Einmal mehr fasziniert Patrice Leconte, bestens bekannt von Filmen wie Intime Fremde und Der Mann der Friseuse, mit einer fein beobachteten Geschichte über Identitätssuche und späte Lebenserkenntnisse. In Frankreich war Mein bester Freund (Originaltitel: Mon Meilleur Ami) ein großer Publikumserfolg mit über einer Million Zuschauer.
François, dargestellt von Daniel Auteuil, ist ein erfolgreicher Antiquitätenhändler, der nur für seine Arbeit lebt. Eines Tages ersteigert er gegen den Willen seiner Geschäftspartnerin Catherine eine griechische Vase, die sein Leben völlig verändert. Der Legende nach füllte Achilles, aus Trauer um seinen toten Freund Patroklus, das gesamte Gefäß mit seinen Tränen. Catherine bezweifelt, dass je irgendjemand eine Träne um François vergießen wird und so schließen sie eine Wette ab: innerhalb von 10 Tagen soll François seinen besten Freund präsentieren. Kulturwoche.at: Was fanden Sie an dieser von Olivier Dazat erdachten Geschichte so faszinierend? Patrice Leconte: Das eigentliche Thema des Drehbuchs. Die Geschichte eines Typen, dem man vorhält, dass er keine Freunde hat, und der sich nun mit Gewalt neu zu definieren sucht, der, um das Gegenteil zu beweisen, eine absurde und irgendwie abstrakte Wette eingeht: den anderen diesen Freund zu präsentieren, den er gar nicht hat! Ich fand es einigermaßen originell, dass jemand ausgerechnet auf diesem Gebiet, das nun wahrlich nicht dafür geeignet ist, eine Wette eingeht. Außerdem ermöglichte es mir dieser Stoff, das Thema Freundschaft beziehungsweise ihr Fehlen zu behandeln. In meinen Augen ist das, als würde man eine Liebesgeschichte erzählen. Man bräuchte nur die Vornamen zu ändern! Doch wenn mich dieses Projekt auf Anhieb gefesselt hat, so lag das auch daran, dass ich spürte, wie sehr dieses Sujet in mir selbst einen Widerhall fand. Zwar ist dies gewiss kein autobiographischer Film, doch wenn man mich geradeheraus fragen würde, wer mein bester Freund sei, so wäre ich um eine Antwort ziemlich verlegen. Mit dem Unterschied allerdings, dass mich dies im Gegensatz zu François, der von Daniel Auteuil gespielten Figur, nicht daran hindert, mein Leben zu leben. Stand der Wunsch, einen Film von solch spezieller Tonart zu drehen, schon von Anfang an beim Schreiben des Drehbuchs fest? Patrice Leconte: Nein. Als wir mit dem Schreiben anfingen, richteten wir uns eher auf eine Komödie ein. Aber dann habe ich es nicht geschafft, mich bei einem Thema, das mich so sehr fesselte wie das der Freundschaft, mit soviel Heiterkeit zufrieden geben zu wollen. Ich fand es im Gegenteil sehr verlockend, mir einen Film auszumalen, der eine vollständige Kehrtwendung beschreibt – wie ein Flugzeug, das bei einer Flugschau erst ganz normal abhebt, um dann, nach einer Drehung, verkehrt herum weiterzufliegen. Nach Die Frau auf der Brücke und Die Witwe von Saint-Pierre haben sie nun zum dritten Mal mit Daniel Auteuil zusammengearbeitet. Müssen Sie überhaupt noch miteinander reden? Patrice Leconte: Daniel vertraut einem Blick oder einem Lächeln mehr als tausend Worten. Er gehört nicht zu der Art von Darstellern, die es nötig haben, mit psychologischen Erklärungen gefüttert zu werden – umso besser, denn ich bin nicht der Typ, der seinen Darstellern erläutert, wo ihre Figuren herkommen oder wo sie hingehen! Mich interessiert allein, die Dinge zu "machen", sie nachzufühlen. Wenn ein Drehbuch gut geschrieben ist, müssen die Darsteller auf ganz natürliche Weise hineinfinden. Und Daniel ist eben einer, der das kann. Vor den Dreharbeiten haben wir uns nur zur Kostümprobe getroffen, und bis zum ersten Drehtag wohl auch nur zwei oder drei Mal miteinander telefoniert. Als erstes haben wir die Versteigerungsszene gedreht und Julie war entsetzlich aufgeregt. Es ist immer mit ein wenig Stress verbunden, wenn man damit anfängt, für einen Regisseur zu spielen, den man noch nicht kennt, überdies an der Seite eines anderen Darstellers, den man ebenso wenig kennt, der aber seinerseits mit dem Regisseur bestens vertraut ist. Die Sache ist ganz einfach: Bei Daniel Auteuil hatte ich den Eindruck, als hätte ich ihn erst am Vorabend zum letzten Mal gesehen. Das sagt man ja immer von Leuten, die man lieb gewonnen und dann aus den Augen verloren hat... Und haben Sie angesichts dieser engen Vertrautheit mit Daniel Auteuil den "Neulingen", sprich Dany Boon und Julie Gayet, mehr Aufmerksamkeit geschenkt, um sie so in Ihr