Die 2018er Neuverfilmung von Dario Argentos "Suspiria" (1977) unter der Regie von Luca Guadagnino mit Tilda Swinton in der männlichen Hauptrolle ist eher eine Hommage als ein klassisches Remake.
Das italienische Kino der 1960er und 1970er Jahre prägte das Horrorgenre vor allem mit schockierenden Gewaltszenen. Spektakulär, brutal und detailliert gehen die Werke von Regisseuren wie Mario Brava, Gualtiero Jacopetti, Lucio Fulci und Ruggero Deodato vonstatten. Die Schaffenden lassen sich hauptsächlich im Exploitation-Kino verorten, mit Typen wie dem Zombie als wiederkehrendem Motiv. Aus dieser Kultur entwickelten sich der Mondo- und Giallo-Film als eigene Unterarten, wobei sich der Mondo durch pseudo-dokumentarische Ästhetik und die Vermischung von realem und fiktionalem Tod auszeichnet und den Giallo ein meist bis zum Schluss unbekannter Mörder, weibliche Schönheiten als Opfer und brutale, detailliert gezeichnete Morde definieren.
Farbenprächtige, unnatürlich beleuchtete, theatrale Kulissen
Letzterem widmete sich Dario Argento, nachdem ihm Sergio Leone die Möglichkeit gab, am Drehbuch von "C’era una volta il West" zu arbeiten. Der Giallo diente ihm als ideales Arbeitsfeld, um seine Albträume zu inszenieren. Dabei entwickelte er einen prägnanten Fingerabdruck, der seine Werke aus den Sphären des Genrekinos entreißt und in jene des Autorenfilms hebt. Ohne einer bestimmten narrativen Struktur zu folgen, führt eine räumlich und semantisch desorientierende Montage durch die Szenarien. Der meist suchende Blick der Kamera - durch Objekte hindurch, über Spiegelungen, oft perspektivisch ungewöhnlich - offenbart farbenprächtige, unnatürlich beleuchtete, theatrale Kulissen. Davor spielen sich mörderische, übernatürliche Szenarien ab, womit eine omnipräsent surreale Atmosphäre entsteht.
Angst vor dem unbekannten Täter
"Suspiria", Argentos 1977 uraufgeführter Magnum Opus, stellt einen Höhepunkt seiner stilistischen Entwicklung dar. Als ersten Teil der sogenannten "Muttertrilogie" schreibt er das Drehbuch gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin Daria Nicolodi. Das Sujet umfasst rituelle, blutige Vorfälle in einer deutschen Tanzschule. Susie Bannion, welche frisch aus Amerika angereist ist, wird mit der Angst vor dem unbekannten Täter konfrontiert, bevor sie die Möglichkeit hat, mehr über die Gemeinschaft und deren Geheimnis zu erfahren.
Inhaltlich als auch ästhetisch mit einer eigenen Stilistik wiederbelebt
Nun hat sich Luca Guadagnino ("Call Me by Your Name") nach "A Bigger Splash" erneut mit David Kajganich zusammengetan, um sich einer Neufassung anzunehmen. Mit ihrer Herangehensweise behandeln sie das Original und seinen Autorencharakter respektvoll, indem sie das Szenario inhaltlich als auch ästhetisch mit einer eigenen Stilistik wiederbeleben, anstatt bloße Imitation walten zu lassen. Während die Zeit jener der Urfassung angepasst wurde, dient der Schauplatz-Wechsel von Freiburg im Breisgau zu Berlin der Intensivierung des politischen Blicks, welcher für Argento nicht von Belangen war. Die Thematisierung der RAF sowie die der räumlichen Spaltung zeichnen das Bild eines düsteren Deutschlands.
Parallelmontagen, Rückblenden und audiovisuelle Einblicke in die Psyche
Die Erzählung ist in sechs Akte und einen Epilog gegliedert und spinnt sich um mysteriöse Vorfälle in einer Berliner Tanzakademie. Als Susie Bannion (Dakota Johnson) in Deutschland ankommt, um der Akademie beizutreten, wird eine der Studentinnen als vermisst gemeldet. Dr. Josef Klemperer (Tilda Swinton), der Psychologe der Vermissten, untersucht ihr Tagebuch und findet dabei okkulte Aufzeichnungen. Die Aussage, ihr Verschwinden stehe mit der RAF im Zusammenhang, scheint ihm nicht ausreichend, weswegen er selbst die Investigation in die Hand nimmt. Mit erzähltechnischen Details wie Parallelmontagen, Rückblenden und audiovisuellen Einblicken in die Psyche der Protagonist/innen entfaltet sich die Geschichte in einem esoterischen Rausch, welchem die Charaktere als auch das Publikum mit fortschreitendem Eindringen in das Geheimnis der Akademie mehr verfallen. Während die Lüftung dieses Geheimnisses die Klimax des Originals darstellt, verstärkt diese Erzählung mit einer gewissen Offenheit gegenüber dem Publikum das Spannungsverhältnis zwischen den Charakteren.
