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Der 35mm-Film lebt!
sos_freeway

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Wir Normal-Sterblichen sind gerettet!


Michel Gondry, der Realisator des prämierten Werbefilms „Drugstore“ für Levis, der Oscar Preisträger für sein Drehbuch „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ (zusammen mit Charlie Kaufman und Pierre Bismuth), der Empfänger des in der Musik-Video-Welt begehrten „Kratz Award for Creative Excellence“, der Meister der selbstgebastelten Pappmaché-Animationen, dessen "Dave Chappelle's Block Party" im Rahmen der Viennale '06 erstmals in Österreich zu sehen sein wird, realisierte kürzlich auch den superben Film "The Science of Sleep" und hat uns somit einmal mehr nicht im Stich gelassen. 

Ällerlätsch

sos_filmszene1 Film ist eben doch nicht nur noch 'Big Business'. Nein, Film ist eine von wunderbar peniblen Technikern erfundene Möglichkeit, Träume erlebbar machen zu können, seine Innenwelt zu veräußern, ohne sich dabei auf Worte oder Bilder oder Musik beschränken zu müssen. Der Film kann alles gleichzeitig. Und es ist ein herzerfrischendes Vergnügen, wenn dieses komplexe Handwerkszeug von so menschlichen Händen genutzt wird, und von so wunderbar unschuldigen Innenwelten erzählt, wie von Michel Gondry.

Eine Werkstatt

Nachdem der Regisseur seine ersten beiden langen Spielfilme in amerikanischen Studios mit Hilfe weitentwickelter Computer gemacht hat, kehrte er jetzt zurück nach Europa und verwandelte für drei Wochen sein Haus in Frankreich zu einem Trickatelier, um seine Phantasien wieder selbst zu basteln. "Alles, was Sie im Film sehen, war auch tatsächlich so vor der Kamera existent. Wir haben unsere kleine ‚Metropolis’ real gebaut und jedes einzelne Bild mit der Filmkamera aufgenommen." Sprich, der ganze Film wurde aus echtem 35mm-Filmmaterial geschnitten, ohne computerisierte Nachbearbeitungen. Und das hat etwas kindlich Beglückendes. Nein, ich sitze nicht fest angeschnallt in einer HighTech-Achterbahn, sondern: ich darf mitspielen. Ich darf dabei sein, selber denken, fast schon selber machen und dabei herzlich lachen. Weil: alles ist 'einfach' schwierig. Man erinnert sich, man erkennt wieder. Stimmt, so sieht das da draussen aus, in meinem kleinen Kopf.

sos_filmszene2Echte Menschen

Faszinierend ist auch, dass ausnahmslos alle 'Spieler', obwohl sie preisgekrönt und bekannt und geachtet sind für wirklich große Leistungen ihrer Schauspielkunst, so natürlich daher kommen, wie einem die Nachbarschaft in einer größeren Stadt eben begegnen könnte. Man trifft sich nicht in stylischen Clubs, sondern auf der Straße, im Hausflur oder in der unbedeutenden Arbeitsstätte. Und daraus wird kein unglückliches Sozialdrama gemacht, sondern im Gegenteil eine unzensierte Spielwiese, die man sich schon lange zurückgewünscht hat. Man befindet sich an Orten, wo man seine Spielkameraden finden kann.

Die Handlung

Ein junger Mann, Gael García Bernal, kommt nach dem Tod seines Vaters aus Mexiko nach Frankreich, um einen von seiner französischen Mutter, Miou-Miou, organisierten Job anzunehmen. Er zieht wieder in die Wohnung seiner Kindheit, sogar in sein noch komplett eingerichtetes Kinderzimmer.
In die Wohnung daneben zieht eine junge Frau, Charlotte Gainsbourg, die ähnlich phantasievoll veranlagt ist. Aber auch ähnlich eigenbrötlerisch. Eine Traumgeschichte nimmt ihren Lauf. Es sos_filmszene4sos_filmszene3eröffnet sich die Perspektive eines jungen Mannes, der schon weiß, was er will, aber nicht wie er es bekommen kann. Der weiß was ihn anmacht, nämlich die unkomplizierte sinnliche beste Freundin, Emma de Caunes, aber auch was ihn in Bann hält, nämlich die versponnene Phantasie des unscheinbaren Mädchens von nebenan. Umgehen kann er im realen Leben weder mit dem Wissen noch mit dem Wollen. Also lässt er sich von seinen Träumen ins Paradies treiben, denn der Traum hat die wunderbare Eigenschaft sich nicht kontrollieren zu lassen. Ganz so wie das Mädchen von nebenan. Was denkt sie? Will sie oder will sie nicht? Liebt sie mich oder liebt sie mich nicht? Ob es wahr ist? Einfach küssen – und wenn sie mich zurückweist? Kann man es wissen. Dann schon lieber selber Zurückweisen. Spürt sie denn nicht, was ich damit meine?

