Ein Kommentar zur Polemik rund um die Wiener Festwochen 2018.

Thomas Zierhofer-Kin hat die künstlerische Leitung der Festwochen nach zwei Jahren und nach harscher Kritik freiwillig niedergelegt. Zwei Wochen später wurde bereits sein Nachfolger Christophe Slagmuylder präsentiert. Die "Verbindung von Avantgarde und Publikumswirksamkeit" und "keine Avantgarde ohne Klassik" teilte er uns mit, stellten seine Maxime dar. Echt jetzt? Was ist von dem Anspruch geblieben, die Wiener Festwochen als zeitgemäßen, urbanen und progressiven Raum zu postulieren und eben einer radikalen Veränderung zu unterziehen, die dem Abschied von Gattungshierarchien und alten Grenzziehungen, wie etwa high und low, Klassik vs. Avantgarde, Rechnung trägt? Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn der designierte Intendant der Wiener Festwochen im Jahre 2018, den überkommenen Kontrast zwischen Klassik und Avantgarde ausgerechnet im Anschluss an Zierhofer-Kins popkultureller Haltung anbringen muss. Soviel ist sicher: Mit dieser altbackenen Idee von Moderne wird sich das neu dazugewonnene junge kunst- und popaffine Publikum sicher nicht halten lassen.

Zierhofer-Kin, der bereits 2017 heftiger Kritik ausgesetzt war, setzte auch 2018 wieder auf interdisziplinäre Produktionen, die globale Fragen zur Humanität stellen und versuchen, diesen einen ästhetischen Ausdruck zu verleihen. An sich ein progressives Anliegen, das auch den in allen Kunstsparten erfolgten performativen Paradigmenwechsel Rechnung trägt und von einem Kulturbegriff zeugt, der das globale Dorf in Zeiten von Internet und Social Media immer homogener erscheinen lässt. Deshalb ist es berechtigt, sowohl einen globalen anstatt lokalen Ansatz von Themen zu forcieren als auch vermehrt auf performative Hybride zu setzen, die Impulse aus der Popkultur aufnehmen. Parallelen und Schnittmengen zum Programm des donaufestivals sind dabei unverkennbar, aber keine Überraschung, denn Zierhofer-Kin kam ja genau aus dieser Ecke. Vor allem der Fokus auf elektronische Musik im Kontext internationaler Clubkultur mit vielen queeren Acts bei den drei Nächten des Programms Hyperreality sorgte für Begeisterung bei der jungen, urbanen Szene. So gesehen sind künstlerische Praktiken, die für ein globales Publikum konzipiert wurden, auf einem internationalen Kunstfestival - so wie sich auch die Wiener Festwochen positionieren - eigentlich selbstverständlich. Gleichzeitig bringt diese starke Vernetzung auch mit sich, dass die Kunst selbst der Homogenisierung und Standardisierung ausgesetzt ist und diese mit-reproduziert. An sich ist das nichts, das nur die Wiener Festwochen betrifft, aber angesichts der exorbitanten Kritik an Zierhofer-Kin stellt sich schon die Frage, weshalb es in dieser übermäßigen Form stattgefunden hat und auf welchen vermeintlich unerfüllten Ansprüchen sie beruht. Sehen wir uns mal anderswo um.

Will jemand tatsächlich mit der Tradition einer Institution brechen, wie etwa Matthias Lilienthal bei den Münchner Kammerspielen, der sich dazu auch noch politisch äußerte, dann hat diese Person wenig Aussichten auf Vertragsverlängerung. Auf möglichst breiten Konsens und Publikumswirksamkeit einerseits und Erneuerung andererseits zu setzen, geht sich schwer aus. Just politics, könnte man sagen. Derselbe Ruf nach Veränderung vs. Auslastungs- bzw. Umsatzzahlen, erzeugt derzeit schon Hysterie rund um die Neubesetzung des Ensembles am Burgtheater ab 2019 unter Martin Kusej. "Freiwillig" geht auch Anna Badora vom Wiener Volkstheater und beendet damit vorzeitig die Zerreißprobe nach dem Versuch einer Rehabilitierung des Hauses.

