Erzählung. Töne aus dem Off werden von der Protagonistin wahrgenommen und miteinbezogen, sie arbeitet mit ihnen als würden die Stimmen menschlich mit ihr agieren.

Wenn die Fiktion zur Realität wird

Des Weiteren werden durch die Tonebene Emotionen, Gedanken und Handlungen verstärkt und unterstützt. Schauspiel, Erzählung und Ton sind ständig im Einklang. Manche Szenen wirken dadurch nahezu haarsträubend und unterstützen wiederum die Erlebnisse und die Angst, die während der Reise des 'Jungen' auf ihn zukommen. Das Spannungsgefühl der Rezipienten wird in der Inszenierung in höchstem Maße und mit Geschicklichkeit belebt. Durch das Sprechen mit den Zuschauern, wenn die Schauspielerin kurz aus ihrer Rolle fällt,wird die Fiktion einen Moment zur Realität. Die Geschichte wird dadurch aktuell, greifbar und unglaublich nah. Gänsehaut und Herzklopfen sind oftmals vorprogrammiert! Die Barrieren zwischen Rezipienten und der Darstellerin wirken teilweise wie aufgehoben,man fühlt sich wie inmitten des Geschehens und eine gewisse Traurigkeit oder Mitgefühlhängt während der ganzen Inszenierung im Raum. Möchte man mit Theater Menschenbetroffen machen, zum Nachdenken anregen oder ihnen eine Botschaft vermitteln, ist dies hier auf jeden Fall gelungen. Neben der Tonebene ist auch die Arbeit mit dem Licht bemerkenswert und ein weiterer wichtiger Faktor, der nicht nur Teil der Geschichte wird, sondern diese ebenso unterstützt. Ob 'der Junge' vom Hausarrest erzählt, dem Bombenattentat oder er sich auf der Flucht befindet, die Inszenierung des Lichts bleibt realistisch und unterstützend für die jeweilige Situation. Die Lichtwechsel zeigen sich in qualitativer und quantitativer Form - es wird nicht nur die Anzahl der Spots verändert und angepasst, sondern auch die Wärme des Lichts. Einen großartigen Unterschied merkt man beispielsweise bei Szenen, in denen es um Familie geht, welche von warmen Licht erfüllt sind, zum plötzlichen Wechsel auf eine Szene der Flucht, die in Dunkelheit gehüllt ist und nur von wenigen kühlen Spots verfolgt wird. Schlussendlich bleibt meinerseits nur Lob für die Inszenierung von "Die Geschichte eines Jungen aus Afghanistan".

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So, wie gesellschaftspolitisches Theater sein sollte

Sie ist packend, real und dem heutigen Zeitgeist höchst angemessen. Man erfährt intimste Gedanken und Erlebnisse eines jungen Menschen auf der Flucht aus dem Land, wo sie geboren wurde und ihre ganze Familie immer noch lebt. Die Hauptdarstellerin Alev Irmak spielt mit Realität und Fiktion und nutzt die Grenzen derer aus. Man merkt, wie sie es geschafft hat jedermann in den Bann zu ziehen. Sie besticht mit Authentizität. Ausgezeichnet! Tiefgreifend und zum Nachdenken anregend, so, wie ein gesellschaftspolitisches Theater sein sollte. // 

Text: Nina Haider
Kritik zur Aufführung im Dschungel Wien am 27. April 2017


Fluchtthematik verarbeitet für junges Publikum 

Flucht, Gewalt, Angst, Krieg, Gender, Politik. Das sind nur einige Schlagworte, die schon beim Lesen des Titels von Autor und Regisseur Flo Staffelmayrs "Die Geschichte eines Jungen aus Afghanistan" gedanklich präsent werden. Genau damit setzt sich das Stück, das für Jugendliche ab neun Jahren konzipiert ist, in mehr oder weniger ausgiebiger Weise auseinander. Eingeführt wird zu Beginn mit einem freundschaftlichen Fußballspiel zwischen dem Hauptcharakter und einem Freiwilligen aus dem Publikum, was gleich das Interesse der anwesenden Kinder und auch der Erwachsenen weckt. Doch das erheiternde Intermezzo wird von bitterem Ernst abgelöst: Es folgt ein Monolog, direkt an die Zuschauer gerichtet und Bezug schaffend. Angesprochen wird das Aufwachsen in Afghanistan, Genderthemen und Religion, was einen unmittelbaren Einstieg ins Stück ermöglicht. 

