Die in Albanien geborene Autorin erzählt die Geschichte einer Frau, die nur eines möchte: Leben. In einer verstörenden lyrischen Sprache abstrahiert Mimoza Ahmeti nicht nur die Psyche dieser Frau, sondern auch die Realität Albaniens.
"Die halluzinierende Frau" ist die an Depressionen leidende Heldin des Buchs, das von der österreichischen Autorin Andrea Grill aus dem Albanischen übersetzt wurde. Ahmeti führt den Leser in die Widersprüchlichkeiten des Seins, treibt die Frau von Psychiater-Besuchen hin zu einer Heilerin, begibt sich auf die Suche nach Düften und lässt sie in ihrer stark brüchigen und beklemmenden Liebesbeziehung zu zwei Männern - ihrem Ehemann und zum 19-jährigen Geliebten - stark leiden. Nähe und Abstand werden mit expressiven Sprachmitteln dargestellt, als ob es ein böser Traum ist, aus dem sich die Frau nicht herauszuzwängen weiß. Ahmeti erklärt in dem gerade mal 134 Seiten starken Roman nicht alles, lässt vieles offen, und gerade dieser Effekt trägt die Geschichte. Die albanische Autorin stellt auch jede Menge Fragen, zurück bleiben allerdings meist nur Mutmaßungen: "Kann man die Welt kennen lernen, ohne krank zu sein, fragte sie sich, oder ist jegliche Kenntnis nichts anderes als eine Krankheit?" Es steckt aber auch eine große Sehnsucht im Roman, eine generelle, jene nämlich, aus dem "Einheits-Irrenhaus", wie Ahmeti Albanien einmal beschrieb, zu entkommen. Mimoza Ahmeti schreibt Prosa, denkt Lyrik, und ihre leidende Heldin pendelt dabei zwischen Leben und Sterben, die es aber dennoch mit Fortdauer des Romans versteht, ihre Krisen selbständig zu ertragen. "Milchkuss" fordert den Leser und zieht ihn gleich von Beginn regelrecht rein in die Geschichte, lässt nicht aus und hofft mit der Frau andere Wege begehen zu können, die Traurigkeit hinter sich zu lassen. "Jahrelang hatte der Tod mit ihr geflirtet wie ein verrückter Liebhaber. Aber geheiratet hatte er sie nicht." Sehnsuchtsstark, niederschmetternd, glücksberauschend, irritierend, verstörend, lyrisch, expressiv ausdrucksstark. Das Leben will geliebt und "Milchkuss" sollte gelesen werden. (Manfred Horak)
|
||