Wie stellt man sich einen amerikanischen Prediger vor? Enthusiastisch, positiv, überzeugend. So weit, so streitbar. Wenn er aber noch singen kann und seine Band dabei hat und mehr fleischliche Nächstenliebe postuliert als Genügsamkeit so findet er wohl immer eine dankbare Gemeinde. Ganz egal ob unter Un-, Schwach- oder Gutgläubigen.
Al Green in Ween
Kaum betrat er die Bühne, standen die Zuschauer am Parkett sofort auf: Es zeigte sich bereits hier - und nicht nur ein wenig - liturgische Dramaturgie. Aber Reverend Green ist wirklich ein Prediger. Nachdem er in den späten Siebzigern seine weltliche Karriere bereits beendete, begann er eine zweite geistliche und fand beruflich erst 2003 wieder wirklich zurück in altes, säkulares Terrain. Sehr weltlich auch gleich der Beginn: Langstielige Rosen wurden großzügig nicht nur an die Damen im Publikum verteilt, Hände geschüttelt und noch vor dem ersten gesungenen Ton waren alle dem Charme des 64jährigen verfallen. Ihn umfing keine messianische Aura, aus ihm sprudelte raumgreifende Lebenslust.
Eine lebende Legende
Die Lust erinnerte an die Shows von James Brown, der bis zu seinem letzten Abgang aufspielte als gäbe es kein Morgen und wichtiger noch: als hätte es die ziemlich zahlreichen Gestern auch nicht gegeben. Jener fand übrigens wie viele Helden des Soul, Funk, Blues und R&B namentlich Erwähnung (u.a. Sam Cooke, Marvin Gaye, Otis Redding), einige wurden auch musikalisch in einem Hitmedley aufgerufen. Dabei nimmt Al Green ja selbst eine solche Meilensteinposition ein: Die Bedeutung seines verhältnismäßig kurzen musikalischen Wirkens in den späten 60er und frühen 70er Jahren ist immens und ebenso sind dessen Spätfolgen. Sein Singen, das kaum mehr ist als Kantatenzierrat jenseits geschlechtlicher Stimmzuweisbarkeit, ist Teil seiner Pionierleistung und machte ihn zum Vorbild für R&B-Sänger jüngerer Vergangenheit wie D'Angelo oder Remy Shand. Er sang auch den ganzen Abend nicht wirklich viel (den Hauptpart übernahmen die Backgroundvocals), doch war er ganzheitlich sehr präsent. Das 14-köpfige Ensemble war bis auf den Schlagzeuger sehr laut, aber noch im Bereich des Wohlbekommens. Sämtliche Ränge, Balkone, Logen und das Parkett konnten nach Herzenslust mitklatschen ohne Gefahr zu laufen, die Musiker schwach aussehen zu lassen.
Grün ist die Liebe
Nicht nur bei seinem großen Hit "Let's stay together" war kein Halten mehr, auch bei vielen anderen Stücken stand man, tanzte, kreiste mit den Hüften und nahm Berührungen mit Nebenfrau oder -mann wohlwollend mit. Überhaupt: Die Atmosphäre in der Staatsoper war sehr erotisch aufgeladen. Al Green als Verantwortlicher schien daran großen Spaß zu haben. Als Zeremonienmeister zelebrierte er - schließlich Fachmann - das Konzert wie einen Gospelgottesdienst (der ja von Gelüsten alles andere als frei ist): Heizte an, beruhigte, um wieder die Ekstase anzufachen, ließ im Chor skandieren und machte die Zeit vergehen wie im Überschallflug. Ich vermute, eine Karte hätte 300 Euro kosten können - wäre man erst einmal drin gewesen und vom Green'schen Goodmood-Weihrauch benebelt worden so hätte einen kein Cent gereut. (Text: Peter Baumgarten; Fotos: Wolfgang Gonaus)
Kurz-Infos: Al Green live am 4. Juli 2010 in der Wiener Staatsoper im Rahmen von Jazzfest Wien Bewertung: @@@@@