Über grüne Lügen, Naturkatastrophen, Transportrouten und Bergbau in österreichischen Umweltdokus.
Umweltdokus mit und ohne Belehrungshintergrund
Unser nachlässiger Umgang mit der Umwelt thematisierte die Diagonale 2019 verstärkt in der Kategorie Dokumentarfilm, noch konkreter, in Umweltdokus. Mehrere Festivalbeiträge haben sich mit der Ausbeutung der Natur durch die Menschen und die irreversiblen Schäden, die dadurch entstehen, auseinandergesetzt und kritisch hinterfragt. Hier sticht besonders "The Green Lie" heraus, der bereits bei der Berlinale 2018 seine Welturaufführung feierte und beim Grazer Filmfestival im Jahresrückblick gezeigt wurde.
Wie der Name schon vermuten lässt, werden in dem Film von Werner Boote grüne Lügen aufgedeckt, die uns die Industrie tagtäglich unter die Nase hält. Da wir als Konsumenten daran glauben wollen, fragen wir nicht weiter nach und freuen uns auf Siegel wie "umweltschonend hergestellt", "CO2-neutral produziert", "biologisch abbaubar", "Delfin schonend gefangen" etc. "The Green Lie" lässt diesen Vorhang nun aber fallen und wir entdecken Schreckliches: Wir tragen jeden Tag dazu bei, dass unser Planet Erde ausgebeutet wird, nur um immer mehr Profit zu machen. Vor allem die Bilder von hunderten Hektar illegal abgebrannten Regenwald zur Errichtung von Palmölplantagen ist verheerend. Doch niemand will die Verantwortung dafür übernehmen, erst recht nicht die mächtigsten Palmölkonzerne, die sich auf der Behauptung, nachhaltiges Palmöl herzustellen, ausruhen. Doch was soll das überhaupt heißen, nachhaltiges Palmöl? Solche Fragen stellen sich Werner Boote und Kathrin Hartmann, Expertin für Greenwashing, in "The Green Lie". Das Sympathische an dieser Dokumentation mit Belehrungshintergrund ist, dass die zwei Protagonisten selbst mit ihren eigenen Gewohnheiten ins Gericht gehen. Und es wird stets versucht die Stimmung trotz verheerender Umweltsünden leicht zu halten, mit Musik und viel Humor. Ganz kann der Film jedoch nicht verhindern, dass man nach der Sichtung in ein kleines Depressionsloch fällt, weil man nicht genau weiß, wie man dem teuflischen Kreislauf aus Konsum und Umweltausbeutung entkommen und ihn stoppen kann. Doch er animiert das Publikum auf jeden Fall, nach möglichen Lösungen zu suchen und zu einem nachhaltigeren Umgang mit unserem Planeten beizutragen. Erschreckend ist ebenfalls die Erkenntnis, dass diese immensen Eingriffe in die Natur nicht nur weit weg von uns im Regenwald oder im Meer (Stichwort: die Ölverpestung von Deepwater Horizon, 2010) passieren, sondern auch in unserer unmittelbaren Nähe zu finden sind. Werner Boote und Kathrin Hartmann kommen zufälligerweise mit ihrem ausgeborgten Tesla, der eine weitere grüne Lüge hinter der grünen Elektrizität versteckt - Lithium - vor dem größten Kohletagebau Europas zu stehen. Im Tagebau Garzweiler haben riesige Maschinen ein derart immenses Ödland freigelegt, dass man sich fragt, wie es mitten in Europa - in Nordrhein-Westfalen - überhaupt Platz findet und trotzdem relativ unbeachtet bleibt.
Die Wandlung unprofitabler Naturfläche in noch mehr Wohnraum
Ein weiterer Dokumentarfilm der Diagonale 2019 demonstriert eine derartige Naturkatastrophe in einem Kohletagebau in Ungarn, in Gyöngyös. Nikolaus Geyrhalter zeigt in "Erde" (Kinostart: 17. Mai 2019) eine 168m hohe Baggermaschine, die mit ihrem riesigen Baggerrad unentwegt Material aus dem Stein frisst und bereits eine riesige Fläche Erde für immer entstellt hat. Einer der Arbeiter, die in dieser bildgewaltigen Dokumentation interviewt werden, hält jedoch (aus Selbstschutz?) an der Vorstellung fest, dass die Landwirtschaft und die wilden Tiere irgendwann schon wieder zurückkehren werden. Das wird jedoch nicht passieren, zumindest nicht, solange wir nichts tuend dabei zuschauen. Nikolaus Geyrhalter nimmt uns in "Erde" noch auf weitere erschütternde Orte mit, die jeweils ein Kapitel darstellen und mit einer Einstellung aus Vogelperspektive eingeführt werden, die die riesigen Dimensionen der Maschinen plötzlich verschwindend klein wirken lässt. So lernen wir ein Landschaftsumgestaltungsprojekt im bereits dicht besiedelten San Fernando Valley in Kalifornien kennen, das dafür sorgt, dass 2000 Hektar unprofitable Naturfläche in noch mehr Wohnraum umgewandelt werden können, ganz nach dem Motto: "There are no limits!". Wir tauchen in die einengende Dunkelheit der Baustelle des Brennertunnels ein, reisen zu einem Marmorsteinbruch nach Carrara in Italien und lernen in Wolfenbüttel in Deutschland, dass Salzbergwerke dafür verwendet werden, um Radioaktivität ‚einzusperren‘. Diese Dokumentation schafft einen weiteren hoffentlich aufrüttelnden Einblick in die Dimensionen der Zerstörung des Geosystems Erde durch Menschenhand. Selbst die Menschen, die an diesen irrwitzigen Projekten arbeiten, erkennen in den Interviews teilweise, dass wir als menschliche Rasse nicht auf dem richtigen Weg sind und die Natur nicht wie Gott umformen können, ohne verheerende Konsequenzen auszulösen.
