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Matthias Glasner, Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Produzent des Films "Der freie Wille", traf sich mit Stephanie Lang von Kulturwoche.at und Aglaia Rudnay von Filmnews an einem ganz normalen Montagnachmittag im Café Sperl.







Filmnews:
Dadurch, dass ich den Film vor einem Dreiviertel Jahr gesehen habe...

Matthias Glasner: ... geht’s dir wieder besser.

Filmnews: ... geht’s mir wieder gut. Und ich kann mich bis heute nicht entscheiden wie ich zu der Figur des Theo stehen soll. Fühlst du dich dieser Figur in gewisser Weise nah?

Matthias Glasner: Ja. Ich glaube, ich könnte keinen Film über ihn machen, wenn ich mich ihm nicht nahe fühlen würde. Allen Figuren. Alle Figuren in diesem Film sind eigentlich ein Teil von mir. Ich glaub, dass man als Regisseur nur Sachen machen soll, die etwas mit einem selbst zu tun haben, was man selbst nachempfinden kann. Und ich interessiere mich grundsätzlich sehr für Schuld. Warum wir schuldig werden. Wie es ist, mit Schuld zu leben. Ich hab das Gefühl, Leben heißt schuldig werden, die ganze Zeit. Und das auszuhalten, und wie man sich selber dann noch im Spiegel angucken kann, wie man sich selber annehmen kann, weil, wenn man das nicht kann, kann man auch andere nicht annehmen. Das hat alles mit Schuldgefühlen zu tun, was uns alle, glaub ich, ständig belastet. Und ich mag Menschen, die sich schuldig fühlen. Ich hab das Gefühl, wenn ich einen Raum betrete, dann kann ich direkt sehen, ob da jemand ist, der sich schuldig fühlt, oder nicht.

Kulturwoche.at: Was schaust du mich so an?

Filmnews: Ich hab mich auch gerade ganz ertappt gefühlt.

Matthias Glasner: Und zu so Menschen fühl ich mich sofort hingezogen.

Kulturwoche.at: Ich bin Deutsche und wohne jetzt seit 6 Jahren in Wien. Das ist genau ein Thema, womit ich hier in Österreich immer wieder konfrontiert werde: „Was habt denn ihr für ein Problem mit Schuld?!“

Matthias Glasner: Mh.

Kulturwoche.at: Insofern ist es auch ein unglaublich „deutscher“ Film, was ich positiv finde. Der Film ist ein bisschen wie eine Bestandsaufnahme - sehr nah herangefahren -, wo man anfängt, wenn man nichts hat, wenn man auf die alten Traditionen nicht mehr eingehen kann und will. Die Frage ist, wo geht’s hin? - Gerade wo du jetzt durch den Prozess durch bist?

Matthias Glasner: Das sind zwei verschiedene Dinge. Nach dem Film geht es bei mir persönlich sicherlich ganz woanders hin, weil das ein Film ist, den man loswerden musste. Da ist man jetzt befreit davon, und kann sich jetzt völlig neu orientieren. ... Der Film selber ist vielleicht so ein Requiem, er zeigt keine Zukunft. Er beschwört vielleicht auch so eine Art Hoffnung, Sehnsucht nach Erlösung, oder so. Dass es da etwas gibt, wo wir gerne hin würden, einen Ort jenseits dieser Einsamkeit. Es ist auch ein Film für mich, der viel von Sehnsucht handelt, bei aller Härte und bei aller - in diesem Fall - Vergeblichkeit.

Kulturwoche.at: Eine sehr sehnsüchtige Szene - obwohl sie eine der brutalsten Horrorvorstellungen beinhaltet, ist ...

Matthias Glasner: Welche?

Kulturwoche.at: ... ist die mit dem Model. ... Also, die Vorstellung, dass ein Mensch in dein Zimmer einbricht, ohne dass du es merkst, war im ersten Moment ein unglaublicher Horror, und im zweiten Moment hatte es eine unglaubliche Erotik – das finde ich eine enorme Szene, einfach nur für sich genommen. ... Vielleicht weil darin so etwas Unschuldiges, Geschütztes war. ... Auch im Gegensatz zu den anderen Bildern.

Matthias Glasner: Das ist interessant, weil ich hab das schon öfter gehört von Frauen – es gibt da auch andere Frauen, die sich unheimlich darüber aufregen, über diese Art von Erotik, die da drin ist. Aber das ist eben – offensichtlich – wahr, es gehört einfach mit dazu. Also Erotik ist auch Teil dieser Welt, von der der Film erzählt. Auch der Zusammenhang zwischen Gewalt und Erotik.

