Das bereits 13. Album legt die Schweizer Band Stiller Has rund um Sänger Endo Anaconda vor, der in der Schweiz und in Österreich aufgewachsen ist. Und so hört man auf dem Album auch "süttig" schwere Berner Melancholie durchtränkt mit "dunkelgrauem" Wiener Blut.
Mein neunjähriger Sohn Hermes findet, er könne nicht singen, dieser Hase, viel zu heiser, und was er über alte Männer sage, stimme überdies auch nicht. Nicht, dass sein eigener Großvater nie stur sei, nein, nein. Aber so stur wie die Typen im Song von Anaconda dann doch auch wieder nicht. Das sei ja völlig übertrieben. Endo Anaconda, 1955 als Andreas Flückiger in Burgdorf im Kanton Bern in der Schweiz geboren, nennt sich der Texter und Sänger der Formation Stiller Has. Nicht "Stiller" als Name, wie er in Max Frischs gleichnamigem Roman vorkommt, der mit den berühmten Worten "Ich bin nicht Stiller" beginnt; nein, einfach ein stiller Hase.
Doch so still ist der Hase denn auch wieder nicht. Im Gegenteil. Mit einem imposanten, beleibten und schwitzenden Sänger mit rauer Stimme und wuchtigen Texten haben wir es zu tun. Bis 2005 begleitete ihn der stilprägende Balts Nill. Ab 2002 Schifer Schafer, der Anno Schnee in der Legendären Band Rumpelstilz zusammen mit Polo Hofer kometenhaft und wohl für immer in den Schweizer Musik-Himmel aufgestiegen ist. Und beide füllen die Säle und Hallen noch heute. Aber das mit dem Singen ist halt so eine Sache. Denn Hermes und ich, wir waren unlängst in Händels "Messiah" mit Solistinnen und Solisten, Orchester und großem Chor: Barockmusik, eben, die richtig gespielt so gut rockt wie Rockmusik, aber dies nur am Rande. Denn sprechen wir von Stiller Has, sollten wir nebst den Begriffen Rock und Barock den Begriff Blues nicht vergessen, das wäre eine große Sünde. Apropos: Über Tom Waits Stimme etwa hätte Hermes dieser Tage wohl auch kein weniger hartes Urteil abgegeben. - Jeah! Endo Anaconda ist in Österreich und in der Schweiz aufgewachsen. So hat er als Kind gleich zwei Idiome verinnerlicht. Zwar ist sein Berndeutsch astrein. Aber es ist in atypischer Weise von einem dunklen Humor durchdrungen, den der Teenager in Klagenfurt eingeatmet haben muss, wo er als Zwölfjähriger hinzog. Und später in Wien: "Süttig" schwere Berner Melancholie durchtränkt mit "dunkelgrauem" Wiener Blut. Was will man da machen? Es ist eben ein ureigener Mix, den Endo Anaconda seit 1989 als Stiller Has auf die Bühne bringt. Ein poetischer Zaubertrank quasi, den er für seine zahlreichen Fans schier unermüdlich zusammenbraut, ohne sich selber aber damit zu betäuben, wie es scheint, denn, - ja, das musste ja nun kommen - er ist als Knabe hineingestürzt.
Ein bisschen Max Frisch hoppelt übrigens doch durch "Böses Alter" hindurch, fällt mir gerade ein. Denn ich habe gehört, wie der der große Schweizer Schriftsteller in den 1990ern in einem seiner letzten Radio-Interviews zum Thema "böses Alter" erzählte, er habe in Italien unlängst einen Greisen in einem offenen Fenster sitzen sehen. Der habe auf die Piazza, aufs bunte Treiben hinuntergeschaut und ab und an mit heiserer Stimme das Wort "disorder!" (Unordnung) gebrüllt. Sonst nichts. So möchte er nicht enden, meinte Frisch. So nicht. Den Titelsong zu seiner neuen CD hat Endo Anaconda im Booklet, wie alle anderen Songs auch, ins Hochdeutsche übersetzt und dabei aus den Berndeutschen Versen Prosa gemacht. Und was befindet sich sonst so auf der CD? Neun weitere Songs! Das Album ist ein Zyklus. Einmal fährt Stiller Has darauf in einem "Nachtzug" in unbekannten Bahnhöfen ein, und nicht einmal der Schaffner könne genau sagen, wo man sei. Oder, in einem anderen Song, nachts auf dem Heimweg vom Saufen mit Kollegen, stürzt er und trifft deshalb etwas später auf drei Engel: Eine Ärztin, eine Krankenschwester und eine Polizistin. Und auch folgende Meldung ist zu einem der vielen starken Lieder geworden: "Giaccomo Casanova ist an seiner Wollust gestorben, doch fürs Jenseits ist sein Geist viel zu verdorben. Er findet keine Ruhe, hat nie genug, obwohl er schon lange keinen Mund, keinen Finger und kein Stück mehr hat. Nur einen Dreispitzhut, und der steht ihm gut." Eine Scheibe aus einem Guss. Mit einem Zitat von Salvador Dali auf der Booklet-Rückseite: "Das grösste Übel der heutigen Jugend besteht darin, dass man nicht mehr dazugehört." (Text: Markus Heiniger; Foto: Michael Schär)
CD-Tipp:
Stiller Has: Böses Alter
Musik: @@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Soundservice (2013)
Diese CD-Kritik wurde erstmals auf Ein Achtel Lorbeerblatt veröffentlicht.
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