Ohne Schnitt und jeglichen Kommentar
Nicht nur auf dokumentarische Art und Weise hat sich das Grazer Filmfestival 2019 dem Bergbau gewidmet, sondern auch innovativ‘mit dem Kurzfilm "ORE" von Claudia Larcher, der im Rahmen des innovativen Kinos gezeigt wurde. Dem Publikum werden dabei Bilder eines Eisenerzberges in Vorarlberg ohne jegliche Referenzpunkte vor Augen geführt, die es orientierungslos lassen, bis in der dritten Minute endlich Häuser, eine Straße und ein Fahrzeug die Dimensionen erahnen lassen. Die Innovation wird auch auf der formalen Seite weitergeführt: Die ganzen sechs Minuten des Films werden von einer semidynamischen Plansequenz ausgefüllt, in der die Kamera eine stetige und langsame Bewegung nach links unten vollzieht, ohne Schnitt und jeglichem Kommentar.
Holzbretter aus Admont sehen mehr von der Welt als die meisten Menschen in ihrem gesamten Leben
Diese monotone gleichmäßige Kamerabewegung wurde ebenfalls in einem weiteren Diagonalebeitrag eingesetzt, in "Walden". Dort wird die Reise eines Baumes vom Admonter Wald bis nach Brasilien dokumentiert und in 13 Plansequenzen zu je ca. 10 Minuten gezeigt, in der die Kamera jeweils ungefähr eine 360°-Bewegung nach rechts mit ständig gleichbleibender Geschwindigkeit durchführt. Dadurch musste der Film von vorne bis hinten inszeniert werden, um das richtige Timing zu gewährleisten. Der Regisseur Daniel Zimmermann kann deshalb nur darüber lachen, dass er bei der Diagonale als Dokumentarfilm eingestuft wurde. Er wirkt eher wie eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen der verschiedenen Stationen auf diesen fast 15.000 Kilometern. Das klingt vielleicht nicht sehr spannend, ist es leider auch nicht. Die monotone Geschwindigkeit und das Fehlen von jeglicher Musik und Kommentaren, lässt einen leicht abdriften; die beruhigenden Naturgeräusche, die nur ab und zu durch das Ertönen von Motoren unterbrochen werden, tragen weiter dazu bei. Somit ist der Film nur etwas für Hartgesottene, die nicht leicht einzuschläfern sind. Die Idee hinter dem Filmprojekt war die Haupttransportroute vom Amazonas bis nach Europa einmal umzukehren und macht deutlich, welch immense Ressourcen für die weltweite Vermarktung von Produkten heutzutage verbraucht werden. Gleichzeitig ist der Film jedoch auch eine direkte Veranschaulichung dafür, welch unsinnige Unternehmungen tagtäglich realisiert werden, nur um Produkte, die bei uns zu teuer wären, billig irgendwohin zu transportieren und dort zu verkaufen. Die Holzbretter aus Admont überqueren zahlreiche Grenzen und Gewässer mithilfe unterschiedlicher Transportfahrzeuge und sehen mehr von der Welt als die meisten Menschen in ihrem gesamten Leben.
Nachhaltiges Nachdenken erwünscht
Als Kompensation dafür wünscht man sich zumindest, dass die ganze Reise nicht umsonst gewesen ist; das war sie streng genommen auch nicht, denn ohne sie gäbe es keinen Film, aber eine Behausung ist für niemanden damit gebaut worden, weder im Regenwald, noch sonst irgendwo auf der Welt. Da tut sich am Ende schon die Frage auf, ob es das alles wert war und ob der Slogan L’art pour l’art (Die Kunst der Kunst wegen) als alleiniger Existenzgrund ausreicht, um solche Unternehmen umzusetzen. Der nachhaltige Wert dieser filmischen Kunstwerke wird erst dann generiert, wenn das Publikum bei Umweltdokus zum Nachdenken angeregt wird und das derzeitige System, das aus dem Konsumismus heraus entstanden ist, anfängt zu hinterfragen. Das Medium Film eignet sich sehr gut dafür, ein Bewusstsein für wichtige Themen zu schaffen, da Bilder eine große Wirkung haben und man sie stets in interessante Formate und Geschichten einbetten kann. Somit können Wissens- und Horizonterweiterung auf angenehme Art und Weise an Unterhaltung gekoppelt werden, so wie es die oben angeführten Beispiele gemacht haben, manche Umweltdokus davon mehr und manche weniger unterhaltend. //
Text: Nina Isele
Fotos: Beauvoir Films, Filmladen Filmverleih, NGF, sixpackfilm