Metallener Bühnenzaun als Allusion

Auffallend ist zuerst die Besetzung: Verkörpert wird der Junge von der Schauspielerin Alev Irmak, wobei es sich dabei nicht um eine feministische Entscheidung handelt, was sich im späteren Verlauf der Handlung klären soll. Sie bleibt zudem die einzige Darstellerin auf der Bühne und führt mit ihren Erzählungen, die häufig auf Dialoge mit Eltern oder Freunden in der Vergangenheit zurückgreifen, in Jugendslang durch die Geschichte. Das Bühnenbild stellt wohl das Highlight der Inszenierung dar. Konzipiert von Paola Uxa, besteht es aus einem mehrere Meter langen und breiten Zaun, der beinahe die gesamte Bühne einnimmt. Das metallene Gestell dient eindeutig als Allusion und spielt damit auf die Schicksale allzu vieler Familien oder ziviler Einzelpersonen an, die sich ungerechtfertigt mit dem Krieg konfrontieren müssen. Es geht um Grenzen, ob reale oder von anderen nur durch Religion oder gesellschaftliche Überzeugungen erbaute, und wie Wege durch diese hindurch gefunden werden können. Je nach dargestellter Handlung verwandelt er sich vom Käfig in ein Gefängnis bis hin zum Grenzzaun.

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Die beschwerliche Flucht nach Österreich

Doch bleibt er als Requisit nicht nur bei seiner metaphorischen Bedeutung: Ausgestattet mit zahlreichen daran angebrachten Mikrofonen wird er im Verlauf des Stücks zudem immer wieder zum Musikinstrument, indem die Schauspielerin abhängig vom zu erzeugenden Stimmungsbild ihn wie die Saiten einer Harfe zupft und damit Klänge erzeugt oder wild darauf einschlägt und das nachhallende Echo noch Minuten später Schauder im Publikum erweckt. Unterteilt in mehrere Kapitel, die der Junge auch benennt wie in etwa "Koranschule" oder "Gefängnis", wirkt das Stück selbst wie das Lesen eines Buches. Man lernt den Jungen kennen, erfährt in Episoden mit Eltern und Geschwistern von seinem Aufwachsen, einer folgenreichen Entscheidung und der beschwerlichen Flucht nach Österreich. Diese Geschichten selbst seien oftmals wahre Erlebnisse, gesammelt durch Interviews mit Jugendlichen, die sich selbst schon in diesen Situationen wiederfanden, wie Flo Staffelmayr erklärt. Obwohl die Darstellerin kaum stillsteht und sowohl tragische, als auch aufregende Momente im Verlauf des Stücks geschaffen werden, bleiben narrative Höhepunkte zum Großteil aus. Zu häufig ist die Konfrontation mit Fluchtthemen für Erwachsene im Alltag, das kaum zu ertragende Leid der Betroffenen bekannt. Kinder und Jugendliche, welche durchaus die Zielgruppe der Produktion ausmachen, werden in ihrer Lebensrealität jedoch zumeist vergleichbaren Problematiken nicht ausgesetzt. Durch das Erzählen der Geschichte anhand eines "Freundes", wie sich die Hauptdarstellerin gleich zu Beginn etabliert, können neue Einsichten gewährt und wertvolle Bezugspunkte geschaffen werden. Der persönlich verarbeitete Stoff greift zahlreiche aktuelle politische Thematiken auf, verarbeitet in facettenreicher Weise, welche die Inszenierung zu einem sehenswerten Erlebnis macht. // 