Filmnews: Aber wolltest du das bewusst zeigen – diese Seite?

Matthias Glasner: Doch, schon.

Filmnews: Es wird nicht nur ausgelöst bei Frauen.

Matthias Glasner: Ne, ne. Das war beabsichtigt. Ich finde das selber auch.

Filmnews: Was ich schön fand – ich bin bei der Liebesgeschichte zwischen Netti und Theo voll mitgegangen. Und das trotz der Vorgeschichte. Es gab wunderschöne zarte Momente, und ich finde bewundernswert, dass das so rüber gekommen ist - trotzdem.

Matthias Glasner: Ja, ich wollte ja eh eher einen zärtlichen Film machen. Ich wollte mit großer Anteilnahme an die Figuren herangehen, egal was sie verbrochen haben oder nicht. Ich leb ganz stark aus der Haltung heraus, dass mir nichts Menschliches fremd ist. Ich halte den Menschen im Guten, wie im Bösen zu allem in der Lage, und es fällt mir schwer jemanden deswegen zu verurteilen. Ich bin auf der Seite aller, die da so - kämpfen an irgendwas. Der Film hat gar keine kritische Haltung irgendjemand gegenüber. Der Film nimmt einfach Anteil mit einer Sanftheit, mit der ich versucht hab mit diesen Figuren umzugehen, und mit dieser Geschichte.

Filmnews: Das heißt, die Opferseite hätte dich auch nicht interessiert.

Matthias Glasner: Doch. Aber das war hier nicht die Geschichte. Die Drehbuchautorin mit der ich geschrieben habe, Judith Angerbauer, die hat jetzt etwas Geschrieben über ein Opfer, was ich wahrscheinlich produzieren werde. Das interessiert mich. Das ist nur einfach eine andere Geschichte.

Kulturwoche.at: Es gab auch zwischendrin die Überlegung, doch einen Fernsehfilm daraus zu machen. Was ist für dich der große Unterschied, ob fürs Fernsehen, oder fürs Kino?

Matthias Glasner: Der Fernsehfilm wäre eine Art Abfallprodukt aus der Recherche gewesen - aus der Sicht eines Gutachters. Ich hab mit vielen Therapeuten und Gerichtsgutachtern gesprochen, und da gabs eine Figur, die mich interessiert hat. Und dann hab ich gedacht, weil ich einfach mit Vergewaltigern nichts mehr zu tun haben wollte, dass ich das Material einfach verwende. Das wäre aber eine sehr distanzierte Auftragsarbeit gewesen. Da hätte ich das, was ich weiß, zum Geldverdienen verwendet. Ums ganz brutal zu sagen.

Kulturwoche.at: Also Fernsehen ist (mit Filmnews gleichzeitig) Geldverdienen.

Matthias Glasner: Fernsehen ist auf jeden Fall immer auch mehr Geld verdienen.

Kulturwoche.at: Was wäre für dich der Unterschied gewesen, filmtechnisch, bei der Kameraführung - wäre es mehr etwas gewesen, was 'funktionieren' muss?!

Matthias Glasner: Im Fernsehen hat man auf jeden Fall die Beschränkung auf 90 Minuten. Du hast nicht diesen Erlebnisraum 'Kino'. Der Film „Der Freie Wille“ braucht das, diesen dunklen Raum, diese Zeit, die du mit dem Film verbringst, dieses Alleinsein. Diese Isolation, die totale Intimität mit dem Film, dadurch auch die Intimität zu sich selbst. Der Film, weil er ja so lang ist, lässt auch viel Zeit sich selber zu spüren. „Wie geht’s mir eigentlich, während ich den Film gucke.“ Wann bin ich sauer auf den Film, wann bin ich erstaunlicherweise berührt, und was heißt das über mich. Wie du sagst, du findest diese Szene erotisch – auch das ist ja interessant. Ich meine eine Freundin, nachdem sie den Film das erste Mal gesehen hatte, sagte, dass es sie total verstört hat, dass sie diese Szene erotisch findet. Das sind eben Sachen, die wollte ich: dass man sich selbst ganz stark erlebt, während man den Film sieht. Das geht nur im Kino. Das geht im Fernsehen nicht.

Filmnews: Ich glaub, es ist auch ganz wichtig, dass man nicht wegschalten kann. Weil es gibt sehr wohl Szenen, die schwer zu ertragen sind.

Matthias Glasner: Im Fernsehen geht so ein Film eigentlich gar nicht. Er wird im Fernsehen laufen, weil es ihn mitfinanziert hat, aber das ist eigentlich der falsche Ort dafür. ...

