In der Komödie Saint Jacques... (Jakobsweg) erzählt Regisseurin Coline Serreau die Geschichte einer unfreiwilligen Reisegruppe, die, um an das Erbe der verstorbenen Mutter ranzukommen, den Pilgerweg nach Santiago de Compostela gemeinsam zurücklegen müssen.
Clara, Claude und Pierre sind entsetzt: Das Erbe ihrer Mutter wird erst ausbezahlt, wenn sich alle drei zusammen als Pilger auf den Weg nach Santiago de Compostela machen. Schlimmeres können sich die drei kaum vorstellen, denn erstens können sie sich gegenseitig nicht riechen und zweitens geht ihnen wandern grundsätzlich gegen den Strich. Kulturwoche.at: Sind Sie selber schon mal nach Santiago de Compostela gepilgert? Coline Serreau: Nicht gepilgert. Für die Suche nach der Location sind wir die Strecke abschnittsweise bis zu viermal abgewandert. Es war kein Zuckerschlecken, geeignete Drehorte zu finden. Das Hauptproblem war das Licht. Eine Landschaft ist nur in einem bestimmten Lichtverhältnis schön. Das war schwierig zu bewerkstelligen, weil uns nur Naturlicht zur Verfügung stand - und das lässt sich bekanntlich nicht steuern. Alles musste geplant sein, weil ein Ort vielleicht nur zwischen acht und elf Uhr der richtige war. Außerdem ändert sich die Sonneneinstellung das Jahr über. Wurde im Juni gescoutet, war beim Dreh im August das Licht schon wieder ein bisschen anders. Häufig waren Sie beim Dreh ja inmitten vom Nirgendwo. Das war sicherlich auch logistisch nicht einfach? Für fast jede Szene gab es einen anderen Drehort. Teilweise wurde das Material von Eseln transportiert, weil die Wagen da nicht hinkamen. Wir arbeiteten aber auch mit einer sehr kleinen Crew mit nur dem allernötigsten. Es gab ein Lager, wo das ganze Equipment bereitstand, worauf wir für einen der Drehs zurückgriffen. Wie wichtig ist Ihnen, dass die Figuren an einen spirituellen Ort wandern? Es ist im Grunde unwichtig. Die Figuren sind ja nicht religiös, so wie die meisten Leute, die diese Pilgerreise unternehmen, dies auch nicht aus religiösen Gründen tun. Viel wichtiger ist der Weg dorthin und vor allem der innere Weg, den die Figuren zurücklegen. Das Wandern an sich verändert ihre Körper. Sie beginnen über ihre Gesundheit, über ihr Leben nachzudenken. Familie scheint das zentrale Thema in Ihren Filmen zu sein. Was gibt es denn noch außer der Familie? Mein Thema ist jedoch nicht so sehr die Familie, sondern die Gesellschaft. In meinem neuen Film ist der Krieg, der innerhalb der Familie herrscht, eine Allegorie für das, was momentan in der Welt passiert. Ich bin daran interessiert, neue Modelle für das Zusammenleben zu finden. Lösungen habe ich keine. Oft entstehen in Ihren Filmen neue "Familien", die Reisegruppe in Saint Jacques… zum Beispiel. Glauben Sie noch an die Familie im klassischen Sinn? Es geht nicht um glauben oder nicht glauben. Einige Familien funktionieren, andere nicht – ich habe keine Anti-Familien-Theorie. Wichtig sind die Gemeinschaften, die wir uns aufbauen, um nicht einsam zu sein. Wer nur an sich selbst interessiert ist, wird automatisch sehr einsam. Die Menschen sind gemacht, um zusammen zu leben, also müssen wir Wege finden, wie dies mit möglichst wenigen Konflikten funktioniert. Was hat es mit dem Geschäftsmann von France Telecom auf sich? Das wird hoffentlich als ein Seitenhieb auf die Geschäftsleute von heute verstanden - vor allem auf die jungen. Es gibt Heerscharen, die wie der im Film agieren. Man sieht sie ständig. In den Zügen, in Flugzeugen, überall. Nehmen die schnellen Dialoge schon im Stadium des Scripts Formen an oder entwickelt sich das erst mit den Schauspielern? Es gibt in meinem Film keine Spur von Improvisation. Alles steht schon im Voraus auf den Seiten des Scripts. Alles wurde auch geprobt in den zwei Monaten vor dem eigentlichen Drehbeginn für jeweils vier Stunden am Tag. Sie kreieren meist sehr starke Frauenfiguren. Weil Frauen so sind und Männer sie so oft nicht zeigen wollen. Man braucht sich nur umzusehen, Frauen sind stark, und sie tragen die Welt auf ihren Schultern. Es ist nicht einfach für die Männer, ohne Macht zu funktionieren, und das macht sie wütend. Die Frauen übernehmen nach und nach die Macht in der Politik, in Deutschland, Frankreich und sicherlich auch in den USA. Aber natürlich brauchen wir die Männer, wir müssen in Frieden zusammen leben können. Ihre Filme behandeln schwierige Themen, erzählen aber von diesen auf unbeschwerte Art. Würden Sie sie als Tragikomödien bezeichnen? Ich versuche in meinen Filmen über sehr tiefgehende und wichtige Dinge zu sprechen, will aber die Zuschauer nicht mit meiner Philosophie - oder wie auch immer man dies nennen will - überwältigen. Ich habe keine Botschaft. Meine Filme sollen Vorschläge sein und keine Lehrstücke. Ich versuche mit meinen Zuschauern einen Dialog zu führen, denn ich lerne von ihnen. Sie sind die Menschen, die mich inspirieren. Ihr neuester Film hätte pathetisch wirken können, würde der humoristische Ansatz fehlen. Es war dasselbe mit dem Film Drei Männer und ein Baby. Im Grunde ist es eine Tragödie: Der Film handelt von einem Baby, das von seiner Mutter vernachlässigt wird. Aber man kann versuchen, die Geschichte in etwas Leichteres umzuwandeln, ohne dass sie seicht wird. Humor macht den Zuschauern bewusst, dass es sich auch um ihr eigenes Leben handelt. Ohne Humor kann man in dieser Welt nicht überleben. Inwiefern wird Ihre Arbeit davon beeinflusst, dass Sie vom Theater kommen? Ich komme auch vom Kino. Mein erstes Drehbuch schrieb ich mit 22 Jahren. Ich war immer zwischen Film und Theater zu Hause. Es gibt keine großen Unterschiede, außer dass das Theater eine sehr viel unrealistischere Welt ist als der Film. Im Theater ist man viel freier, Dinge zu sagen und zu zeigen, die nicht realistisch sind. Dies möchte ich in meinen Filmen versuchen zu durchbrechen, in Saint Jacques... zum Beispiel mit den Traumsequenzen. Sie werden in den USA ein Remake von Ihrem Film Chaos drehen, mit Meryl Streep in der Hauptrolle - von Drei Männer und ein Baby gibt es bereits eine amerikanische Version. Weshalb denken Sie, sind Remakes notwendig? Der amerikanische Markt ist abgeschottet, die französische Version in den USA zu zeigen ist sehr schwierig. Wenn eine Geschichte gut ist, kann man sie mehrmals erzählen. Wenn das politische Konzept meiner Filme nach Amerika gelangt und von vielen Menschen gesehen wird, ist das doch eine gute Sache. (© Luna Filmverleih) Film-Infos: Darsteller/innen: |
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