Text: Marleen Zeirzer
Kritik zur Aufführung im Dschungel Wien am 28. April 2017 


Ein falscher Sohn ist besser als gar kein Sohn 

Bacha posh. So nennt man in Afghanistan Mädchen, die als Jungen aufwachsen. Sie müssen ihre Stimme verstellen, bekommen die Haare geschoren, sie tragen Jungenkleidung. Dadurch bekommt die Familie viele Vorteile. So kann die Mutter in Begleitung mit ihrem falschen Sohn das Haus verlassen und die Familie als Ganzes genießt besseres Ansehen. Doch auch für die Mädchen wird das Leben leichter. Sie können jetzt in die Schule gehen, draußen auf der Straße mit anderen Kindern spielen, Drachen steigen lassen, auf Bäume klettern, kurz, alles das, was für uns Selbstverständlichkeiten sind. Eines dieser Mädchen ist Samira. In Kapiteln eingeteilt erzählt sie ihre Geschichte und spricht von Verlust, Flucht und schließlich auch Hoffnung auf ein neues, freies Leben. Auf drei Seiten sitzt das Publikum um einen Käfig aus Stahl, der als Fußballfeld, Gefängnis und Fluchtwagen gleichzeitig fungiert. Was ich besonders beeindruckend fand, ist, dass dieser Käfig auch noch als eine Art Sound-Installation (Ton: Andreas Nagl) dient. Jedes Mal, wenn die Schauspielerin (Alev Irmak) das Stahlgitter berührt erklingen verschiedenen Töne. Ein besonders tolles Detail ist mir aufgefallen, als Samir/Samira in Europa, konkret in Griechenland, angekommen ist. Sie hat kein Geld und muss sich von Müll ernähren. Sie hat keine Unterkunft und schläft auf der Straße. Als sie hier den Käfig berührt erklingt Beethovens 9. Sinfonie, die 1985 vom Europarat zur offiziellen Europahymne erklärt wurde. Insgesamt arbeitet das Stück sehr viel mit Ton. Immer wieder hört man aus im Raum verteilten Lautsprechern Fragen von Kindern wie "Vermisst du deine Familie?" oder "Willst du später mal heiraten?".

Wie sich ein Mädchen fühlt, das 14 Jahre lang als Junge aufwächst

So entsteht eine Nähe zum Publikum. Diese Nähe wird dadurch verstärkt, dass die Schauspielerin immer wieder die vierte Wand durchbricht. Die Kinder können aktiv am Stück teilnehmen, indem sie mit Samira Fußballspielen. An einer anderen Stelle fragt Samira, wie es eigentlich so ist ein Mädchen in Österreich zu sein. Abgesehen von dem Thema Flüchten behandelt das Stück auch das Thema Gender. Wie fühlt sich ein Mädchen, das 14 Jahre lang als Junge aufwächst und behandelt wird. Was macht das mit der Psyche des Einzelnen, wenn man 14 Jahre lang frei war, alles machen konnte was man wollte und plötzlich zu Hause eingesperrt wird?

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Selbstverständlichkeiten sind anderswo unmöglich

Samira entscheidet sich schlussendlich dafür eine Frau zu sein, denn hier in Österreich hat sie auch als Frau die Rechte eines Mannes. Mir hat das Stück unglaublich gut gefallen. Es greift politische und gesellschaftliche Themen auf ohne wie ein Lehrstück zu wirken. Das Stück setzt sich aus verschiedenen Fluchtgeschichten zusammen und wurde mit dem Thema der bacha posh verwoben. Es gibt keine Lösungen zu den behandelten Problemen, was gar nicht schlimm ist, ganz im Gegenteil. Dadurch werden Impulse gesetzt, die zur stärkeren Auseinandersetzung führen. Ich selber bin bewusster und reflektierter nach Hause gegangen. Auf dem Weg zur U-Bahn, musste ich immer wieder darüber nachdenken, dass diese simple Tätigkeit für Frauen in Afghanistan eine Unmöglichkeit darstellt. Dinge, die für westliche Frauen selbstverständlich sind, wie Bildung oder etwas so Banales wie jemanden in die Augen schauen zu können, sind für Mädchen und Frauen in anderen Ländern unmöglich. // 

Text: Lisa Klugmayer
Kritik zur Aufführung im Dschungel Wien am 29. April 2017 

Kurz-Infos:
Die Geschichte eines Jungen aus Afghanistan
Altersempfehlung: 9+
Sprechtheater mit Soundinstallation
Dauer: 60 Minuten 

Regie und Text: Flo Staffelmayr
Darstellerin: Alev Irmak
Sound: Julia Meinx
Bühnenbild: Paola Uxa
Theaterpädagogik: Christina Rauchbauer
Produktionsleitung: Agnes Zenker
Regieassistenz: Nina Alarcon
Bühnenbildassistenz: Alisa Mozigemba
Alle Fotos: Pablo Leiva