Kulturwoche.at: Ich fand Manfred Zapatka hervorragend besetzt. Er hat so eine Grundausstrahlung als Täter, selbst wenn er klagt. Das fand ich ganz toll. Dadurch war Netti so verständlich in ihrem Tun.

Matthias Glasner: Das ist schön, dass du das so siehst, das sieht nicht jeder so. Das ist ein wirkliches Monster, dieser Mann. Das größte Monster im Film. Diese Warteraumszene – das geht mir jedesmal durch und durch -

Kulturwoche.at: Sein Blick, wenn sie unten ist ...

Matthias Glasner: ... und er dann alle so anguckt, wie sie ihm die Schuhe zubindet. Eisenhart, der Mann, eisenhart. - Womit auch erzählt wird, dass psychischer Missbrauch mindestens genauso schlimm ist, wie körperlicher Missbrauch. Diese Frau ist von ihrem Vater jahrelang, wer weiß, 10, 15 Jahre lang, psychisch missbraucht worden. Die ist ein Wrack dadurch.

Kulturwoche.at: Handlungsunfähigkeit. Was macht diese Handlungsunfähigkeit? Wenn sie am Schluss da sitzt und nicht eingreift.

Matthias Glasner: Ich muss sagen, dass ich ein großer Verfechter bin für das Recht auf Selbstmord. Ich halte das für eine absolut legitime Wahl für jeden Einzelnen. Es gibt einen Satz, den hab ich schon als Teenager gelesen von Cioran: „Ohne die Möglichkeit des Selbstmordes, hätte ich mich schon längst umgebracht.“ Der hat mich beeindruckt. Ich brauch das, als letzten Ausweg, um das Leben auszuhalten. Und wenn ich es nicht mehr aushalte, dann kann ich diese Tür nehmen. Und das Recht sollte jeder haben, finde ich. Weil das Leben ist für viele Menschen unerträglich. Je nach Disposition kommen wir besser oder schlechter mit dieser sehr komplizierten Welt, mit diesen sehr komplizierten menschlichen Beziehungen klar. Ich glaube nicht, dass wir die Verpflichtung haben, das Leben auszuhalten. Da ich kein religiöser Mensch bin, glaub ich das nicht. Deswegen ist es eine mögliche Interpretation - nicht die einzige, und auch nicht unbedingt meine -, dass es eine Art Liebesbeweis ist, dass sie ihn lässt.

Kulturwoche.at: Du hast den Film im Ruhrgebiet gedreht. Ich kenne das Ruhrgebiet ganz gut. Es lebt von einem großen Gemeinschaftssinn. So hässlich das von außen ist - es gibt einen großen gemeinschaftlichen Zusammenhalt. Davon hat man in deinem Film nichts gesehen. Du hast den Film auch so gebaut, dass das gesamte gesellschaftliche Leben immer mehr ausgeblendet wird. Zum Beispiel: „Wo kommt das Geld her.“ Diese ganz normalen Tätigkeiten, die einen ja auch davor retten den Bezug zu verlieren. Das Leben findet statt. Ganz zwanghaft musst du irgendwas tun, damit es weitergeht. Und wenn du nur aufs Sozialamt musst, um irgend einen neuen Antrag zu stellen.

Matthias Glasner: Also dieser Vorw... - diese Fragestellung kenne ich schon, seit ich meine ersten Filme mache. Warum das in meinen Filmen keine Rolle spielt, dieses Geld verdienen und diese Arbeit, was für alle so eine große Rolle spielt. Ich hab mich das auch schon oft gefragt. Ich komm aus sehr armen Verhältnissen – also bei uns zu Hause hat Geld eine Rolle gespielt. Aber für mich nie. Deswegen kommt das bei mir nicht so vor. Ich würde das gerne im nächsten Film mal thematisieren. Irgendwie bestehe ich in meinen Filmen darauf, dass es etwas gibt an Seelenzuständen, die losgelöst sind von diesen Arbeitszusammenhängen. Deswegen ist es auch ein sehr poetischer Film. Der Film ist nicht realistisch, er ist ein sehr subjektiv gefärbter poetischer Trip, den man da macht. Und in dem ich mir das Recht rausnehme, mich nur für die Punkte zu interessieren, von denen ich glaube, dass sie für die Seelenzustände der Figuren in dem Film wichtig sind. Und das ist eben nicht die Arbeit. Was als Thema, um kurz mal ein bisschen auszuholen, in der Gesellschaft immer interessanter werden wird, weil Arbeiten immer weniger eine Rolle spielen wird, und weil wir uns eh davon lösen müssen, dass wir unser Leben über Arbeit definieren, was wir ja früher ganz stark getan haben. Das heißt: wie definieren wir uns dann eigentlich, wenn wir das nicht mehr haben? Aber das ist eine größere Frage, die mich mal in meinem nächsten Film interessieren würde.