Es scheint, als ob von der Kunst Innovation und Rebellion als Imperativ eingefordert werden, aber gleichzeitig darf es für niemanden unbequem werden. Alles soll als subversives Produkt möglichst konsumierbar sein und darüber hinaus keine verbindlichen Ansprüche stellen. Die Kunst selbst ist schon lange Teil eines Ganzen, und nicht etwa unabhängig in einem Außen zu verorten. Im Gegenteil. Das Wort Avantgarde selbst, das der designierte Wiener Festwochen-Chef so gerne zitiert, soll ja im ursprünglichen Sinn einen Schock heraufbeschwören. In Trump-Zeiten erzeugt diese Sensationsgier nach inflationären obszönen Skandalen ein ähnlich großes Reibungspotenzial wie etwa das Foto von Alan Kurdi. Wer? Schnell vergessen. Das reine Herstellen von starken Affekten ist zum tautologischen Inhalt geworden.  Alles neu? Eben nicht.

Angesichts der Kritik gegenüber Zierhofer-Kin, welche die Festwochen 2017 und 2018 als Umsetzung militanter Slogans einer linken Kulturschickeria bezeichnet, ist zum Einen auffällig, wie leise die Kritik in den Jahren davor war, auch wenn es wenig bis gar keine Versuche gab, den klassischen Kunstrahmen zu durchbrechen oder arg auszuweiten. Schlingensiefs Containeraktion "Ausländer raus!" von 2000 stellte eine Ausnahme dar. Und alles war gut, solange ein Star wie Cate Blanchett auf den Bühnen zu sehen war.

Speziell das Programm von Hyperreality war dazu gedacht, einer jungen urbanen Szene auch in einer Stadt wie Wien etwas zu bieten. R&B-Superstar Kelela als queer-feministisches Aushängeschild einer neuen Pop-Generation zwischen Mainstream und Underground ins Boot zu holen, ist ein Statement. Es geht dabei um die Teilhabe, die Selbstverständlichkeit und die Repräsentation einer komplexen, heterogenen und vielfältigen Gesellschaft, nicht um Quoten, Schocker und Randgruppen-Effekthascherei. Dies ist genau in Biedermeier-Zeiten ein gutes Zeichen. Prominente Beispiele wie die überangepasste, perfekt funktionierende, immer lächelnde Alleskönnerin Helene Fischer oder Andreas Gabalier, der sich kein Blatt vor dem Mund nimmt, und politische Inkorrektheit als neue Zivilcourage und Akt der Rebellion zelebriert, lassen sich als neue Pop-Idole feiern und verkaufen ihr ultrakonservatives, heteronormatives Mann-Frau-Bild als neu und progressiv. Diese zwei Beispiele werden eben als Pop verkauft, was bedeutet, dass Kategorien an sich leer geworden und Umcodierungen und kulturelle Appropriationen im Zeichen einer komplett anderen Agenda heutzutage gang und gäbe sind. Gleichzeitig wollen ausgewiesene Vertreter nationalistischer und rechtskonservativer Positionen und Bewegungen alte Hierarchien und Geschmacksurteile nach high und low wieder neu etablieren und jegliche Formen von Popkultur und Massenmedien als Beweis für den kulturellen Niedergang aus dem Kunst- und Kulturkontext verbannen, siehe etwa die Wutreden des Briten Paul Joseph Watson auf seinem YouTube-Kanal.

Fazit ist, dass mit Zierhofer-Kin ein jüngeres und breiteres Publikum gewonnen werden sollte, was auch geglückt ist. Erneuerung braucht Zeit, und Offenheit für das Experiment bringt nicht immer das gewünschte Ergebnis. Dabei hätte er mehr Kampfgeist und Mut zeigen können, indem er sagt, dass er die Intendanz bis Vertragsende auf jeden Fall durchzieht. Damit hätte er unter Beweis gestellt, dass sich Veränderung durchaus einstellt, wenn man sich dem Druck und der Kritik der Öffentlichkeit entzieht und das eigene Ego außen vor lässt. Endlich gab es in den letzten zwei Jahren in Wien ein Festival, auf dem nicht nur in die Jahre gekommene und vorwiegend männliche Enfant terribles der Theaterwelt gezeigt wurden (Marthaler, Castorf, etc.), sondern endlich auch LGBTIQ-Künstler*innen eine Bühne geboten wurde. Denn vorher musste man dafür ja immer nach Krems pendeln, richtig? Und da hatte doch ein gewisser Zierhofer-Kin das Sagen, oder? //

Text: © Kathrin Blasbichler
Fotos: © Inés Bacher, Dicko Chan, Kurt Hentschläger