"Genau wie Humboldt und Gauß damals Neuland betreten haben, betreten wir jetzt Neuland mit 3D", kommt Claus Boje, der Produzent des Kinofilms "Die Vermessung der Welt", ganz unbescheiden jenen Leuten zuvor, die dieser neuen kinematographischen Sprache noch kritisch gegenüber stehen. Wir blickten durch die 3D-Brille, um zu sehen, ob diese erweiterte Wahrnehmung, der Blick durchs Fenster, der Verfilmung tatsächlich dienlich ist.
2005 erschienen, war es im Jahr drauf das weltweit zweitmeistverkaufte Buch, wenig später wurde es bereits als Schullektüre eingesetzt: "Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann. Unter der Regie von Detlev Buck entstand nun also die filmische Umsetzung dieser fiktiven Doppelbiografie des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769-1859). Die Frage, was der Film kann, was das Buch nicht kann, sollte erst gar nicht zur Debatte stehen, schon alleine, weil Daniel Kehlmann das Drehbuch schrieb, beim Schnitt dabei war, als Off-Stimme im Film zu hören ist, und in einer extra für den Film erfundenen Szene als hochrangiger Höfling zu sehen ist, aber natürlich auch, weil man im Film alles zeigen muss, während man sich beim Lesen eines Buches seine eigenen Bilder macht. Der Film ist großartig. Skurril, verschroben, anspruchsvoll. Und das Dings mit dem 3D? Erster Impuls: Vernachlässigbar. Lenkt von der wunderbaren Erzählform ab. Weiterhin gewöhnungsbedürftig, obwohl 3D im Kino erstmals bereits im Jahr 1915 eingesetzt wurde, in den 1950er Jahren einen Boom erlebte und aufgrund der digitalen Möglichkeiten in den letzten Jahren einen neuen Schub erhielt. Zweiter Impuls: Es geht in der Vermessung ja gar nicht um Effekthascherei, sondern einfach um den Einsatz der stark weiter entwickelten Filmgrammatik digitaler 3D-Technologie. Noch ist es eher Geschmacksfrage, ob man unbedingt ein paar Mücken plastisch nahe um einen herum schwirren sehen und ob man generell die Räumlichkeit verstärkt visualisiert bekommen möchte. In ein paar Jahren wird die Geschmacksfrage vermutlich obsolet sein, alle werden sich daran gewöhnt haben und echtes 3D-Kino könnte um die Jahrhundertmitte des 21. Jahrhunderts so selbstverständlich sein wie die Schlange vor der Supermarkt-Kassa anno 2012. Um in den 1950er Jahren einen 3D-Eindruck zu erhalten, musste man klobige Brillen mit einem blauen und einem roten Glas aufsetzen. Die Brillengläser wirkten dabei als Filter und riefen die Illusion hervor, drei Dimensionen zu sehen, die Tiefenwahrnehmung ein fast schon simpler Trick. Bessere Ergebnisse liefern die mittlerweile eingesetzten 3D-Brillen mit polarisierten Gläsern, sodass das linke und das rechte Auge unterschiedlich polarisierende Bilder sehen, dies in allen Farben, nicht nur in Blau und Rot. Die am weitesten fortgeschrittene 3D-Version sind jedoch Hologramme, und diese (brillenlose) Version sollte laut dem Star-Physiker Michio Kaku bereits in der nahen Zukunft möglich sein. Das Problem ist (noch), dass Hologramme sehr schwer herzustellen sind und dass die Informationsspeicherung die gängigen Kapazitäten übersteigt. Aber wieder zurück zum historischen Kostümfilm "Die Vermessung der Welt", der noch am Anfang dieser Entwicklungsstufe steht und von daher einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kinofilmgeschichte leistet: Da gibt es diese eine Szene mit dem ersten Fotoapparat von Louis Daguerre, mit dem Humboldt und Gauß aufgenommen werden sollten. Gauß dauerte die Prozedur zu lange, findet es nur lächerlich, die Aufnahme verwackelte. "Jetzt ist der Augenblick für immer verloren", lamentiert Humboldt. Gauß erwidert Humboldts Aussage vollkommen unbeeindruckt: "Wie alle anderen, mein Lieber, wie alle anderen. Gibt es was zu essen?" Diese kurze Szene ist Sinnbild für den ganzen Film an sich. Hier ist alles vereinigt was den Film ausmacht. Der feine Humor selbst, der den Film trägt und die Quintessenz dieser zwei so gegensätzlichen Forscher und Entdecker, von Albrecht Abraham Schuch als Alexander von Humboldt und Florian David Fitz als Carl Friedrich Gauß herausragend dargestellt. Die parallel verlaufende Handlung steht sich dabei nicht im Weg, gerade die bisweilen absurden Gegensätze vermitteln eine spannende Dramaturgie und letzten Endes wurde hier ein ganz großes Erzählkino vermessen. Dritter Impuls: "Die Vermessung der Welt" ist es wert, mehr als einmal gesehen zu werden. (Text: Manfred Horak; Fotos: Filmladen Filmverleih)
Film-Tipp:
Die Vermessung der Welt
Bewertung: @@@@@
Verleih: Filmladen (2012)
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Daniel Kehlmann, Detlev Buck, Daniel Nocke
Produzenten: Claus Boje, Detlev Buck
Protagonisten: Florian David Fitz, Albrecht Abraham Schuch, Jérémy Kapone, Vicky Krieps, Katharina Thalbach, Sunnyi Melles, Karl Markovics, Michael Maertens, Max Giermann, David Kross
Kinostart: 25.10.2012
Buch-Tipps:
Die Vermessung der Welt: Das Buch zum Film
Verlag: rororo (2012)
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Michio Kaku: Die Physik der Zukunft - Unser Leben in 100 Jahren
Verlag: Rowohlt (2012)
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