Kulturwoche.at: Du hast es ja dadurch, dass man in dem Film die Zeit hat, sich mit sich und seinem eigenen Problem zu beschäftigen, schon angedeutet.

Matthias Glasner: Wir kommen ja aus einer Generation der sogenannten „McJobs“, wie Douglas Coupland das mal genannt hat. Wir machen Jobs, die wir machen, bis wir endlich machen, was wir eigentlich machen wollen. Solange machen wir irgendwas, und denken darüber nach - „Was wollen wir eigentlich, wer sind wir?! Was bin ich?“ - und solange machen wir so Interviews in Cafés.

Kulturwoche.at: Es ist lustig, dass du sagst, dass man dir das oft vorwirft, weil ich hab selten in einem Film gesehen, dass die Arbeitsabläufe so deutlich gezeigt wurden.

Matthias Glasner: Ja, das mach ich dann eben irgendwann sehr burschikos. Irgendwann sag ich, so jetzt interessiert es mich nicht mehr, was mit seinem Job und seinem Geld ist: ich guck einfach nicht mehr hin. Das wirft man mir vor. Vorher hab ich es mal so ernst genommen - wirklich zum ersten Mal - weil, es ist einfach so: für den Menschen, der da aus dem geschlossenen Vollzug kommt, ist das eben erstmal wichtig – sein Alltag. Es ist mir schwer gefallen es zu drehen, weil mich persönlich interessiert es eigentlich nicht. Mich hat interessiert, wie sie in der Schokoladenfabrik arbeitet, weil ich Schokolade so gern mag, und das die beste Schokolaterie Europas ist - Ah, toll, toll. Die machen da das Meiste von Hand, alles frische Zutaten. Wir wollten eigentlich nur ne Stunde drehen, wir haben einen ganzen Tag da verbracht! Ich könnte einen eigenen Dokumentarfilm daraus schneiden – anderes Thema.
Das ist aber auch etwas, was ich an dem Film mag, daß er sich Zeit nimmt so an die Ränder zu gucken. So ins Leben an sich. Dass die Geschichte fast nur ein Vorwand ist, um überall mal hinzugucken, so ein bisschen. Das ist sehr unamerikanisch von der Struktur her, wo man sagt: nur was für den Plot wichtig ist, ist wichtig. Bei mir ist es eigentlich so: der Plot ist nur wichtig, damit ich überall anders hingucken kann. Mich interessiert Geschichten erzählen nicht so besonders. Mich interessiert es als Vorwand Leben zu beschreiben, Lebenszustände.

Filmnews: Das gliedert die Geschichte dann auch so in die Gesellschaft ein, was ja gar nicht so uninteressant ist. Als wenn man nur einen Vergewaltigerfilm drehen würde.

Matthias Glasner: Ganz genau. Das wollte ich eben von Anfang an nicht. Ich wollte auf keinen Fall „den Vergewaltigerfilm“ drehen. Der Film war ja mal viel länger, er war mal 6 Stunden lang. Da hatten die Figuren alle noch viel mehr Eigenleben, und ich wollte von Anfang an ein Panorama von psychischen Beschädigungen. Und da war der Vergewaltiger nur ein sehr wichtiger Teil, aber ich wollte unbedingt, dass er Teil eines größeren Ganzen ist.

Filmnews: ... Bei der Pressekonferenz auf der Berlinale ist mir aufgefallen, dass es aber doch hauptsächlich um den Vergewaltiger ging. Es wurden viel weniger Fragen zu Nettis Geschichte gestellt.

Matthias Glasner: Ja, leider. Das hat sich in dem letzten halben Jahr so rausgestellt. Auch beim Kinostart in Deutschland, wo wir wahnsinnig viel Presse hatten: es ging immer nur um den Vergewaltiger. Es ging immer um Jürgen, wobei Sabines Rolle ist eigentlich genauso groß, wie die von Jürgen, und Sabine spielt es auch mindestens genauso gut wie Jürgen. Sabine hätte alle Preise verdient, die Preise kriegt alle Jürgen. Das ist alles ein bisschen ungerecht in meinen Augen, aber was soll man machen. Das muss man hinnehmen.

