Die US-iranische Regisseurin und Fotografin Shirin Neshat feierte auf der Diagonale 2018 mit ihrem Film-im-Film "Looking for Oum Kulthum" Österreich-Premiere. Ihr neuestes Werk zeigt den Versuch einer persischen Regisseurin das Leben und Vermächtnis der legendären, ägyptischen Sängerin Oum Kulthum zu verfilmen. Mit Charme und einer beeindruckenden Präsenz versteht die Künstlerin Shirin Neshat das Diagonale-Publikum im ausverkauften Saal des Schubertkinos bei der Premiere sofort für sich zu gewinnen. Zusätzlich sind ihre Bilder im Rahmen der Ausstellung "Shirin Neshat - Frauen in der Gesellschaft" in der Neuen Galerie Graz zu sehen, weshalb sich die Künstlerin gleich zu Beginn als künftige Wahlgrazerin vorschlägt. Während Neshat in Ägypten und im Iran Nationalstolz-bedingt auf viel Kritik stieß, war das Grazer-Publikum sichtlich begeistert.

Auf der Suche nach Entmystifizierung

Neshats Film-im-Film weicht auf erstaunliche Weise jedem Versuch eines klassischen Biopics aus und konfrontiert stattdessen Oum Kulthums Bedeutung und Größe mit der Linse einer anderen Künstlerin, die versucht, ihre Geschichte zu erzählen. Wie Neshat ist auch ihre Protagonistin Mitra (Neda Rahmanian) eine persische Filmemacherin und eine auffällig moderne Frau, die einen spannenden Kontrast zu einer konservativen Gesellschaft bildet. Getrieben von Stolz, Ambitionen und dem Wunsch nach professioneller Anerkennung  gerät Mitra jedoch mehrmals an ihre Grenzen - privat wie auch beruflich. Sie ist mutig, sie ist anders, vor allem anders als die arabische Kultur, in der Kulthum bis heute als Legende gilt. Was jedoch Mitra und Kulthum verbindet, ist genau dieser Kampf, dem weibliche Künstler ausgesetzt sind. Auf der Suche nach Oum Kulthum entsteht ein visuell schillernder Spiegel zwischen der ägyptischen Legende und der emanzipierten Filmregisseurin, die verzweifelt eine kreative Verbindung zu ihr sucht. Wie jene vor ihr, die Filme über das Filmemachen gemacht haben, zeigt Shirin Neshat den Frust mit Schauspielern und Schauspielerinnen sowie deren Kämpfe mit der Regisseurin, beim ambitionierten Versuch ihre eigene Vision des Filmes zu realisieren. Sie stellt auch in den Vordergrund, wie divergierende Gender-Ansätze diese Kämpfe prägen und wie weibliche Sensibilität durch vermeintlich kommerzielle Professionalität erdrückt wird. Nach dem Erfolg ihrer gefeierten Bewegtbild-Installationen und ihres preisgekrönten Films "Women without Men" liefert Neshat eine klug durchdachte Gender-Reflexion des Kunst- und Kulturbereichs, der es aber stellenweise an künstlerischer Distanz fehlt. Looking for Oum Kulthum ist kein Dokumentarfilm und auch kein lineares Biopic über die legendäre Sängerin. Die multiple Erzählgeschichte ist ein ehrgeiziges Unterfangen, weshalb sie mit inhaltlichen Problemen zu kämpfen hat. Die Handlung ist nicht kohärent, was das Publikum vermutlich bewusst mit einigen inhaltlichen Fragen zurücklässt. Dennoch verliert Neshats Werk an keiner Stelle die Balance zwischen emotionalen Szenen, nüchterner Recherche und der fiktiven Handlung. Kulthum bleibt eine enigmatische Figur in einem sensiblen und bildgewaltigen Film. //

Text: Isabela Estrada
Fotos: Filmladen Filmverleih
Diese Filmkritik entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben" im Rahmen der Diagonale 2018 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kleine Zeitung und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung .



Film-Infos:
Looking for Oum Kulthum
Bewertung: @@@@@
Spielfilm, DE/AT/IT/LB/QT 2017, 94 min, OmdU
Produktion: coop99 filmproduktion GmbH
Vertrieb: Filmladen Filmverleih

Regie:
Shoja Azari und Shirin Neshat
Buch: Shoja Azari, Shirin Neshat und Ahmad Diba
Darsteller/innen: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh, Kais Nashif
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Nadia Ben Rachid
Originalton: Claus Benischke-Lang
Musik: Amine Bouhafa
Sounddesign: Noemi Hampel
Szenenbild: Erwin Prib
Kostüm: Mariano Tufano