Das Burgtheater Wien mutierte zum Musikmuseum. Der Werkkatalog 12345678 der Band Kraftwerk wurde mittels 3D-Performance aufgeführt. Acht Konzerte an vier Abenden zu je zwei Stunden. Zuerst das jeweilige Album, dann ein Best-of, beginnend am 15.5.2014 mit (Katalogs-)Album 1 "Autobahn". Ein erkenntnisreicher Abend, meint Manfred Horak.
Kraftwerk-Retrospektive an vier Abenden
Einen Klassiker der Musikgeschichte live auf der Bühne zu reproduzieren bzw. im besten Falle neu zu interpretieren, ist nicht neu, man denke nur an Lou Reed ("Berlin Live at the St. Ann's Warehouse" im Dezember 2006 und verschiedene Folgeauftritte, die ihn im Juli 2008 sogar nach Wien führten) oder an Van Morrison ("Astral Weeks Live at the Hollywood Bowl" am 7. und 8. November 2008). Und auch den Werkskatalog, also Album für Album Abend für Abend, auf die Bühne zu bringen ist nicht ganz neu. Im Mai und Juni 2008 brachten Ron und Russell Mael - besser bekannt unter dem Bandnamen Sparks - ihr Gesamtwerk auf die Bühne. 20 Konzertabende in Londons Carlington Island Academy, fein säuberlich chronologisch aufgearbeitet - zudem gab es nach jedem live gespielten Album ein Best of Programm - und (das damals gerade neu veröffentlichte) Album Nummer 21 Exotic Creatures of the Deep schließlich im Shepherds Bush Empire. Ziemlich genau vier Jahre nach Sparks setzte diese Idee auch die in Düsseldorf beheimatete Band Kraftwerk um. Die erste diesbezügliche Retrospektive fand im Museum of Modern Art (NY City) statt, seither gab es einige Mehrfachabende an ausgewählten (zum Teil) musealen Orten, wie z.B. in London in der Tate Modern oder im März 2014 in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Und im Mai 2014 war also das Burgtheater Wien im Rahmen der Wiener Festwochen an der Reihe. Im Gegensatz zu Sparks benötigte Kraftwerk nur acht Konzerte, und da der Schweißfaktor gering ist, geht sich das alles sogar an vier Abenden aus, umso mehr, da es sich bei dieser Konzertreihe nicht um das Gesamtwerk handelt. Die ersten drei Alben "Kraftwerk" (1970), "Kraftwerk 2" (1972), "Ralf und Florian" (1973) werden nämlich verschwiegen, als schäme man sich dafür, dass ursprünglich auch konventionelle Instrumente eingesetzt wurden wie Gitarre, Bass, Flöte, Violine, Harmonika, Xylofon und Schlagzeug. Da aber auch auf dem Album "Autobahn" (1974) konventionelle Musikinstrumente zum Einsatz kamen, gefällt mir eine andere These besser, warum nur acht Alben im Kanon von Kraftwerk aufscheinen. Diese bezieht sich auf das Lied "Nummern" aus dem Album "Computerwelt" (1981), in dem in verschiedenen Sprachen wie Englisch, Deutsch, Russisch, Japanisch, Spanisch und Französisch von eins bis acht gezählt wird.
Das Burgtheater als Heimkino
Im Vergleich zum Wien-Konzert 2004 im Gasometer, bei dem das Publikum die Tanzmusikeigenschaften von Kraftwerk erspüren konnte, kam die 3D-Performance am 15.5.2014 im Burgtheater Wien tatsächlich einem Museumsbesuch gleich. Man sitzt zwei Stunden vor einem Gemälde und lässt die Eindrücke in sich einfließen. In einer der vielen Twitter-Meldungen hieß es denn auch ironisch: Wahnsinn, was da auf der Bühne abgeht! Ich glaube, es hat sich sogar mal einer bewegt! Das Wiener Burgtheater mutierte hier zu einem 3D-tauglichen Heimkino. Was Kraftwerk allerdings nicht tat, war eine 1:1 Reproduktion des Originals, es gab durchaus deutliche Abweichungen zu den Original-Versionen, so wurde auch das Titellied "Autobahn" drastisch verkürzt, und auch die Seite B des Albums mit den Musikstücken "Kometenmelodie 1", "Kometenmelodie 2", "Mitternacht", "Morgenspaziergang" erhielt zum Teil andere Fassaden, was freilich dem Umstand geschuldet ist, die originalen konventionellen Musikinstrumente ins digitale Kling Klang Universum zu transformieren. Einmal mehr eine nachhaltige Erkenntnis ist die unumstößliche Tatsache, dass diese Musik schlicht und ergreifend unangreifbar ist. Allerdings war Kraftwerk 1974 - entgegen vieler Meinungen - technisch in keiner Weise Vorreiter oder Pioniere, ihre große Leistung bestand vielmehr darin wie sie den Synthesizer einsetzten, was vor allem in den drei Nachfolgealben "Radio-Aktivität" (1975), "Trans Europa Express" (1977), "Die Mensch-Maschine" (1978) bis zur Perfektionierung ihrer Synthese aus Popmusik, Avantgarde-Klängen und Konzepten gelang.
Kraftwerkologie
Aber wieder zurück zum Konzert. Nach dem kompletten "Autobahn" Album gab es ein mehr oder weniger chronologisches Best of, wobei die Alben "Die Mensch-Maschine" und "Computerwelt" fast zur Gänze gespielt wurden und von "Electric Café" (alias "Techno Pop"; 1986) immerhin die komplette A-Seite. Am meisten war ich gespannt auf die 3D-Visuals, und auch wenn es dabei einige wunderbare Momente gab, kannte man den Großteil bereits, nur halt in 2D - zu sehen auf der Doppel-DVD Minimum-Maximum (2005). Die filmischen Höhepunkte waren sicherlich "Die Roboter", "Metropolis", "Spacelab", sowie die visuelle Aufarbeitung der B-Seite von "Autobahn". Der Rest war in erster Linie ein Klangerlebnis mit einigen wenigen tontechnischen Problemen. Nach fast exakt zwei Stunden endete der Blick in den Rückspiegel, die Performance, wie üblich mit "Musique Non-Stop", bei dem sich die vier Musik-Arbeiter musikalisch individuell verabschiedeten. Letzten Endes ein Konzert mit schalem Nachgeschmack, da (selber schuld) zu hohe Erwartungen vor allem an das 3D-Erlebnis gestellt wurden und man zudem irgendwie ständig den Eindruck erhielt, dass es sich für Kraftwerk bloß um eine weitere routiniert abzuspulende performative Pflichtübung handelt. //
Text und Fotos: Manfred Horak