Unter dem sehr gelungenen wie selbstironischen Titel "Kino wie noch nie" veranstalten Filmarchiv Austria und Viennale zwischen 4. Juli und 17. August 2008 erstmals gemeinsam ein Open-Air-Kino am Augartenspitz.
Das Großereignis UEFA EURO 2008 ™ hat zum Ausfall oder der Verschiebung einer Anzahl von kulturellen und urbanen Aktivitäten geführt, darunter auch das Open Air-Kino im Wiener Prater und "Kino unter Sternen". Um dieses Angebot der Sommerkinos in Wien in diesem Jahr dennoch nicht abreißen zu lassen, haben sich Filmarchiv Austria und Viennale entschlossen, ein gemeinsames großes Open Air-Kino am Wiener Augartenspitz zu veranstalten. Geboten wird täglich ein reichhaltiges und spannendes Programm mit populären wie auch mit ungewöhnlichen Kinofilmen. Ein Programmteil erzählt von der rasenden, wilden Anarchie des frühen Kinos und präsentiert seltene und spannende historische Entdeckungen aus den Archiven. Ein anderer Schwerpunkt, in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Wien spürt der Faszination des Punk nach. Aus filmhistorischen Tiefen wurden zudem einige der feinsten heimischen Kriminalfilme geborgen – mit vielen grotesken, absurden und wundersamen Augenblicken großen Kinos aus Österreich. Ebenso zu sehen: Eine Auswahl von großen Erfolgen und ungewöhnlichen Entdeckungen aus den Festivalprogrammen der Viennale der letzten Jahre - darunter Titel, die nie in den regulären Verleih gekommen sind. Ein weiteres Programm-Highlight sind ausgesuchte Premieren mit neuen Filmen von Francis Ford Coppola, Leander Haußmann oder Ira Sachs. Niemand ist unschuldig Zu sehen sind also herausragende Kinofilme wie z.B. "The Filth and the Fury" aus dem Jahr 2000, dem Dokumentationsfilm über die Sex Pistols von Julian Temple. Der Film-Titel bezieht sich übrigens auf eine Schlagzeile im Daily Mirror, die erschien, nachdem die Sex Pistols in einer TV-Show Unflätigkeiten aller Art von sich gegeben und den Moderator beschimpft hatten. Temples Dokumentation beschreibt den Weg der Sex Pistols von ihren bescheidenen Anfängen in Sheperd’s Bush bis zur ihrem Auseinanderbrechen nach einem Konzert im Winterland Ballroom von San Francisco und situiert die Gruppe durch dazwischen geschnittene Wochenschauaufnahmen im gesellschaftspolitischen Kontext. De Heisa san wia de Leit - ka Gsicht Zur Projektion kommt aber auch die geniale Kleinstadt-Studie "Kurzer Prozess" aus dem Jahr 1967 mit Helmut Qualtinger als ewig grantelnder Bezirksinspektor Pokorny. Der in die Provinz strafversetzte Pokorny nährt seinen Zynismus, einem Herrn Karl gleich, mit Rum ohne Tee. Bis ihn einige Morde aus der Lethargie wecken. Der Krimiklassiker stellt nicht so sehr das Verbrechen oder die Ergreifung des Täters in den Mittelpunkt, sondern zeichnet mittels der atmosphärisch dichten Beschreibung der Menschen (sie haben bei näherer Betrachtung sehr prägnante Gesichter) und ihrer Umwelt eine soziale Studie, welche die Gründe für ein Verbrechen erfahrbarer machen als formale Beweise, die einen Täter überführen. Helmut Qualtinger in der Hauptrolle bewegt sich auch in dem ländlichen Mikrokosmos mit gewohnter Souveränität und drückt der Story seinen gewichtigen Stempel auf. Seine Rolleninterpretation kann als Vorbild und Vorläufer für die beiden ersten Darsteller des Major Kottan gesehen werden. Die spätere TV-Serie konzentrierte sich ebenfalls auf stimmige Milieuschilderungen, in denen die Verbrechen wie nahtlos eingebettete Elemente im gesellschaftlichen Puzzlespiel erscheinen. Auf die Straße torkeln wie betrunkene Enten Ja, und auch Stummfilme werden zu sehen sein, freilich nur kultige mit Buster Keaton, Laurel & Hardy und natürlich Kurzfilme von und mit Charles Chaplin, lange bevor er zum Sir geschlagen wurde. "In siebzig Jahren", prophezeite Rudolf Arnheim 1929, "wird es Filminstitutionen geben, in denen sich Filmleute treffen und sich im kühlen Vorführraum, wo die besten Jahrgänge lagern, einen alten Meister zeigen lassen […] da werden sie eine Stunde auf ihren Sitzen zappeln und dann mit verdrehten Augen auf die Straße torkeln wie betrunkene Enten, und dann werden sie mit fehlerfrei synchronisierter sowie verschleierter Stimme einander ins wulstige Ohr flüstern: 'Kunststück, ein echter Chaplin!'" Neunundsiebzig Jahre später - also im denkwürdigen Jahr 2008 - bietet die vorliegende Auswahl an Kurzfilmen die Möglichkeit, einige der wichtigsten Frühwerke des alten Meisters wieder zu sehen. 1916/17 drehte Chaplin für Mutual Film Corporation einige Komödien, die längst zu Standardwerken der Filmgeschichte gehören. Er selbst hat die Zeit später als die glücklichste in seiner Karriere bezeichnet. Es ist der Beginn des Kults um die Person des Tramps, er wird zur Werbeikone und zum Comicheld, das Auftreten seines Schöpfers führt in ganz Amerika zu Menschenaufläufen. All das und noch viel mehr zu sehen beim hervorragend programmierten Open-Air-Filmfestival "Kino wie noch nie" im Augartenspitz beim Filmarchiv Austria. (mh) Link-Tipp: |
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