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winkler_josef_roppongi"Ich sage dir eines, mein Sohn. Wenn es soweit ist, ich möchte nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst."

So waren die Worte des Vaters am Telefon, nachdem er von dem wenig Schmeichelhaften erfahren hatte, das der Ich-Erzähler in seinem letzten Buch über die Bewohner seines Kärntner Heimatdorfes geschrieben hatte. Dies sind auch die Worte, an die sich Winkler erinnert, als er vom Tod des Vaters erfährt. Er selbst hält sich zu dieser Zeit in Roppongi, einem Stadtteil von Tokio auf, und da ein schneller Rückflug nicht möglich ist, erfüllt sich der Fluch des Vaters. Der Erzähler kann dem Begräbnis nur aus der Ferne, in Gedanken, beiwohnen.

Der tote Vater hat sich also, dachte ich in diesem Augenblick des Schreckens, der Trauer, Sentimentalität, der Zufriedenheit und des Glücks, in der Gestalt eines weißen Reihers noch einmal bei mir blicken lassen.

Dieser weiße Reiher, den der Erzähler in einem Teich in Roppongi erblickt wird zum Ausgangspunkt für Winkler, noch einmal die Themen aufzugreifen, die sein bisheriges Werk geprägt haben: der Tod, seine Jugend im Kärntner Dorf Kamering, die versuchte Loslösung ebenso wie die Abrechung und literarische Aussöhnung mit seinem Vater und sich selbst. Im Text ist Roppongi der Ort, an dem all diese Erinnerungen, all diese Lebenserfahrungen zusammenlaufen und kulminieren. Hier, aus der Distanz, ist der Erzähler in der Lage, sich das Begräbnis des Vaters vorzustellen, dessen Leben zu besehen, anzuerkennen und in einen Rahmen zu stellen mit anderen Lebens- und Todeserfahrungen. Somit ist Roppongi nicht nur ein Requiem für einen Vater, sondern vielmehr ein Panorama des Lebens und damit auch des Sterbens.

In Varanasi wird der Tod weder geleugnet noch gefürchtet, sondern als lang erwarteter Gast willkommen geheißen.

Ausgehend vom Tod des 99-jährigen erschafft Winkler ein Gewebe aus Text, in dem sich biographische Berichte von seiner Indienreise und Erinnerungen aus Kärnten aneinanderreihen. Den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind Textausschnitte aus den Narayama-Liedern von Shichiro Fukazawa, die von der alten O-Rin erzählen, die sich von ihrem Sohn auf den Berg Narayama bringen lässt, um dort zu sterben. Mit Verweisen auf diese Erzählung und auf seine Erfahrungen in der indischen Stadt Varanasi gelingt es Winkler, den Tod des Vaters ins Mythologische, ja ins Allgemeine zu heben und den Text zu einem kohärenten Ganzen verschmelzen zu lassen. Kamring, Varanasi und Naryama werden eins und ermöglichen Winkler ein hochliterarisches Spiel mit Anspielungen und Parallelen.
Es sind die letzten Fragen und der Umgang der Menschen damit, die den Erzähler fesseln, wodurch sich auch die Faszination für die Rituale des Todes, die in vielfacher Weise geschildert werden, erklärt. So überlagern sich die dörflichen Begräbniszeremonien mit den Erlebnissen des Erzählers bei den indischen Einäscherungsplätzen und erschaffen eine Atmosphäre, in der das Rituelle mit dem Alltäglichen verschmilzt. Dem ordnet Winkler auch seine Sprache unter: es sind die Wiederholungen, die bekannten Wendungen mit denen Szenen des Todes und der Todesangst kreiert werden. Trotzdem verliert er niemals den Blick für das Groteske, das Absurde aber auch das Allzumenschliche - sie runden das panoramartige Bild ab, ja verdichten es noch weiter und binden den Leser, zwingen ihn in den Text. Beeindruckend. (Bernhard Pöckl)

Buch-Tipp:
Josef Winkler - Roppongi. Requiem für einen Vater
Bewertung: @@@@@@
Suhrkamp, Frankfurt am Main (2007)
ISBN 978-3-518-41921-2
Fest geb., 160 Seiten,
Preis 16,80 EUR