Wissenschaftliches Träumen

Alles Vor- und Nachdenken hilft dem Protagonisten in seiner 'Liebesangelegenheit' ganz und gar nicht weiter, denn wie der Lateiner schon sagte: "Nec scire fas est omnia" - es ist unmöglich, alles zu wissen. Ergo: mit der Ungewissheit leben lernen und weiter an seiner Traumversion der Geschichte basteln. Ist das dann schon erwachsen sein? Wer weiß das schon. Hauptsache, man erschafft sich eine gute Zeit dabei. So wie Michel.
„Wir haben jene Tricks, die im Zimmer von Stéphane oder Stéphanie stattfanden, dann nachts im gleichen Set gedreht und mit dem gleichen Licht. Es braucht diesen tatsächlichen Zusammenhang, auch die Energie, um diesen Zauber, der mir so wichtig ist, wirklich herzustellen.“
Das nenn ich, sich ein gute Zeit machen. Auch wenn es die letzten Kräfte kostet. (Stephanie Lang)

--- Infos über die "Ver-rückten" ---

Michel Gondry - Drehbuch, Regie, Produktion
Vielfach wurde das Multitalent ausgezeichnet – mit einem seiner ersten Commercials – „Drugstore“ (1994) für Levis – steht er im Guinness-Buch der Rekorde als der am häufigsten prämierte Werbefilm aller Zeiten. Von seinen unzähligen bekannten Musikvideos werden wir jetzt gar nicht erst anfangen.

Gael García Bernal - Stéphan
Zu den vielen Preisen, die Gael García Bernal in seiner kurzen Karriere bereits gewann, zählen der Marcello-Mastroianni-Preis des Filmfestivals von Venedig für seine herausragende Leistung in Alfonso sos_filmszene5Cuaróns Y tu Mama tambien (2001), mehrere MTV-Movie-Awards, darunter den für die Beste Beleidigung in Y tu Mama tambien und den für den Besten Schauspieler in El crimen del padre Amaro - Die Versuchung des Padre Amaro.
2004 verkörperte er den jungen Che Guevara in Walter Salles’ The Motorcycle Diaries - Die Reise des jungen Che und spielte die Hauptrolle in Pedro Almodovárs La mala educación – Schlechte Erziehung.

Bernal über Gondry:
„Seine Kunst lädt zum Mitmachen ein. Er will, so scheint es mir, das Publikum retten vor einem bloß noch passiven Bestaunen immer ausgefeilterer CGIs (Computer Generated Images). Der ursprüngliche King Kong hat zu 20.000 Meilen unter dem Meer und unzähligen Super-8-Monster-Homemovies geführt. Herr der Ringe und der neue King Kong hingegen lösen lediglich den Impuls aus, die Trailer downloaden zu wollen.“

Charlotte Gainsbourg – Stéphanie
 Ihr Schauspieldebüt gab sie bereits im Alter von 13 Jahren, als sie für die Hauptrolle in Claude Millers Film L’effrontée (1985) mit dem César als beste französische Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde.
Die größere Auszeichnung bekam sie 2002 von ihrem Lebensgefährten und Vater ihrer zwei Kinder, Yvan Attal, durch die als eine Hommage an Charlotte Gainsbourg geschriebene und inszenierte Komödie Ma femme est une actrice - Meine Frau, die Schauspielerin.
Im Sommer 2006 veröffentlicht sie ihr erstes eigenes Album seit 20 Jahren: „5.55“.

Gondry über Gainsbourg
„Das seltsame an ihr ist, dass sie von Männern zuerst nicht in Erwägung gezogen wird. Sie ist niemand für eine Liebe auf den ersten Blick.“

Emma de Caunes - Zoé
Im Jahr 1999 drehte sie ihren ersten eigenen Kurzfilm: Le nombril de l’univers. Nachdem sie sich bis zur Jahrtausendwende, wie sie selbst sagt, als Komödiantin ausgetobt hatte, kehrte sie danach wieder zu ernsteren Projekten zurück, darunter Ma mère (2003) von Christophe Honoré, nach einem unabgeschlossenen Roman von Georges Bataille, an der Seite von Isabelle Huppert und Louis Garrel. Ein Jahr zuvor hatte sie den Prix Romy Schneider für die vielversprechendste junge Schauspielerin erhalten.

Miou-Miou - Stéphanes Mutter
Zehn mal für einen César nominiert erhielt sie ihn nur ein einziges Mal für ihre Rolle als Prostituierte in La dérobade (Die Aussteigerin, 1980). Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag im Jahr 2000 gratulierte ihr die Libération: “Sie hat immer gezeigt, dass man auf der Autobahn des Lebens zwar zügig vorankommt, dass sich die Wahl von Seitenstraßen aber auch als äußerst bereichernd erweisen kann.“

Alain Chabat - Arbeitskollege
Hier nur in einer kleineren Rolle zu sehen, aber auch er erhielt mit seinem Regiedebüt Didier (1997) den César für das Beste Drehbuch.

Link-Tipps:
Science of Sleep
Dave Chappelle's Block Party
Eternal Sunshine
Human Nature