Universum zu integrieren? Patrice Leconte: Alles kommt auf das Gleichgewicht an. Einmal habe ich eine Riesendummheit begangen: Bei Die Frau auf der Brücke habe ich zum ersten Mal mit Daniel Auteuil gedreht, während seine Partnerin Vanessa Paradis unmittelbar zuvor schon bei Une Chance sur Deux für mich gearbeitet hatte. Folglich habe ich am ersten Tag meine ganze Aufmerksamkeit Daniel Auteuil als dem Neuankömmling geschenkt und Vanessa Paradis ein wenig links liegen lassen. Ich weiß, dass sie das sehr schlecht verdaut hat, denn noch am selben Abend rieb sie mir unter die Nase, dass ich sie doch nicht so hängen lassen könne, nur weil wir schon einmal einen Film zusammen gedreht hätten. Sie erklärte mir, dass sie im selben Maße auf mich angewiesen sei wie beim ersten Mal. Und da habe ich meinen Fehler erkannt. Es war mir eine Lehre. Zwar habe ich seither an den ersten Drehtagen eines jeden Films natürlich immer ein wenig mehr auf die "Neulinge" geachtet, ohne dabei allerdings die "Alten" hängen zu lassen. Die Grundlage meiner Arbeit mit den Darstellern bleibt aber in jedem Fall dieselbe: das Vertrauen, das ich ihnen entgegenbringe. Ein Darsteller, der agiert, ohne das Vertrauen in den Augen des ihn beobachtenden Regisseurs zu spüren, ist wie ein Vogel ohne Flügel: Er ist flugunfähig! Der holt sich nur einen gebrochenen Schnabel, wenn er das Nest verlässt! Nachdem Sie in Ein unzertrennliches Gespann das Ratespiel "Le Jeu des 1000 Francs" aufgegriffen haben, das im Radio gesendet wurde, erweisen Sie in Mein bester Freund nun einer anderen Quizshow die Ehre. Diesmal ist es eine aus dem Fernsehen, nämlich "Qui veut gagner des Millions", die französische Version von "Wer wird Millionär", wobei der Quizmaster Jean-Pierre Foucault in seiner eigenen Rolle zu sehen ist: Warum diese Entscheidung? Patrice Leconte: Das ist ganz einfach. Als ich gemeinsam mit Jérôme Tonnerre am Gerüst des Drehbuchs arbeitete, wussten wir, dass die Figur des Bruno zu gegebener Zeit an einer Quizsendung teilnehmen würde. Und eines schönen Tages überkam uns dann diese großartige Eingebung: Einer der Joker in "Wer wird Millionär" besteht ja darin, einen Freund anrufen zu dürfen! Von diesem Zeitpunkt an quälte uns nur noch die Vorstellung, dass die Produzenten von "Wer wird Millionär" unser Ansinnen vielleicht ablehnen könnten. Denn mir ein erfundenes Spiel auszudenken, wäre für mich nicht in Frage gekommen! Es sollte schon direkt aus dem Leben gegriffen sein, um den Zuschauern feste Bezugspunkte zu ermöglichen. Außerdem fand ich die Vorstellung geradezu sensationell, Jean-Pierre Foucault in Großaufnahme in seiner eigenen Rolle filmen zu können. Ich kannte ihn schon ein wenig, zwischen uns herrschte ein gewisses Wohlwollen. Also habe ich ihm bloß erklärt, dass er sich an seinen Text halten müsse, ganz er selbst bleiben solle und vor allem nicht versuchen dürfe, den Schauspieler abzugeben. Und das Ergebnis war großartig! Man konnte hie und da lesen, dass Sie bald mit dem Kino aufhören wollen. Hat Ihnen dieser Film nicht Lust gemacht, noch ein wenig weiterzumachen? Patrice Leconte: Diese Entscheidung wurde nicht aus einer Enttäuschung über diesen oder jenen Film heraus geboren. Allein der Umstand, dass ich bei den Dreharbeiten zu Mein bester Freund ganz hin und weg war, wäre demnach kein Grund für mich, meine Entscheidung zu revidieren. Ich habe keineswegs den Geschmack am Kino verloren. Es gefällt mir immer noch genauso gut, Filme zu drehen. Es geht mir nur darum, aufzuhören, bevor ich meinen Elan verliere. Ich halte es gewissermaßen wie Anna Galiena in Der Mann der Frisöse, die im Wissen darum, dass die außergewöhnliche Liebe, die sie mit der von Jean Rochefort gespielten Figur verband, nicht ewig halten würde, es vorgezogen hat, sich in eine Staustufe hinabzustürzen, obwohl sie noch ganz in den Wolken war. Nach Mein bester Freund werde ich also nur noch drei Spielfilme drehen, von denen ich übrigens bereits genau weiß, was für welche es sein werden. Für etwas anderes gibt es keinen Platz mehr! Wenn ich das öffentlich angekündigt habe, so nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern um mir selbst einen Anstoß zu geben, mich an mein Wort zu halten: es also wirklich zu tun, ohne allerdings Anna Galiena zu folgen und mich in eine Staustufe zu stürzen! (© Filmladen Filmverleih) Film-Infos: Darsteller/innen: |
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