Exzessive Momente entfalten den artifiziellen Charme
Ästhetisch stellt für Guadagnino vor allem Dario Argentos Montagestil ein wesentliches Motiv dar. Mit einer ungewöhnlichen, hektisch anmutenden Rhythmik wird zwischen Nahaufnahmen von Objekten oder Körperteilen, subjektiven, bewegten Einstellungen geschnitten. Irritation und assoziative Offenheit scheinen mitunter die wichtigste Aufgabe der Bilder zu sein. Der Blick erfolgt oft indirekt über Spiegelungen, mit zittrigen Bewegungen und perspektivisch unkonventionell. Das Gefühl des Traumzustandes, welches sich bei Argento durch den gesamten Film zieht, spiegelt sich hier in Form von erzähltechnischen Akzenten wie Voice-Over, Rückblenden und Parallelmontagen wider. Erst der psychologisierte Blick in Traumsequenzen bzw. inhaltlich exzessive Momente entfalten den artifiziellen Charme, der auch in Argentos Schaffen spürbar ist. Farbiges Licht, pulsierende Klänge als auch hochassoziative Motive, welche sich dem Blick entziehen, ehe sie erforscht werden können, sind Teil dieser Hommage. Die Farbpallette im Allgemeinen aber verzichtet - möglicherweise, um den politischen Blickwinkel zu untermauern - auf die grelle Auswahl des Originals.
Das Sounddesign, die große Stärke des Films
Der Körper als solcher steht ästhetisch stets im Vordergrund. Nicht nur der visuelle Fokus auf einzelne Körperteile, Bewegungen oder Berührungen bringen dies hervor. Eine große Stärke bildet das Sounddesign des Films. So wird auf Musik verzichtet, als Susie zum Vortanzen antritt. Stattdessen stehen Schritte, das aneinander reiben von Gliedmaßen und ihr Atem im Vordergrund. Sowohl die sexuelle Spannung als auch die Wirkung spektakulärer Gewaltszenen wird durch dieses Stilelement geformt. Thom Yorkes (Radiohead) musikalischer Beitrag unterstützt durch die Mischung elektronischer und akustischer sowie konsonanter und dissonanter Klänge die surreale Atmosphäre des Films, wenn sie auch in Momenten mit gesanglichen Einlagen eher gebrochen wird. Auf den originalen Score von Goblin, der nicht von "Suspiria" wegzudenken ist, wird in dieser Hinsicht nicht zurückgeschaut.
Tilda Swinton in der männlichen Hauptrolle
Vertretern des Giallos wird aufgrund der meist weiblichen Opfer häufig Misogynie vorgeworfen. Guadagnino aber nutzt den Cast, um im Umkehrschluss ein feministisches Statement zu setzen und damit das Vorbild zu verteidigen. So steckt hinter Josef Klemperer, der einzigen männlichen Hauptrolle, eine maskierte Tilda Swinton. Zwar bereichert ihre schauspielerische Leistung den Film, so wird ihr Akzent auf deutschsprachiges Publikum doch befremdlich wirken, wenn man bedenkt, dass einer der drei von ihr verkörperten Charaktere aus Deutschland stammt. Davon abgesehen unterstützt die Besetzung in ihrer Gesamtheit die ambivalente Spannung, welche sich auch im technischen Aspekt widerspiegelt.
Emotionale Verbindung zum Original
Anstatt zu versuchen, einen Spiritual Successor zu schaffen, haucht Guadagnino "Suspiria" neues Leben ein. Deshalb wirkt dieser Film wahrscheinlich auch am besten, wenn er als eigenständiges Werk rezipiert wird. So weist auch der Regisseur selbst darauf hin, dass seine Motivation einer emotionalen Verbindung zum Original entspringt und er eher eine Hommage als ein klassisches Remake schaffen wollte. Dieser Ansatz erfrischt die Umgangsweise in Bezug auf Neufassungen und wird ein Publikum zufriedenstellen, welches nicht an der industriellen Ausbeutung von Marken interessiert ist. //
Text: Peter Freydl
Fotos: Amazon Studios
Film-Tipp:
Suspiria
Bewertung: @@@@
2018, 152 Min
Kinostart: 15.11.2018
Regie: Luca Guadagnino
Mit: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Lutz Ebersdorf, Jessica Harper, Chloë Grace Moretz u.a.