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fj_und_kai_degenhardtDer Übervater der politisch ambitionierten intellektuellen Liedermacherszene in Deutschland – Franz Josef Degenhardt - veröffentlicht mit "Dreizehnbogen" weiterhin besonders wertvolle Musik. In dessen Fußstapfen tritt sein Sohn Kai Degenhardt. Nachzuhören auf dem herausragenden Album "Weiter draußen", das mit Liedern gegen die herrschende Klasse überzeugt.


Nie wieder Krieg und Scheiß auf den Sieg

Dämmerung hieß das Vorgängeralbum, das eine große unverrückbare Weisheit zum Ausdruck brachte, und zugleich eine musikalische Kraft, von der man bereits befürchten musste, dass diese ausgestorben sei. Nun folgt mit "Dreizehnbogen" ein weiteres Meisterwerk von Franz Josef Degenhardt, das von einem seiner besten Lieder überhaupt eingeleitet wird. Digitaler Bohemien heißt das Lied, das einmal mehr zu Gehör bringt, dass Gemeinsamkeiten zwischen Bob Dylan und Franz Josef Degenhardt nicht auf Zufall beruhen. Die modernen Zeiten werden hier wie da besungen, freilich immer aus der beobachtenden Perspektive. Textzeilen wie "Tatsächlich zitiert er seitenlang Griechisch/aus der Odyssee, und außerdem/erklärt er beim Grappa in Frankies Bodega/das Schrödinger-Gleichungs-Quantenproblem" schaffen wohl nur zwei so große Lyriker wie fjdegenhardt_13bogenDylan und Degenhardt in einem Lied unterzubringen ohne zu stolpern. Diese Gemeinsamkeit – hohen literarischen Anspruch im Lied – ist bei Degenhardt jedoch (und dies ist das trennende zwischen beider Bildentwürfe) ein überwiegend konkret politischer. So vertont Degenhardt auf dem neuen Album z.B. Tucholskys "Leibregiment" und ruft in "Die Kartusche" die Parole, "Nie wieder Krieg/und Scheiß auf den Sieg", aus. Weitere Lieder über den Krieg: "Das Trauerspiel von Afghanistan" nach einer Ballade von Theodor Fontane und die Miniatur "Krieg ist Krieg". Das Herzstück des Albums ist neben "Digitaler Bohemien" das knapp 17-minütige Titellied, das im zarten Reggae-Groove dahin flirrt und einen weiteren Namen ins Gedächtnis bringt, nämlich Linton Kwesi Johnson, noch so ein großer Poet, aber auch erneut Dylan, denn immerhin singt Degenhardt mit seiner unnachahmlichen Erzählstimme in den letzten beiden Liedzeilen, "'Give me shelter from the storm", singe ich. Ein Intercity/fitscht über Dreizehnbogen, hupt zweimal."

Revolutionsmoritaten und zynische Rollenlieder gegen die herrschende Klasse

kai_degenhardt_2008Bob Dylan kommt auch bei Kai Degenhardt vor, dessen Album "Weiter draußen" ebenfalls mit einem über 10-minütigen Lied den Ausklang findet. "Möge die Macht", so der Titel des 13-Minuten-Liedes beginnt mit einem Zitat von The Clash ("When they kick at your front door/how you gonna come…"), von da geht es direkt zu Dylan ("Don't stand in the doorway/don't block up the hall…") hinein in eine Erzählung eines weihnachtsabendlichen Rundumschlags eines Besserwissers und -verdieners aus dem ökolibertären Überbau. Ein Glanzstück in Form eines klassischen Rollenliedes mit Drum-Loop zur La-Bamba-Kadenz, Akustik-Bass, Darabouka und in den Refrains jeweils eine Reminiszenz an 40 Jahre Post-68-Gitarrenrock, in dem sich der angestaute Anpassungsdruck Bahn bricht, und in dem der Zynismus klarerweise nicht zu kurz kommt. Ein weiterer Bezugspunkt Richtung Dylan ist das Lied "Die Tötung" über einen afrikanischen Einwanderer, der bei seiner Abschiebung zu Tode kommt. Kai Degenhardt: "Ein Topical Song im Stile von Dylans 'The Lonesome Death of Hattie Carroll', wenn auch hier kein realer Fall im dokumentarischen Sinne zugrunde liegt. Musik: Off-Beat-A-Gitarre zu Djembe und akustischem Reggae-Bass." Aber es gibt nicht nur Annäherungen an Dylan und The Clash (raue E-Gitarre trifft Reggae), sondern es gibt auch textinhaltliche Bezugspunkte zu seinem Vater, wie z.B. in der "Weißmacherballade #2", das als quasi Fortführung der "Ballade von den Weißmachern und was mit ihnen geschehen muss" von Franz Josef Degenhardt anno 1968 zu betrachten ist, musikalisch begibt sich Kai damit allerdings, "Rockmusikalisch", so Kai, "irgendwo zwischen Ton Steine Scherben, Tokio Hotel und Tocotronic". [So oft ich das Lied auch höre, so oft höre ich allerdings vor allem einen Udo Lindenberg der 1970er Jahre raus; Anm.]
kai_degenhardt_weiterdraussenAn den Pranger kommen die "sozialen Zonen der Ausgrenzung, die Lebensbedingungen der auf verschiedene Art und Weise hier und heute Abgehängten." Zwischen den längeren Liedern streut der Sänger, Gitarrist und Komponist immer wieder Miniaturen ein – "Fragmente als Art Bindemittel zwischen den Songs, in denen Motive wieder auftauchen oder einfach von einer anderen Perspektive neu beleuchtet werden", wie er in einem Interview mit der Fachzeitschrift Folker! erklärte. Weitere Höhepunkte des Albums: der funky Titelsong mit Textzeilen wie "…und dann kommt auch schon die Frage, trifft wie immer mitten rein;/was die Protestsong-Scheiße soll und was ich damit noch verdien,/ich sag verlegen meinen Satz auf und freu mich auf die Champions League…", sowie die Revolutionsmoritat "1476", in der Kai Degenhardt nicht mehr und nicht weniger einen 500 Jahre alten Vorschlag zur Überwindung des Elends, und wie eine gerechtere Gesellschaft aufgebaut werden kann, besingt. Super Album. (Manfred Horak; Foto: Klangohr)

CD-Tipps:
Franz Josef Degenhardt – Dreizehnbogen

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Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: Koch/Universal (2008)

Kai Degenhardt – Weiter draußen
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Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: Plattenbau (2008)