Im Rahmen der 3. italienischen Filmwoche im Votiv Kino und De France, war Regisseur Edoardo Winspeare mit seinem Eröffnungsfilm „Il miracolo“ in Wien und ging mit Kulturwoche.at der Frage nach, was Kinder haben, was Erwachsene nicht haben. Von Anna Gromova.
Kulturwoche.at: Neben ihren letzten Filmen unterscheidet sich ihr dritter Film „Il miracolo“ – das Wunder, der unter drei Nominierungen im Venedigwettbewerb 2005 zwei Mal ausgezeichnet wurde, sehr. Was hat zum Entstehen der Geschichte beigetragen? Worum geht es?
Edoardo Winspeare: Das Wunder der Liebe – ein Wunder, das ein Kind vollbringt, wie Lazarus in der Bibel einst sagte: „Steh auf und geh!“. Ich wollte eine Abbildung vom süditalienischen Bürgertum machen, deren Werte das Geld regiert. Der Film war auch eine spirituelle Forschung.
Der Unfall am Anfang des Filmes, wo der Hauptdarsteller - der kleine Junge Tonio - vom Auto überfahren wird, ist ein wichtiger Wendepunkt für den Film, denn nachher kann er Wunder vollbringen. Wie wichtig war dieser schicksalhafte Unfall für Sie im Drehbuch?
Beim Drehbuchschreiben dramatisiert man: Banküberfall, Tod, Unfall. Es passiert immer etwas, das die vorherige Handlung auf den Kopf stellt und in eine völlig neue Richtung entwickeln lässt.
Ihre Intention war, die Wunder in ihrer Alltäglichkeit zu zeigen. Der Protagonist ist ein kleiner Junge. Was haben Kinder, was die Erwachsenen nicht haben?
Die Kinder sind in der Lage, die Magie der Welt in all ihren kleinsten Details zu erkennen. Erwachsene haben zu viele Probleme und keine Zeit. Sie stellen fast keine Fragen, wie z.B.: Was gibt es jenseits der Wirklichkeit? Die Leute vergessen, dass sie Kinder waren. Ich habe keine Kinder, aber ich habe das große Privileg, mir darüber Gedanken zu machen und Filme zu drehen.
Nach dem Unfall besitzt der Junge plötzlich die Kräfte, Leute zu heilen. Ohne es zu wollen, vollbringt er praktisch ein Wunder. Wird eine Heilung einem Wunder gleich gestellt?
Auf der einen Seite stirbt in allen meinen Filmen jemand. Auch in diesem Film, der Großvater z.B., und auf der anderen Seite gibt es auch immer eine Heilung – die junge Frau wird vom Jungen gerettet.
In Amerika wurde ich gefragt, warum in dem einen oder anderen Film von mir die Hauptdarsteller am Schluß sterben? Ich bin der Meinung, dass jemand während des Filmes irgendwann sterben muss.
Es hat nichts mit Mann/Frau zu tun. Sondern mit dem Menschen an sich – mit dem Begriff „der Mensch“ allgemein. Es macht auch Sinn, denn die kaputten Charaktere durchleben eine intensive Entwicklung, während sie ihre Fehler erkennen und am Schluss des Filmes körperlich sterben, seelisch jedoch Heilung finden.
Welche Aufgabe haben Filme Ihrer Meinung nach?
Filme haben die Aufgabe, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte für das Volk. Die Literatur hat die gleiche Aufgabe, was man vom Theater nicht behaupten kann, weil alles im kleinen Raum präsentiert wird.
Man sollte eigentlich alles zeigen: Neben eher leichteren, angenehmen und positiven Filmen gibt es auch genau so viele deprimierende, die gut gemacht sind, wie z.B. „Hundstage“ von Ulrich Seidl. Ich habe Ernst Lubitsch, Billy Wilder sehr gerne. Es gibt Momente, in denen du weinst. Es gibt Momente, in denen du lachst, und was deprimierend ist, kann auch heilend sein. Es gibt eine subjektive Wahrnehmung, in der die einen weinen und die anderen gleichzeitig lachen. Was für einen deprimierend ist, ist für den anderen heilend.
Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
(Das Interview führte Anna Gromova.)