Filmnews: Es hieß auch, dass du den Täter entdämonisieren willst, und da gab es einen Aufschrei unter den Journalisten, dass man das nicht entschuldigen darf. Aber ich glaub, du willst das gar nicht entschuldigen, oder?!

Matthias Glasner: Ne, ich will gar nichts entschuldigen. Ich hab auch nicht das Gefühl, dass der Film irgendwas entschuldigt. Es ist eben Teil der menschlichen Natur. Wir sind auch sehr destruktiv, wir haben ganz große destruktive Anteile in uns, und die brauchen wir auch. Um uns im Gleichgewicht zu halten, brauchen wir auch immer die Abstoßung. Abstoßungskräfte. So wie zuviel Liebe zur Krankheit werden kann und sehr negativ sich äußern kann – wir kennen das alle! - so kann auch die Destruktivität sehr zerstörerische Züge annehmen. Ich halte das alles für wichtig und Teil der menschlichen Natur, und wir müssen das akzeptieren, dass das alles da ist. Und 'Entdämonisieren' ist halt auch kein gutes Wort. Das hab ich leider mal benutzt. Das steht auch immer noch im Presseheft drinnen. Das ist ein falsches Wort.

Kulturwoche.at: Warum das Ave Maria von Schubert?

Filmnews: Gerade wo du sagst, dass du keine religiöser Mensch bist?

Matthias Glasner: Theo ist jemand, der keinerlei kulturelle oder konfessionelle Bildung hat. Der geht sehr direkt, einfach und sehr naiv an die Dinge ran. In dem Moment, wo er versuchen will, als in seinen Augen normaler Mensch zu funktionieren - wenn er nach Belgien zu Netti geht: es ist wie ein Projekt, er nimmt sich das vor. 'Ich will jetzt eine Liebesgeschichte, nur das kann mich eventuell retten. - Wo wird man gerettet? - Äh, ich glaube, in der Kirche.' Er geht da rein als Atheist. Er will die Kirche benutzen. Deswegen auch dieses Musikstück. Das ist ja so ein Gassenhauer. Auf sowas springt er an. Er springt auf das Klischee von Religion an. Ich wollte da nicht Pergolesi, Donizetti, oder irgendwas komplex tiefgehendes – ich wollte einen Schlager, der Mann hört Schlager. Maria ist ein Schlager.

Kulturwoche.at: Ich fand die Aufnahme sehr schön.

Matthias Glasner: Ja, da haben wir in Mühlheim einen Sängerin gefunden. Ich wollte keine Opernsängerin, die machen mir zuviel Koloratur, zuviel Drama da rein. Das ist eine Hausfrau aus dem Chor.

Kulturwoche.at: Sehr schön.

Matthias Glasner: Sehr schön fand ich auch.

Filmnews: Die letzte Szene in dem Zusammenhang...

Matthias Glasner: Pietà.

Filmnews: Stimmt das? Hast du dran gedacht?

Matthias Glasner: Ne, gar nicht. Diese Pietà ist entstanden, weil - Jürgen hat sich einfach so fallen lassen und Sabine hat ihn dann so gehalten. Das war nicht geplant. Ich hab gedacht, dass Sabine eher weg läuft, weil Sabine wollte die Szene nicht spielen. Sie hat gesagt: „ich sitze da nicht daneben, das mach ich nicht.“ Dann hab ich ihr gesagt, „Na gut, dann renn weg.“ Das hat sie dann aber auch nicht gekonnt. Und dann saß sie da eben komplett handlungsunfähig. Ich hab selten einen stärkeren Moment von Handlungsunfähigkeit erlebt, als Sabine in dem Moment. Diese Schreie auch – weil sie überhaupt nicht weiß, was sie tun soll. Und dann hat Jürgen sich, weil er schwach wurde, einfach so fallen lassen, und dann hat sie ihn genommen. Und so war das Bild da.

Filmnews: Hätte der Film auch anders ausgehen können? Oder war es mal anders geplant?

Matthias Glasner: (lange Pause) Es gab mal ein offeneres Ende. Ich hätte es auch ganz gut gefunden, wenn es offener geendet hätte. Es war Jürgens starker Wunsch. Weil er das Gefühl hatte, er muss einen Schlussstrich ziehen unter die Figur - und dann hab ich ihm das gelassen. Und dann hab ich Sabine das einen Tag vorher gesagt, dass wir das machen, und sie war total geschockt davon. Inzwischen weiß ich noch ein neues Ende, wie ich es eigentlich gerne machen würde, - aber das erzähle ich erst, wenn der Directors Cut in 5 Jahren kommt.

(Stephanie Lang)

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